Öko-Update

1972 überreichten Wissenschaftler des Club of Rome einen Bericht zum Zustand der Welt. „Die Grenzen des Wachstums“ war der Bestseller der entstehenden Öko-Bewegung.
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„The Limits to Growth“ wurde von Wissenschaftern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, Massachusetts, zusammengestellt, hier im Bild das Team von links nach rechts: Jørgen Randers, Jay Forrester, Donella Meadows, Dennis Meadows, William Behrens.
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Txai Suruí, 24, kommt aus dem Bundesstaat Rondônia im Norden Brasiliens. Die Jurastudentin ist Gründerin der Indigenen Jugendbewegung in ihrem Bundesstaat und hielt am Eröffnungstag der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow eine bewegende Rede.
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Ein Aktivist erinnert im Umfeld der COP26 an die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung. Sie wurde am 25. September 2015 von 193 Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York verabschiedet. Mit diesem Vertrag verpflichten sich die Staaten dazu, allen Menschen bis zum Jahr 2030 ein Leben in Würde zu sichern.
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Die Stellschrauben, um die Welt vor einem Kollaps zu bewahren, waren laut Club of Rome 1972 u.a. die fünf global wirksamen Tendenzen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffreserven und Zerstörung von Lebensraum.
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1972 überreichten Wissenschaftler des Club of Rome einen Bericht zum Zustand der Welt. „Die Grenzen des Wachstums“ war der Bestseller der entstehenden Öko-Bewegung. Was aber hat dieses Wissen seit damals wirklich bewirkt? Ein Interview mit dem Zeithistoriker Professor Dr. Rolf-Ulrich Kunze
Frauke Gans (Interview und Text)
In diesem Frühjahr ist ein halbes Jahrhundert verstrichen, seit der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome die Weltbevölkerung aufschreckte. Zur Erinnerung noch einmal die Kurzfassung: Wenn Unternehmen und Regierungen ohne Rücksicht auf die Kosten weiterhin ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum anstrebten, würde der Niedergang oder Zusammenbruch der industriellen Zivilisation früher oder später unausweichlich sein. Im Detail stellten die Forscher damals mithilfe eines Computermodells namens „World3“ und auf Grundlage von Daten zu den fünf global wirksamen Tendenzen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffreserven und Zerstörung von Lebensraum zwölf mögliche Zukunftsszenarien vor.
Die Studie stieß 1972 Umweltdiskussionen auf dem gesamten Globus an und war in Deutschland Anlass für die Gründung der Partei „Die Grünen“. Aber was ist seit der Veröffentlichung passiert? Zwar tagte im November letzten Jahres die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow, aber während Industrie-nationen relativ zuversichtlich Richtung Klimagipfel 2022 in Ägypten schauen, klagt das Forum der Klima-Verwundbaren (CVF) über mangelnde soziale Gerechtigkeit, und Klimaaktivistin Greta Thunberg sieht eine fehlende Bereitschaft, den Status Quo zu senken.
Gründe genug für den Historiker Professor Dr. Rolf-Ulrich Kunze, einen kritischen Blick auf die Zeit nach der Buchveröffentlichung zu werfen. Im Departement für Geschichte der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) analysiert er außerdem, wieso die Resonanz auf die Studie in den europäischen Ländern so unterschiedlich ausgefallen ist, beobachtet Umweltbewegungen der Gegenwart und wagt einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.
ärztliches journal:Herr Kunze, wie beurteilen Sie als Zeithistoriker die vergangenen 50 Jahre? Viele der Vorhersagen aus „Die Grenzen des Wachstums“ sind trotz der
Warnungen eingetreten. Haben wir uberhaupt etwas geändert?
Professor Dr. Rolf-Ulrich Kunze: Da würde ich ganz klar sagen: ja. Es gibt Veränderungen und Bewegungen, aber langsame. Es ist wie ein Parallelogramm von Kräften: Zieht man an einem Punkt des geometrischen Körpers, ragt dieser heraus und verändert die gesamte Form. Dabei bildet ein Punkt des Parallelogramms die Wahrnehmung. Der zweite steht für die mediale Vermittlung. Der dritte bildet die Akzeptanz. Durch sie kann das Thema in der jeweiligen Demokratie eine Mehrheit erreichen. Der vierte Punkt bildet die Frage, ob Änderungen in einem politischen System überhaupt umgesetzt werden können. Denn wenn es an irgendeiner der Ecken fehlt, kann der Wille zur Veränderung da sein, aber sie findet nicht statt.
Man braucht also die Akteure, an die sich die Politik richtet, Akzeptanz für die Politik, man braucht Ideen, welche Politik man machen will, und muss immer noch offen dafür sein, auf unerwartete Nebenwirkungen zu reagieren. Wir haben an allen Ecken des Parallelogramms Veränderungen vorgenommen. Und auf der institutionellen Seite herrscht fast überall parteipolitischer Konsens zum Thema. Doch offensichtlich noch nicht ausreichend.
Die Wahrnehmung und die mediale Vermittlung sind heute sehr ausgeprägt. Mangelt es also an Akzeptanz und am Willen zur Veränderung?
Je nach Nationalität und persönlicher Situation unterscheidet sich die Sicht auf die Studie. Und ihr Bekanntheitsgrad variiert. Ich wollte z.B. sehen, wie dieses Thema auf Niederländer und Deutsche gewirkt hat. Und habe bei meinen Studentinnen und Studenten festgestellt, dass es bei beiden Nationalitäten eine große Relevanz gab. Doch während in den Niederlanden fast alle Großeltern das Buch im Regal stehen haben und die Studie sehr emotional diskutiert wird, hatte es von den deutschen Studenten kaum einer gelesen, obwohl es gern im Zusammenhang mit der „Fridays for Future“-Bewegung zitiert wird. Bei den Niederländern hat die hohe Emotionalität autobiografische Gründe: die kontinuierliche Bedrohung durch die See. Im Gegensatz dazu hat man in Deutschland durch die politische Koppelung der Trias Frauenrechte, Umweltschutz und Frieden einen einzigartigen Sonderweg eingeschlagen. Die deutsche Wahrnehmung und Situation unterscheidet sich auch von anderen europäischen Ländern fundamental.
Es gibt also unterschiedliche Probleme und verschiedene Wahrnehmungen des Themas. Was unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten erzwingt, aber eben auch ermöglicht. Darin liegt einer der wesentlichen Gründe, warum eine einheitliche und homogene Antwort so schwer zu finden ist. Es wäre erstaunlich, wenn es sie bereits gäbe. Denn es fehlt zudem an der Instanz, die sie durchsetzen könnte. Auch auf der Ebene der EU. Sie kann nur an bestimmten Stellschrauben drehen und die betreffen technische, beziehungsweise ökonomische Fragen. Aber nie den umfassenden Problembereich.
Es fehlt also an allen Ecken für weltweite Lösungsansätze. Wo sollte die Politik angreifen?
Da kann ich mich prima aus der Affäre ziehen. Ich bin Historiker und nur zuständig für die Vergangenheit. Ich beschäftige mich damit, was der Club-of-Rome-Bericht eigentlich ist und was er will. Doch ich denke, es sollte möglich sein, sich den Herausforderungen der Komplexität zu stellen. Man sollte an den Stellen ansetzen, in denen man bereits Erfahrung hat. Es gab in den vergangenen 50 Jahren viele Beispiele frustrierender Art, aus denen wir die Konsequenz ziehen können, wie man es besser nicht macht. Beispiel globaler Süden: Er macht mehr als 50 Prozent unserer Welt aus und taucht in der medialen Debatte in einigen Punkten nicht auf. Im Club-of-Rome-Bericht geht es keineswegs allein um Ressourcenprobleme, sondern z.B. auch um das Bevölkerungswachstum. Daraus resultiert eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit. Im Prinzip müssten wir in Industrie-ländern nur auf 25 Prozent unseres Wohlstands, egal ob gemessen am Bruttosozialprodukt oder auch am eigenen Konsum, verzichten. Bedeutet das nicht auch, dass es keine rein technische Lösung für das Problem gibt, wie manchmal behauptet wird? Aber keine einzige politische Partei würde sagen: Klar, verzichten wir. Auch das sind Fragen, die durch die unterschiedlichen Lesarten der Studie entstehen.

"The Limits to Growth" wurde zum Bestseller, über 30 Millionen Exemplare wurden davon bis heute verkauft.
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2018 wurden Sandrine Dixson-Declève (links) und die südafrikanische Ärztin und Politikerin Mamphela Ramphele (rechts) auf der 50-Jahr-Sitzung des Club of Rome zu dessen gleichberechtigten Präsidentinnen gewählt.
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Die beiden Frauen repräsentieren einen Generationen- und Geschlechterwandel in der Institution. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurden zwei Frauen mit der Leitung der Organisation betraut.
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Wäre die Akzeptanz gegeben, die Maßnahmen funktionierten, die Prognosen verbesserten sich: Werden kommende Generationen dieses Verständnis wieder verlieren? Wie geschehen mit dem Trend kleinere Autos oder Impfstoffe?
Das ist ein psychologischer Punkt. Und als Historiker muss ich dagegen rebellieren. Wir können aus der Geschichte lernen. Aber es ist richtig, dass es schwierig und zäh ist. Wie an der DDR erkennbar. Je weniger Menschen sie tatsächlich miterlebt haben, desto harmloser sieht sie im Rückblick aus. Ein normaler Staat, nur etwas grauer. Das sind Effekte, die natürlich eine Rolle spielen.
Eine weitere Schwierigkeit sind die Dementis des Problems. Entstehen sie aus Angst vor der Realität?
Ich habe nicht die eine Antwort darauf. Ich kann nur auf die Parameter schauen und versuchen, sie plausibel zu erklären. Wir beobachten eine sich verändernde gesellschaftliche Situation, in der die Thematisierung bestimmter Dinge Teil einer politischen Polarisierung werden.
Hinzu kommt, dass eine Teilkritik an Studien wie „Die Grenzen des Wachstums“ Debatten tötet. Nicht alle Referenzkriterien des Berichts treffen exakt zu. Der heutige Kohleverbrauch Chinas zum Beispiel konnte vor 50 Jahren unmöglich korrekt vorhergesagt werden. Aber auch, wenn die Zahlen nicht genau stimmen: Die Richtung stimmt!
Eine weitere Rolle spielt, wie erwähnt, die Relevanzwahrnehmung und das Verständnis für Studien. Beispiel Exponentialfunktionen: Wenn man sie nicht kennt, versteht man die Prognosen nicht. Deshalb ist historisch politische Bildung wichtig. Mein Wunsch wäre es, wie etwa im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim bereits geschehen, mehr didaktisch museale Angebote zur Verfügung zu stellen. Die zeigen, wie wir uns schon über diese Probleme beugen. Und damit versuchen, aus der Erfahrung der Zeitgeschichte zu lernen.