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Reportagen

Meeres-Medizin(er)

Freiheitsstatue im New Yorker Hafen

Freiheitsstatue im New Yorker Hafen

© TUI Cruises/Tom Kohler

Kurt Machens im Gespräch mit einem Crew-Mitglied

Schiffsarzt Kurt Machens im Gespräch mit einem Crew-Mitglied

© TUI Cruises/Tom Kohler

Die „Mein Schiff 6“

Die „Mein Schiff 6“ ist 295,3 m lang und für 2534 Passagiere zugelassen.

© Wikimedia/Rennboot

Das One World Trade Center ist das höchste Gebäude in New York City.

Das One World Trade Center ist das höchste Gebäude in New York City.

© NYC & Company/Julienne Schaer

Ed Koch Queensboro Bridge über dem East River in New York City

Ed Koch Queensboro Bridge über dem East River in New York City

© NYC & Company/Wes Tarca

Das Old State House ist das älteste noch stehende öffentliche Gebäude in Boston.

Das Old State House ist das älteste noch stehende öffentliche Gebäude in Boston.

© Wikimedia

Wellen und Felsküste bei Bar Harbor

Wellen und Felsküste bei Bar Harbor

© TUI Cruises/Tom Kohler

American Lifestyle

American Lifestyle

© TUI Cruises/Tom Kohler

Der Arzt gehört zu den wichtigsten Crew-Mitgliedern an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Medizin-Mann Kurt Machens ist mit der „Mein Schiff 6“ vor der amerikanischen Atlantikküste unterwegs und hat nicht nur Mittelchen gegen Seekrankheit, sondern auch passende Tipps für Landgänge.

Christian Schreiber (Text)

Der Atlantik hat das große Kreuzfahrtschiff die ganze Nacht hin- und hergeschwappt. Deswegen weiß Kurt Machens, was ihm heute Morgen bei Dienstantritt blüht: ein volles Wartezimmer. Machens ist Arzt an Bord der „Mein Schiff 6“, und die Patienten, deren Mageninhalt sich verabschiedet hat, setzen ihre Hoffnungen in ihn. Er gibt ihnen die wichtigste Meeres-Medizin: Pflaster und Zäpfchen gegen Übelkeit. Machens schenkt ihnen aber auch ein fürsorgliches Lächeln und aufmunternde Worte. „Seekrankheit kann jeden treffen. Aber so schnell, wie sie kommt, geht sie auch wieder weg.“ 

Die Kreuzfahrt ist in New York gestartet, führt entlang der Ostküste der USA nach Kanada, mitten hinein in die amerikanische Geschichte und – wichtig für viele Patienten von Machens – in ruhigeres Gewässer. Als die „Mein Schiff 6“ nach dem ersten Seetag in Boston anlegt, wird es auf Deck 3, wo das Bordhospital untergebracht ist, deutlich ruhiger. Auch Machens kann die Gelegenheit für einen Landausflug nutzen, weil er sich Diens-te und Bereitschaft mit einem zweiten Mediziner teilt. Gemeinsam mit zwei Krankenpflegerinnen kümmern sie sich um mehr als 2000 Gäste und 1000 Besatzungs-Mitglieder. 

Der roten Linie folgen

Im Gegensatz zu den meisten Passagieren will Machens die Stadt allein erkunden. Es ist eine gute Entscheidung, denn Boston ist für US-Verhältnisse erstaunlich fußgängerfreundlich. Und das liegt nicht nur am Freedom Trail, einer acht Kilometer langen Tour quer durch die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Besucher folgen einer roten Linie auf dem Boden, die sich über Bürgersteige und Straßen schlängelt, Häuserblöcke umkurvt und ganze Viertel durchzieht. Zwischen die Wolkenkratzer des modernen Bostons quetschen sich historische Friedhöfe und alte Kirchen. Die rund drei Stunden Sightseeing sind ein Schnelldurchlauf durch die amerikanischen Freiheitsbestrebungen mit den Höhepunkten Boston Tea Party, dem mutigen Widerstand gegen die britische Kolonialpolitik im 18. Jahrhundert und dem folgenden Unabhängigkeitskrieg. So nebenbei durchquert man das quirlige italienische Viertel Bostons, das hauptsächlich aus Restaurants und kleinen Wochenmärkten besteht, die man in einer US-Großstadt mit gigantischen Supermärkten nicht vermuten würde. Entgegen sämtlicher amerikanischer Hygienestandards gibt es dort Austern, die Touristen auf offener Straße essen. Auch Machens gönnt sich ein halbes Dutzend und grüßt vorüberziehende Gäste, deren Mägen noch nicht bereit sind für rohes Meeresgetier.

Natürliche Feinde

Zurück an Bord, ahnt der ehemalige Unfallchirurg, der unter anderem am Krankenhaus St. Bernwart in Hildesheim gearbeitet hat und einige Jahre lang sogar Oberbürgermeister der 100.000 Einwohner zählenden Stadt südlich von Hannover war, wer in den kommenden Tagen bevorzugt seine Hilfe brauchen wird: Husten und Bronchitis-Patienten. Im Land der unbegrenzt laufenden Klimaanlagen steigt die Rate der tropfenden Nasen explosionsartig an. Ein Bordarzt hat viele natürliche Feinde, die ihm freie Tage und Landausflüge rauben. Neben eisgekühlten Taxis und Einkaufszentren oder böswilligen Atlantikwellen können das auch angriffslustige Affen sein, die auf Gibraltar aus dem Hinterhalt stürmen, um Touristen zu beklauen. „Affenbisse sind ein echtes Problem. Und dann fallen die Gäste auch noch von den Stufen und erleiden schwere Knochenbrüche.“ 

Seit knapp drei Jahren fährt der heute 63-Jährige zur See. Er war mit den Kreuzern der „Mein Schiff“-Flotte, die zur Hälfte dem TUI-Konzern gehört, in Westeuropa, im Mittelmeer, in Skandinavien, in Asien und in Nordamerika. „Ich gebe mein Wunschziel an und hoffe, dass ein Slot frei ist.“ 

Ein Schiffsarzt braucht viele Zusatz-Ausbildungen, und auch menschlich muss die Sache passen. Machens genießt hohes Ansehen bei der Mannschaft. Wenn er auf den Decks unterwegs ist, grüßen ihn die Crew-Mitglieder nicht aus Pflichtgefühl oder Ehrfurcht. Sie schenken ihm ein ehrliches Lächeln, weil sie wissen, dass er sich als einer von ihnen versteht und auch so agiert. „Wir sind eine Familie auf dem Schiff und müssen zusammen helfen.“ So kann es passieren, dass man einen Ausflug bucht und Schiffsarzt Machens plötzlich am Mikro steht und übersetzt oder den Guides beim Einsammeln der Tickets hilft. „Doc Hollywood, Nase hoch und die Mannschaft links liegen lassen – so jemand passt nicht an Bord.“

Mit Nordamerika geht ein Traum in Erfüllung

Machens ist glücklich, dass es nun endlich mit einer Nordamerika-Kreuzfahrt geklappt hat. Er ist fasziniert von den Kontrasten: heute pulsierende Metropole, morgen einsame Landschaft mit grandioser Natur. Letzteres gilt in jedem Fall für Bar Harbor, den nächsten Stopp im äußersten Nordosten der USA. Der Atlantik peitscht seine Wellen wütend gegen die zerklüftete Felsküste. Wer sich nahe genug heranwagt, spürt den donnernden Wiederhall in der Magengrube und stellt fest, dass ein Landausflug ähnliche Symptome auslösen kann wie die Seekrankheit. Einigen Kreuzfahrern ist der Atlantik auch heute nicht ganz geheuer, und sie verziehen sich in die Bergwelt des Acadia National Park. Dort gibt es rund 200 Kilometer Wanderwege durch dichte Wälder, die die meiste Zeit jegliche Aussicht rauben. Aber wer es zum Beispiel auf den Gipfel des 470 Meter hohen Cadillac Mountain geschafft hat, erhält als Belohnung einen grandiosen Blick auf eine einzigartige Inselwelt unmittelbar vor der Küste. 

Am Ende des Tages kreuzt die „Mein Schiff 6“ weiter Richtung Kanada, wo noch die Häfen Saint John und Halifax warten. Aber die meisten Gäste fiebern bereits der Rückkehr nach New York City entgegen. Auch Schiffsarzt Machens hat Pläne für die 20-Millionen-Metropole geschmiedet, die er bereits mehrfach besucht hat. Er will sich das Williamsburg-Viertel anschauen, das ob seiner kleinen alternativen Geschäfte, Boutiquen und Shops noch als Geheimtipp gilt. 

New-York-Neulingen empfiehlt er natürlich die Manhattan-Tour mit den Höhepunkten Times Square, Central Station, Brooklyn Bridge, Ground Zero. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Einen wichtigen Tipp hat Machens noch: „New York ist eine Stadt, die man sich erlaufen sollte.“ Und das hat ausschließlich mit den vollgestopften, dauergestauten Straßen zu tun – und nichts mit den natürlichen Feinden des Bordarztes, den endlos laufenden Klimaanlagen in öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis.