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Reportagen

Wundersames Suriname

Farbenfroh gekleidete einheimische Frauen bringen ein Ständchen.

Farbenfroh gekleidete einheimische Frauen bringen ein Ständchen.

© Jochen Müssig

Propellermaschine auf dem Flugplatz von Botopasi

Propellermaschine auf dem Flugplatz von Botopasi

© Jochen Müssig

Karl Seedorf ist der Onkel des ehemaligen niederlän­dischen Weltklassekickers Clarence Seedorf und Gärtner des „Bergendal Resort“ am Suriname River.

Karl Seedorf ist der Onkel des ehemaligen niederlän­dischen Weltklassekickers Clarence Seedorf und Gärtner des „Bergendal Resort“ am Suriname River.

© Jochen Müssig

Hindu-Tempel in Paramaribo

Hindu-Tempel in Paramaribo

© Jochen Müssig

Bootsführer Oswaldo schippert seine Gäste vom Suriname River zum Brokopondo-Stausee.

Bootsführer Oswaldo schippert seine Gäste vom Suriname River zum Brokopondo-Stausee.

© Jochen Müssig

Der Blaue Baumsteiger (Blauer Pfeilgiftfrosch) kommt nur in einem kleinen Gebiet im Länderdreieck Brasilien, Französisch-Guyana und Suriname in der Sipaliwinisavanne vor.

Der Blaue Baumsteiger (Blauer Pfeilgiftfrosch) kommt nur in einem kleinen Gebiet im Länderdreieck Brasilien, Französisch-Guyana und Suriname in der Sipaliwinisavanne vor.

© Adobe Stock/azureus70

Insel und Baumskelette im Brokopondo-Stausee

Insel und Baumskelette im Brokopondo-Stausee

© Jochen Müssig

Schwarze Granitfelsen am Suriname River

Schwarze Granitfelsen am Suriname River

© Jochen Müssig

Das Land überrascht mit einer kunterbunten Mischung aus drei Kontinenten und einer beeindruckenden Natur. Aber: Wo liegt eigentlich dieses Suriname?

Jochen Müssig (Bilder und Text)

Viermal Indonesien und dreimal Afrika: So lautete das Ergebnis einer nicht repräsentativen Umfrage unter Freunden. Alles falsch! Nur die drei Fußballer unter den zehn Befragten wussten es: Suriname,  etwa doppelt so groß wie Österreich, ist das kleinste unabhängige Land in Südamerika. Nationalfeiertag ist der 25. November, der Tag der Unabhängigkeit von den Niederlanden im Jahr 1975. Es liegt im Nordosten des Kontinents, eingeklemmt zwischen Guyana, Brasilien und Französisch-Guyana an der Atlantikküste. Und Suriname ist die Heimat von Edgar Davids, Ruud Gullit, Patrick Kluivert, Frank Rijkaard oder Clarence Seedorf, um nur ein paar Fußballspieler zu nennen, die in den Niederlanden einst zu Weltklassekickern reiften.

Friedliches Nebeneinander 

„Oh ja!“, sagt der Gärtner im schönen „Bergendal Resort“ am Suriname River. „Mein Neffe kam früher einmal pro Jahr aus Paramaribo zu Besuch. Er genoss die Ruhe und die Natur hier am Fluss.“ Er ist sichtbar stolz, denn sein Neffe ist eben einer jener Weltstars: „Ich bin der Onkel von Clarence Seedorf!“, sagt der Gärtner, der Karl heißt, mit seinen Rastalocken aber aussieht wie ein Karibe. Der Hindu Bysai sagt dagegen, seine Familie lebe schon seit Generationen in Suriname. Woher sie aus Indien kämen, wisse er nicht. Aber er weiß, dass seine leckere, eiskalte Trinkkokosnuss am Straßenrand 2,50 Suriname-Dollar kostet, etwa 50 Euro-Cent. Fu Lin hingegen ist einer der vielen Chinesen, die ein Lebensmittelgeschäft führen, und Wayan, wie in Indonesien traditionell die Erstgeborenen heißen, nimmt in seinem Warung die Bestellung für ein Nasi Goreng auf.

In der Hauptstadt Paramaribo, wegen seiner Holzbauten UNESCO-Weltkulturerbe seit 2002, stehen Kirche, Moschee, Hindu-Tempel und Synagoge einträchtig nebeneinander. Die Straßennamen sind holländisch. Das Leben auf den Straßen ist karibisch-heiter, und Südamerika scheint weit weg zu sein. Spanisch ist jedenfalls nirgends zu hören. Suriname vereint auf kleinem Raum und auf unaufgeregte, weil gewachsene, Weise holländische und kreolische, westafrikanische und indische, aber auch indonesische und deutsche Einflüsse. Ende des 18. Jahrhunderts prägten etwa Missionare und Ärzte aus Deutschland das Leben. Die Künstlerin Maria Sybilla Merian brachte erstmals Bilder von Suriname in die Welt. Und so manche Plantage trägt noch heute deutsche Namen, wie etwa Altona, Berlijn, Frankfort oder Hannover. Gleiches gilt für Familiennamen wie Beck oder Karg, deren Herkunft unschwer zu erkennen ist. Gefahren wird allerdings links. Nicht weil die Briten irgendwann einmal für ein paar Jahre Kolonialmacht im Land waren, sondern weil der erste Besitzer eines Autos in Suriname selbst nicht fahren konnte und einen Chauffeur anheuerte. Der kam aus England und entschied sich, aus Gewohnheit links zu fahren.

Amtssprache in Suriname ist trotz der Unabhängigkeit immer noch Niederländisch. Und so heißt es bei Bootsführer Oswaldo: „instappen!“ – einsteigen. Er ist ein Maroon wie etwa ein Viertel der insgesamt 500.000 Einwohner. Sie sind die Nachkommen geflüchteter Sklaven. Ein weiteres Viertel sind Hindustanen, Leute indischer Herkunft, die nach Abschaffung der Sklaverei 1863 als Arbeitskräfte ins Land geholt wurden. 7000 Niederländer leben auch noch in Suriname, umgekehrt jedoch 200.000 Surinamesen im Land der ehemaligen Kolonialherren. Als ökonomische Regel gilt: Pro Familie arbeitet einer in Holland und unterstützt den Clan in Suriname. „Instappen!“, wiederholt Oswaldo. Es geht weiter auf dem Suriname River Richtung Süden, zunächst zum Brokopondo.

Westafrika im Kleinformat

Der Stausee, dreimal so groß wie der Bodensee, sieht aus wie nach einem Atomangriff. Apokalyptisch ragen Tausende von überschwemmten und abgestorbenen Bäumen aus dem Wasser, und an einigen Stellen stemmt Oswaldo mit seinem zehn Meter langen und zwei Personen schmalen Boot die Baumstumpen beiseite, wie Slalomläufer beim Skifahren die Stangen, einfach um durchzukommen in diesem toten Labyrinth. Lebidoti, eines der Dörfer am See, ist alles andere als ausgestorben. Im See waschen farbenfroh gekleidete Frauen die Wäsche und unterhalten sich lautstark. Die Männer gehen zum Fischen. Die Kinder schreien den Fremden zu. Lebidoti ist eine hundertprozentige Maroon-Siedlung und Westafrika im Kleinformat. Abgesehen davon, dass es keine Hunde im Dorf gibt. „Hunde waren Sklavenjäger“, erklärt der Kapitän, der Dorfchef, und freut sich auf die Flasche Rum, die als Gastgeschenk übergeben wird. Der Lehrer der Dorfschule kommt wochenweise aus der Hauptstadt. Diesel für den Generator fließt nur, wenn Wahlen sind. Und für kleinere Delikte ist der Kapitän auch Richter. Die Polizei käme frühestens nach zwei bis drei Tagen …

Zukunft liegt im Tourismus

85 Prozent des Landes sind fast unberührter und beinahe unbewohnter Regenwald. Weit mehr als 90 Prozent der Menschen leben entlang der Küstenregion im Norden oder entlang der acht Flüsse des Landes. Die ehemalige Kolonialmacht Niederlande hilft Suriname, neben Einkommen durch Rohstoffe wie Gold, Öl, Bauxit und Holz ein weiteres Standbein aufzubauen: den Tourismus. Noch vor ein paar Jahren verzeichnete der Staat gerade mal 761 Einreisen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Da gibt’s Luft nach oben, und der Brokopondo kann dabei helfen: mit seiner einmaligen Szenerie, einer Einsamkeit wie am Ende der Welt und – ganz banal – der Möglichkeit zum Baden. Denn an keinem der Atlantikstrände Surinames geht man schwimmen. Vor der 380 Kilometer langen Küste liegen acht etwa 20 Kilometer breite Schlammbänke, die der Amazonas, der rund 600 Kilometer weiter südlich in den Atlantik mündet, verbunden mit Meeresströmungen anschwemmt. Und braunes Wasser mit Schlick entspricht nun mal nicht gängigen Vorstellungen von einem Badestrand – auch wenn es die rosafarbenen Amazonas-Delfine lieben. 

„Instappen!“, sagt Oswaldo wieder. Der Oberlauf des Suriname River mit den hundert Arten von Grün im Regenwald, Dorfbesuchern am Fluss und schönen Lodges wartet. Ab jetzt gibt es keine Straße und kein Auto mehr. Der Fluss und das Boot sind die einzigen Fortbewegungsmittel: Es geht vorbei an schwarzen Granitfelsen und goldbraunen Sandbänken, mit Stromschnellen und gemütlichen Passagen in aller Abgeschiedenheit.

Mit Balzlauten lockt Oswaldo einen handflächengroßen, indigoblauen Schmetterling und bietet ihm ein gebrochenes Blatt an. Der schöne Flattermann saugt und kann scheinbar gar nicht genug von dem gegorenen Beerensaft auf dem Blatt bekommen. Oswaldo lacht und erklärt, warum der Schmetterling gekommen ist: „Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll! So ein männlicher Schmetterling lebt nur 18 Tage. In dieser Zeit trinkt er die 50-fache Menge Alkohol, die er eigentlich vertragen würde, tanzt dementsprechend froh gelaunt durch die Lüfte, bis er ein Weibchen findet, das mit ihm 48 Stunden ohne Unterbrechung Liebe macht.“ Suriname – dieses bei vielen doch noch unbekannte Land verzaubert einfach jeden.