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Reportagen

Pasodoble auf der Sense

Peliqueiros stürmen mit Peitschen durch Lazas Gassen.

Peliqueiros stürmen mit Peitschen durch Lazas Gassen.

© Turismo de Galicia

Trommelnde Folións und bunte Boteiros in Vilariño de Conso

Trommelnde Folións und bunte Boteiros in Vilariño de Conso

© Franz Lerchenmüller

Hoch zu Ross: Karnevals-Generäle in Cacheiras

Hoch zu Ross: Karnevals-Generäle in Cacheiras

© Turismo de Galicia

Auch sehenswert: Pazos (Herrenhäuser), hier Pazo de Oca

Auch sehenswert: Pazos (Herrenhäuser), hier Pazo de Oca

© Turismo de Galicia

Der Karneval in Galicien ist einer der ursprünglichsten und abwechslungsreichsten Spaniens.

Franz Lerchenmüller (Text und Bilder)

General Jesus Cebreiro wirft sich in die Brust und gibt schon mal eine Probe seines Könnens: „Ich, General Carles Puigdemont i Casamajo“, deklamiert er, „komme aus dem fernen Belgien zurück in dieses hochkorrupte Land und werde euch allen die Eier ...“ – wie die bilderreiche Beleidigungsarie weitergeht, wird man freilich erst am Folgetag erfahren, wenn er sich mit seinem Gegenüber, General Manuel Rajoy, dem spanischen Staatsoberhaupt, mitten auf dem Dorfplatz von Cacheiras hoch zu Ross einen verbalen Hahnenkampf liefert. Die anderen Generalskollegen werden dann ein paar anrüchige Geschäftchen aus dem Dorf geißeln, die Karriere des Nachwuchs-Kickers feiern und die amourösen Verwicklungen des Kaufmanns näher beleuchten. Oder so. 

„Zungen sind schärfer als Schwerter“, sei das Motto der Generäle von Ulla 

Jesus, Drucker aus Cacheiras

Die Pfauen- und Straußenfedern auf ihren ein Meter hohen Hüten werden flirren und zittern, die Gesichter rot anlaufen vor Begeisterung, und die Zuhörer mit ihrem Beifall die Sieger küren. „Zungen sind schärfer als Schwerter“, sei das Motto der Generäle von Ulla, sagt Jesus, der fröhliche, 43-jährige Drucker, und das seit den Kämpfen gegen napoleonische Truppen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, auf die diese Art des Karnevals zurückgehe. Heute aber ziehen die zwölf Offiziere erst einmal, in rote Paradejacken mit goldenen Epauletten und Tressen gezwängt und reich behängt mit klimpernden Fantasieorden, auf ihren nicht minder herausgeputzten Gäulen von Haus zu Haus, lassen den „hochgeschätzten Señor Gonzales und seine ehrenwerte Familie“ dreimal hochleben, lehnen das angebotene Schnäpschen keinesfalls ab, und im Holzkästchen des Kassierers sollte es bitteschön nicht klingeln, sondern knistern. Ihre Fantasieuniformen seien eine Parodie auf militärischen Protz und Prunk, behauptet Jesus – aber so überzeugend, wie Zimmermann und Maurer, Gärtner und Fischverkäufer ihre Rollen ausfüllen, ahnt man, dass in diesen Tagen auch ein paar andere unerfüllte Sehnsüchte ausgelebt werden. Jeder und alles findet im spanischen Karneval einen Platz und eine Aufgabe.

Jedem sein eigener Karneval

Nirgendwo wird der Karneval ursprünglicher, vielfältiger und verblüffender begangen als im Nordwesten, in Galicien. Um die 200 Städte und Gemeinden feiern dort den „Entroido“. In fast jedem Dorf gibt es andere Kostüme, andere Bräuche und andere Geschichten dazu. Winteraustreibung, Protest gegen die Obrigkeit, Freude am Rollentausch – wo hat der galizische Karneval seine Wurzeln? Das verhalte sich, behauptet Fabio García in Villanova de Cobres, wie mit dem Weltall. „Urknall. Plötzlich war er da. Alles Weitere liegt im Dunkeln.“ Der 20-jährige, von einigen Schlückchen „orujo“ fröhlich-philosophisch beschwingte Kellner spielt in seinem Strohkostüm mit der hölzernen Heugabel im Karneval von Villanova de Cobres eine ganz wichtige Rolle: Er ist Magocho – der Wächter, der aufpasst, dass niemand den Madamas und Galans den goldenen Zierrat vom Leibe reißt. Denn diese Damen und Herren sind gar prächtig ausgestattet: Auf dem Kopf balancieren sie 30 Zentimeter hohe Hüte aus ineinander verflochtenen Kunstrosen, Püppchen, Spiegeln, Plastikerdbeeren und ähnlichem Schnickschnack. Die Frauen tragen zudem pfundweise Ketten aus Glassteinen, Perlen oder Silberdraht um den zarten Hals. So ziehen sie im Dutzend von Haus zu Haus, tanzen zur Musik ihrer Dudelsackspieler eine Art französische Quadrille, und je nachdem, wie die Spende ausfällt, entzünden die mitmarschierenden Kanoniere ganze Serien von Böllern und Raketen. Magochos, erklärt Fabio, würden außerdem in den Ställen Eier „leihen“ (dürfen), aus denen am Dienstag ein großer Kuchen für alle gebacken würde.

Sehnsucht nach grellem Bunt und fröhlichem Feiern

Fährt man in diesen Wintertagen durch das menschenleere Bergland, in dem Baumskelette mit Flechtenbärten wie Berggeister aus dem Nebel winken, versteht man, woher die Vorliebe der Menschen für Traum- und Alptraumgestalten und ihre Sehnsucht nach grellem Bunt und fröhlichem Feiern rühren.

Auch in Vilariño de Conso kommen sie zusammen. Die Folións marschieren auf, die Karnevalsvereine der umliegenden Bergorte. Sie sind in Fleecejacken und Jeans gekleidet, uniform, aber unauffällig, um die Exaltiertheit der wenigen Boteiros zu betonen. Die tragen Hemden, die dicht mit bunten Bändern bestickt sind, und hohe Kronen, die an päpstliche Tiaras erinnern, flittriges Zeug, aus dem gelbe Rosen blühen. Den Sound zu ihren Narrensprüngen rund um ihre Stöcke liefern die Folións, bei denen sich Alt und Jung die Seele aus dem Leib trommeln. Unterlegt vom dumpfen, schweren Rhythmus der wagenradgroßen Pauken, klirren und klimpern Eisenstäbe und Hämmer auf Sensen und Spaten – überaus wehrhaft klingt das, überaus bäuerlich und sehr alt. Dass im Dorf am gleichen Tag das „Fest des Zickleins“ mit dampfenden Portionen Fleisch und deftigem Kohleintopf begangen wird, passt ausgezeichnet dazu.

Das Kontrastprogramm – Eleganz – liefert Laza. Mario Coella ist im Wohnzimmer seines Hauses gerade dabei, seinen Sohn in einen echten Peliqueiro zu verwandeln. Der trägt schon die durchwirkte weiße Strumpfhose, ebenso die Hose mit den grünen und weißen Bommeln und das weiße Hemd. Es folgt der Gürtel mit den sechs Kuhglocken und am Ende die Maske mit dem grinsenden Gesicht, über dem sich ein Schild mit dem perfekten Porträt eines Tigers erhebt. 1500 Einwohner hat die Gemeinde, etwa jeder Zehnte kommt heute „im Anzug“ daher, wie man sagt. Die Tracht ist vollkommen gleich, lediglich das Tierporträt über dem Gesicht wählt jeder nach eigenem Gusto. Nach und nach traben die Maskenträger in Gruppen aus einer Nebenstraße an. Sie schwingen ihre Peitschen, die Schellen lärmen eine letzte Warnung, sie gewinnen an Tempo, stürmen los, und wer jetzt nicht aus dem Weg ist, den trifft ein Hieb oder eine breite Brust – Karneval in Laza ist nichts für Weicheier!

Das Verrückteste zum Schluss

Doch die ganz tollen Tage, an denen die Dörfer sich mit Verrücktheiten überbieten, kommen erst: In Viaña do Bolo feiert man dann eine spezielle Karnevalswurst mit einem großen Bankett. In Cobres versuchen Mutige, einen Hahn zu packen, der sich auf einem eingeölten Eukalyptusstamm befindet, der wiederum über einen Fluss ragt. Und in Laza schießen die Peliqueiros und ihre Mitstreiter Mehl über die Zuschauer und bewerfen sie mit Ameisen, die sie zuvor mit Essig richtig wild gemacht haben, damit sie auch kräftig zwicken und zwacken.