Newsletter

Reportagen

Tiefer blicken

Claude Monet in seinem Garten in Giverny, ca.1917. Im Hintergrund ist die japanische Brücke zu sehen, die er gern und oft als Motiv für seine Gemälde wählte.

© Wikimedia Commons/public domain/ Étienne Clémentel

Das Bild „Unter den Pappeln“, 1887, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, signiert und datiert unten links: Claude Monet 87, hängt im Museum Barberini in Potsdam.

© Museum Barberini/David von Becker

Katral-Brille im ZEISS Museum der Optik in Oberkochen. Der schwedische Arzt und Nobelpreisträger Allvar Gullstrand arbeitete seit 1900 mit ZEISS zusammen und hat dort wichtige Gläserentwicklungen inspiriert. Nach Star-Operationen fast blind gewordene Patienten konnten mit Katral-Brillengläsern wieder gut sehen – auch Claude Monet.

© ZEISS Museum der Optik Oberkochen

Das Museum Barberini in Potsdam ist eines der wichtigsten Ausstellungszentren französischer impressionistischer Landschaftsmalerei. Es befindet sich im rekonstruierten klassizistisch-barocken Palast Barberini, dessen architektonisches Vorbild und Namensgeber der Palazzo Barberini in Rom war

© Michael Juhran

Das Museum Barberini in Potsdam präsentiert seit Herbst letzten Jahres eine umfangreiche Sammlung impressionistischer und postimpressionistischer Gemälde. Werke, die nicht nur die Bewunderer erfreuen, sondern auch Anstöße für neue Ansätze in der medizinischen Erforschung des Grauen Stars geben.

Michael Juhran (Text)

Lichtdurchflutete Landschaften mit bunten Blumenwiesen, rauschenden Bäumen und filigranen Seerosen oder das Meer vor der untergehenden Abendsonne – Naturparadiese, nach denen sich jeder am Ende eines langen Winter-Lockdowns sehnt. 

Wie weltbekannte Impressionisten ihre Lieblingsmotive in Szene setzten, kann man in einer beeindruckenden Dauerausstellung des Museums Barberini in Potsdam sehen. Über 100 Meisterwerke von Claude Monet, Auguste Renoir, Camille Pissarro, Paul Signac und weiteren Malern stellte Museumsgründer Hasso Plattner zur Verfügung. Damit avanciert die brandenburgische Landes-hauptstadt zu einem der wichtigsten Ausstellungszentren französischer impressionistischer Landschaftsmalerei. Nach dem Besuch mag man „... kaum wieder in die Welt da draußen zurück“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“, und der „Tagesspiegel“ befindet, dass „Potsdam ... weit nach vorne im Ranking deutscher Museumsstandorte rückt.“

Ein Fest für die Sinne

Es berührt zutiefst die Seele, wenn man bei der Betrachtung von Monets „Die Pappeln in Giverny“ meint, ein Blätterrauschen zu vernehmen, auf Renoirs „Waldweg“ weiter dem leuchtenden Grün entgegenspazieren möchte, bei Pissarros „Raureif, eine junge Bäuerin macht Feuer“ quasi den Rauchgeruch in der Nase hat oder sich bei Signacs „Der Hafen bei Sonnenuntergang“ in die Wärme des Mittelmeeres versetzt fühlt.

Allein die 34 ausgestellten Werke von Claude Monet (1840 bis 1926) lassen den Besuch der Ausstellung zu einem Erlebnis werden. Seine in Farben, Licht und Schatten interpretierten Emotionen sind exemplarisch für den Aufbruch der Impressionisten in eine neue Kunstepoche, die sich von der klassischen Portrait- und Landschaftsmalerei löste und Natureindrücke sinnlich erfahrbar machte.

Augenkrankheit brach Monet fast das Herz

Monets Bilder sind aber auch aus medizinischer Sicht bedeutend. So wie Ludwig van Beethoven mit zunehmendem Alter an Gehörlosigkeit litt, hatte Monet seit 1912 mit den Folgen des Grauen Stars zu kämpfen. Eine sich immer stärkere Eintrübung der Augenlinsen ließ die Kontrasterkennung verwischen und verschob das wahrgenommene Farbspektrum. So musste Monet feststellen, dass er farbliche Zwischentöne kaum noch erkannte, Rottöne trübe und Rosatöne fade erschienen. In seinen Spätwerken reduzierte sich somit die Farbskala drastisch. 

Besonders deutlich wird dies an Monets Bildern von den Seerosen vor der japanischen Brücke in seinem Garten in Giverny, die er besonders gern und besonders oft als Motiv auswählte. Noch im Jahr 1899 malte er sie voller Farben mit frischem Blau und Grün, im Jahr 1919 aber abstrakt verwischt und kaum noch erkennbar aus Rot- und Brauntönen konfiguriert. Die Kunstkritik seiner Zeit war verheerend. Monet brach die Augenkrankheit nahezu das Herz. 1922 klagte er, dass er nichts Schönes mehr schaffen könne.

Rettung durch neu entwickelte Brille

Voller Verzweiflung entschloss er sich 1923 schließlich zu einer damals äußerst gewagten Augenoperation und ließ die getrübten Linsen entfernen. Nun konnte er zwar wieder mehr Farben erkennen, eine erhoffte Verbesserung der Kontrastwahrnehmung blieb jedoch zunächst aus. 

Erst ein Jahr vor seinem Tod fand er mit Hilfe einer neu entwickelten Brille von ZEISS zur Malerei zurück. Im Jahr 1910 hatte ZEISS die sogenannten Katral-Gläser zur Marktreife entwickelt, die eine Fehlsichtigkeit nach der Augenoperation ausglichen. „Diese Brillen konnten mit 12 bis 20 Dioptren weitgehend die entfernte natürliche Linse ersetzen“, sagt Joachim Kuss, der bei ZEISS für die Kommunikation der Augenoptik zuständig ist.  

„Künstliche Augenlinsen gab es zur damaligen Zeit noch nicht. Daher ließ sich die Blickschärfe nur mit einer Brille verbessern. Es ist kaum denkbar, dass Monet ohne diese Hilfe zur Malerei zurückgefunden hätte.“ Für den Künstler ging nun sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. In den letzten Lebensmonaten schuf er eine ganze Serie von Seerosen-Bildern, die Kunstinteressierte heute im Pariser Museum Marmottan Monet bewundern können.

Impressionistische Bilder hilfreich für die Wissenschaft

„Eine Brille war die einzige Chance, dass er überhaupt noch etwas sah und weitermalen konnte“, versichert auch Professorin Barbara Krystyna Pierscionek, stellvertretende Dekanin an der Anglia Ruskin University. Die englische Wissenschaftlerin forscht intensiv auf dem Gebiet der Augenoptik, der Augenalterung und der Augenkrankheiten. 

Mit speziellen Computerprogrammen analysierte sie unter anderem die Gemälde Monets und Pissarros, deren Schaffen zunehmend durch Augenkrankheiten beeinflusst wurde. „Die Werke der Impressionisten sind besonders für meine Forschung geeignet, weil sie sich stark auf das Licht und die Farben einließen“, erläutert Pierscionek in einem Interview mit dem Schweizer Rundfunk. „Damit konnte ich anhand der Bilder besonders klare Rückschlüsse auf den Zustand ihrer Augen ziehen.“ 

Die analysierten Kunstwerke halfen der Wissenschaftlerin, herauszufinden, wie sich die Wahrnehmung der Umgebung durch den Grauen Star verändert. „Daraus können wir schließen, worauf man in der Wohnung eines Sehbehinderten achten muss.“ In ihrem Labor ließ sie eine Modellwohnung einrichten, in der sie die Beleuchtung und das Mobiliar für Sehgeschädigte optimierte. In einer Umgebung mit indirekten Leuchtsystemen, die eine scharfe Schattenbildung vermieden, fanden sich Testpersonen beispielsweise deutlich besser zurecht.