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Reportagen

Einmal Millionen Sterne sehen

Bizarre Felsformationen ragen in den Himmel, den rund 400.000 Millionen Sterne schmücken. Sie bilden 88 Sternbilder, 83 davon kann man vom Teide aus sehen.
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Wanderung auf schmalem Pfad und durch dichten Farn in Anaga
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Die Cueva del Viento ist eine Höhle in der Nähe von Icod de los Vinos im Norden Teneriffas.
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Start zum Paragliding mit Blick auf den Teide
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Künstler, Helfer und Publikum bei der Blüten- und Sandmalerei-Show in La Orovata. Höhepunkt des Spektakels ist am Fronleichnamstag, der auf Teneriffa eine Woche später als in Deutschland gefeiert wird.
© Wolfgang Polte

Zu Teneriffas weniger bekannten und stillen Seiten gehören Nachtwanderungen mit Sterne schauen, Sand- und Blüten-Malereien und einsame Felsbuchten.

von Wolfgang Polte (Text und Bilder)
 

Näher an den Sternen kann man auf der Erde nicht schlafen. Auf 2207 Metern Höhe steht das höchstgelegene Hotel von Teneriffa, der »Parador de las Cañadas del Teide«. Ringsum dehnt sich ein riesiges schwarzes Lavafeld, aus dem in der Dämmerung gespenstisch bizarre Felsen ragen. Darüber wölbt sich ein Himmel wie dunkler Samt mit unzähligen Sternen. Sie leuchten so klar wie nirgendwo in Europa. Keine Abgase, kein Staub und keine Lichtverschmutzung, ausgelöst durch Straßenlaternen, Autoscheinwerfer oder Leuchtreklamen, können sie trüben.

»Weißt du wie viel Sternlein stehen«, singt eine Frau aus der Gruppe spontan, die eine der täglichen Sternenwanderungen auf den Teide, mit 3718 Metern der höchste Berg Spaniens, mitmacht. Keiner kann sie zählen. Juan, der Wanderführer erklärt, das es rund 400.000 Millionen gibt. Sie bilden 88 Sternbilder. 83 davon sind vom Teide aus zu sehen.

»Großer und kleiner Bär, Orion, Zwillinge, Jungfrau«, zählt Juan auf. Er erklärt, wo Jupiter und Venus strahlen. Die Milchstraße erkennt jeder, ebenso blinkende Satelliten. Mucksmäuschenstill bestaunen alle den Himmel und schleichen nach zwei Stunden Beobachtung glücklich lächelnd ins Hotelbett. 

Sternenwanderungen sind das jüngste Angebot auf der großen Palette kanarischer Urlaubsfreuden, die bislang eher schrill statt still waren. Auf Teneriffa spielt sich diese laute, bunte Seite im Süden der Insel ab, wo die meiste Sonne scheint und darum die größten Bettenburgen stehen. Dort lockt auch der »Siam Park« mit riesigen Wasserrutschen und kitschigen Thailandbauten und das »Aqualand Costa Adeje« trotz der horrenden Eintrittspreise (Familie mit drei Personen um 70 Euro) täglich Tausende. Nur Sonne und Strand wird auf Dauer vor allem Kindern etwas langweilig. 

Dass die Insel in der Mitte und im Norden Dutzende stille und attraktive Seiten hat, wird erst langsam entdeckt. Die Sternenwanderungen sind da noch Geheimtipp. Nicht mehr als zwölf Personen nehmen an den Touren teil. Etwas größer sind die Wandergruppen, die zum Teil sehr einsame Wege im 19.000 Hektar großen Nationalpark Teide gehen. Die Teilnehmerzahl der Gipfelbesteigungen von der Endstation der Seilbahn ist begrenzt auf 200 Personen täglich. Die Genehmigung muss ein paar Tage vorher beantragt werden. 

Outdoor-Erlebnis auch für Rollstuhlfahrer

»Natur und Brauchtum erleben« heißt der aktuelle Teneriffa-Trend. Insgesamt 72 Wanderrouten gibt es inzwischen, alle gut mit Wegweisern versehen. Sie führen ins meist geröllige Gelände, einige sind sehr steil. Es gibt aber auch flach verlaufende Routen. Einige sind sogar dafür ausgelegt, dass Gehbehinderte ein unvergessliches Outdoor-Erlebnis genießen können. Dafür gibt es einen speziellen Outdoor-Rollstuhl, der auf den Namen »Joelette« getauft wurde. Mit ihm sind sogar schon etliche Querschnittgelähmte auf den Teide gebracht worden.

Neben den Wanderwegen sieht man Pflanzenarten, die nur hier wachsen wie Teide-Ginster, -Gras, -Margeriten und -Veilchen, Natterkopf und Moosarten. Eidechsen huschen über die Lava-felsen. Mit etwas Glück sind Mufflons und Wildkatzen zu beobachten. Turmfalken, Milane und Sperber kreisen und sind weit beindruckender als die unzähligen Vögel im überlaufenden »Loro Park« von Puerto de la Cruz, auch wenn der zu den besten der Welt zählt, aber etwas zur Zoo-Disney-World mutiert ist. 

Der spannendste Wanderweg führt in Richtung »Los Azulejos«, genannt nach den bunten portugiesischen Kacheln, weil die Farbspiegelung in diesem Teide-Talkessel ähnlich ist wie auf den Fliesenwänden. Bester Start ist die vielbesuchte Felsformation Roques de García, mit dem Roque Cinchado, dem
»Finger Gottes«, das wohl am häufigsten fotografierte Naturdenkmal Teneriffas.

Schon nach wenigen Schritten wird es wildromantisch. Ich fühle mich wie auf einem Planeten aus einem »Krieg der Sterne«-Film. Der fast ebene Pfad führt in die Llanos de Ucanca, ein schattenloses Tal mit den grün-blauen Felsformationen. Sie schimmern je nach Sonneneinstrahlung in bis zu 17 Nuancen. Tatsächlich hat der Sand in dieser Ebene sieben Farben, die zusammen mit den weißen, prinkfarbenen, blauen und gelben Blütenblättern sowie dem Grün der Kräuter das Material für das größte, kirchliche Spektakel auf der Insel bilden. Bislang wird es fast nur von Einheimischen besucht. 

Blumige Heiligen-Bilder

Einmal im Jahr werden der bunte Sand aus dieser Teide-Region und Millionen Blütenblätter von Einwohnern des Städtchens La Orotava gesammelt und von rund 20 einheimischen Künstlern und Laienhelfern zu riesigen Bildern und Blumenteppichen mit Heiligenfiguren geformt. Höhepunkt dieser Blüten- und Sandmalerei-Show ist der Fronleichnamstag, der auf Teneriffa eine Woche später als in Deutschland gefeiert wird. Auf dem größten Platz der Stadt vor dem Rathaus und auf den umliegenden Straßen werden die vergänglichen Kunstwerke bewundert und auch angebetet. Der Sandteppich mit drei Motiven ist der größte der Welt und wurde ins »Guiness-Buch der Rekorde« aufgenommen.

La Orotava ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Vor der Stadt mit einem denkmalgeschützen Altstadtkern, vielen Palästen, Kloster- und Kirchengebäuden und Herrenhäusern liegen drei der einsamsten, weil unbekanntesten Strände Teneriffas. Grund für diese Einsamkeit: Der Abstieg ist steil und schwer, aber auch ein unvergessliches Erlebnis. Er führt hinter dem Restaurant »San Diego« über geröllige Wege und verwitterte Stufen ans Meer. Unterwegs gibt es immer wieder atemberaubende Ausblicke auf den schwarzen Sand der Felsbuchten, heranrauschenden weißen Wellenkuppen und das dunkelblaue Meer. Schon etwas verwitterte Schilder weisen auf »El Ancón«, »Los Patos« und »El Balullo«. So kann man sich unterwegs aussuchen, in welche Bucht man will. 

Noch beschaulicher als La Orotova ist Garachico an der Nordwestküste. Für Kenner ist es der schönste Ort auf der Insel, mit malerischen Gassen und alten spanischen Häusern. Auf den Balkonen blühen Geranien. Türen und Fenster sind mit Schnitzereien verziert. In kleinen Hotels kann günstig übernachtet werden. Ein Naturschwimmbecken sorgt für bis zu fünf Grad wärmeres Wasser als im angrenzenden Atlantik. 

Nur ein Ort auf der Insel erinnert mehr an das alte, reiche Teneriffa: La Laguna. Vor rund 300 Jahren war es noch Inselhauptstadt, seit 1710 Universitätszentrum. Da viele Kreuzfahrttouristen in das Städtchen Ausflüge machen, ist es meistens nur in den frühen Morgen- und Abendstunden still. Dann bummelt man mit einigen betagten Einheimischen durch die Altstadtstraßen mit renovierten Palais, Kirchen und Klöstern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die Boutiquen, Cafés und Restaurants öffnen erst gegen Mittag.

In den Calle Turina bleibe ich verwundert stehen. Aus einem Haus klingt es fröhlich wie auf einem Dorffest, das ich mal vor über fünfzig Jahren auf Teneriffa erlebte. Hier steht das Haus des berühmtesten spanischen Folklore-Chores: Los Sabandenos. 50 Männerstimmen singen Malagueñas, Sevillanas und Jota-Melodien, nach denen im Walzertakt getanzt werden kann. Kastagnetten und Akkordeons erklingen. Es ist wahre Gute-Laune-Musik und die schönste Erinnerung an die besten Seiten der größten Kanareninsel.