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Reportagen

Concierge aus Leidenschaft

Natalia Syed blickt aus ihrer Loge mit dem Schild „Gardien“ in den Hof des Wohnblocks im 11. Arrondissement, in dem sie ca. 70 Wohnparteien betreut.

Natalia Syed blickt aus ihrer Loge mit dem Schild „Gardien“ in den Hof des Wohnblocks im 11. Arrondissement, in dem sie ca. 70 Wohnparteien betreut.

© Stephan Gabriel

In Frankreich wird der Berufsstand der Gardien von der Hausmeister-Gewerkschaft SNIGIC vertreten, laut der es in Paris rund 23.000 Concierges gibt.

In Frankreich wird der Berufsstand der Gardien von der Hausmeister-Gewerkschaft SNIGIC vertreten, laut der es in Paris rund 23.000 Concierges gibt.

© Adobe Stock/saiko3p

Der Wohnblock, in dem Natalia Syed arbeitet, liegt nahe des Pariser Musikclubs „Bataclan“, der durch die Terroranschläge vom 13.11.2015 traurige Berühmtheit erlangte. Die Gardienne gewährte damals vielen Opfern und Flüchtenden Zugang, half ihnen und den Rettungskräften und wurde dafür von der Pariser Bürgermeisterin mit einer Medaille als Anges-Gardiens ausgezeichnet.

Der Wohnblock, in dem Natalia Syed arbeitet, liegt nahe des Pariser Musikclubs „Bataclan“, der durch die Terroranschläge vom 13.11.2015 traurige Berühmtheit erlangte. Die Gardienne gewährte damals vielen Opfern und Flüchtenden Zugang, half ihnen und den Rettungskräften und wurde dafür von der Pariser Bürgermeisterin mit einer Medaille als Anges-Gardiens ausgezeichnet.

© Stephan Gabriel

In Corona-Zeiten wie leergefegt: Cafés und Restaurants in Montmartre mit Blick auf Sacré-Cœur

In Corona-Zeiten wie leergefegt: Cafés und Restaurants in Montmartre mit Blick auf Sacré-Cœur

© Adobe Stock/Kavalenkava

In einem Pariser Wohnblock gibt Natalia Syed Schutz und Geborgenheit  – gerade in Zeiten von Corona.

Stephan Gabriel (Bilder und Text)

Es gibt sie noch, die klassische Concierge. Die offizielle Berufsbezeichnung ist „Gardien“ beziehungsweise „Gardienne“. Sie gehören zu Frankreich wie das Bistro und das Baguette. Keiner kommt unbemerkt an ihnen vorbei. 

In einem Pariser Wohnblock im 11. Arrondissement betreut Natalia Syed rund 70 Wohnparteien. Als jüngste Gardienne im Quartier entspricht die Portugiesin mit französischer Staatsbürgerschaft so gar nicht dem Klischee aus dem vergangenen Jahrhundert, als man bei diesem Beruf noch eine kratzbürs-tige und neugierige Frau wie aus einem  der Filmklassiker vor Augen hatte.

Starkes Bindeglied

Die tägliche Arbeit in „ihrem“ Hochhaus während der Corona-Pandemie ist ein Synonym für Risikobereitschaft und eine zusätzliche Herausforderung. Sie muss sich ständig mit neuen Konflikten auseinandersetzen. 

Seit der Ausgangssperre ist die Concierge ein noch stärkeres Bindeglied zwischen den Bewohnern geworden. Neben der Reinigung der öffentlichen Bereiche wie Türgriffe, Aufzugsknöpfe und Eingabemasken für die digitalen Codes bietet sie allen Menschen in der näheren Nachbarschaft ihre Hilfe an. Ein wenig Trost in dieser Zeit der Isolation. „Derzeit spreche ich mit den Leuten lieber am Telefon als mit ihnen von Angesicht zu Angesicht und respektiere die Entfernung, wenn sie an meiner Tür klingeln“, sagt sie.

Natalia Syed sitzt auf einer kleinen Steinbank im Innenhof. Linker Hand befindet sich ihre Loge mit dem Schild „Gardien“, von der aus sie stets einen guten Rundumblick hat und in der sie ihre Büroarbeit erledigt. Um sie herum grünt es. Die Hauswände mit ihren beige- und ockerfarbenen Backsteinen wirken wie aus einer anderen Zeit. Das 11. Arrondissement war früher ein Arbeiterviertel. In vielen lang gestreckten Hinterhöfen hatten einst Handwerker ihre Werkstätten. Heute dienen die Höfe oft als sehr schön gestaltete Rückzugsorte für die Bewohner, denn abends geht in dem zum Ausgehviertel avancierten Bezirk häufig die Post ab.

Die Gardienne lässt den Blick über den Hof schweifen. Er liegt nur wenige Meter vom „Bataclan“ entfernt, jenem Musikclub, der durch die Anschläge vom 13. November 2015 traurige Berühmtheit erlangte. Drei Attentäter töteten 90 Menschen und verletzten Hunderte. Natalia Syed bekam schnell mit, dass etwas nicht stimmte, und reagierte geistesgegenwärtig, indem sie etlichen verängstigten Menschen Zugang gewährte. Sie ließ fast 80 Verletzte in den Innenhof des Gebäudes und in ihre eigene Wohnung, um sie notdürftig mit Verbandsmaterial und Getränken zu versorgen. Seinerzeit wurde sie für ihren Einsatz und die Mithilfe für Opfer und Flüchtende sowie für die Unterstützung der Rettungskräfte ausgezeichnet. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo übergab ihr eine Medaille als Anges-Gardiens („Engels-Hausmeister“). Natalia Syed erzählt, dass sie seit dieser Nacht von damals noch aufmerksamer, vorsichtiger und manchmal auch etwas misstrauischer geworden sei. Sie hat gelernt, bewusster zu leben und politischer zu denken.

Die gute Seele des Hauses

Gut 20 Jahre ist es her, dass sie die Arbeit in „ihrem“ Wohnblock aufgenommen hat. Sie fing als Vertretung für ihre Cousine an und ist bis heute geblieben. Zuvor war sie in der Modebranche tätig, doch diesen Job gab sie schnell auf – „zu stressig“, sagt sie. Lieber war es ihr, sich um Mitmenschen zu kümmern, die ihre Hilfe zu schätzen wissen. Denn nicht selten erzählen ihr die Mitbewohner, was sie auf dem Herzen haben. Natalia Syed sieht sich nicht nur als Hausmeisterin und Putzfrau, sondern oft genug auch in der Funktion der Psychologin und Vermittlerin, etwa wenn es hier und da einen Streit zwischen Wohnparteien zu schlichten gibt.

Die 43-Jährige fühlt sich hier in ihrem kleinen Reich gebraucht. Der Kontakt mit Menschen – das ist es, was ihr gefällt. Für sie sind ein Teil der Mitbewohner wie eine zweite Familie. Als Katholikin lebt sie mit ihrem Mann, einem Muslim, und ihren drei Kindern auf engen 30 Quadratmetern. Ihr Monatslohn: 1000 Euro netto. Als Vollzeit-Gardienne ist sie Tag und Nacht wachsam. Zwar gibt es feste Arbeitszeiten, doch im Schlaf bleibt sie häufig im Dämmerzustand. Denn, so erzählt sie, trotz Zahlencode an der Haustür hätten Diebe schon einen Einbruch versucht. Die Gauner bekamen die resolute Seite von Natalia Syed zu spüren.

Was nicht heißt, dass sie nicht ab und zu auch Milde walten lässt: Bei eisiger Kälte im Winter hatte sie zum Beispiel vor einiger Zeit auch schon mal ein Herz für einen Obdachlosen und gewährte ihm einen Schlafplatz neben den Mülltonnen. Solange das kein Eigentümer bemerke, könne sie das schon mal durchgehen lassen, meint sie augenzwinkernd. Jedoch stehen den Obdachlosen in diesen Zeiten von Corona Notunterkünfte der Stadt zur Verfügung. „Meine Aufmerksamkeit richte ich jetzt in erster Linie auf fragile und hilfsbedürftige Mitmenschen, deren Betreuer Schwierigkeiten haben, an ihrer Seite zu sein“, sagt Natalia Syed.

Sicherheit und Diskretion

In Frankreich wird der Berufsstand der Gardien von der Hausmeister-Gewerkschaft SNIGIC (Syndicat national indépendant des gardiens d’immeubles et des concierges) vertreten. Der Beruf ist gesetzlich geregelt, Richtlinien für Arbeits- und Lohnverhältnisse sind in einem Tarifvertrag festgelegt. In den vergangenen 32 Jahren sind in Frankreich aus Kostengründen fast 30.000 Con-cierge-Stellen gestrichen worden, viele  in der Branche fürchteten schon das Ende des Berufsstandes. Heutzutage jedoch ist die Zahl der angestellten Concierges nach neuesten Statistiken sogar wieder gestiegen, in Paris  gibt es aktuell laut SNIGIC rund 23.000 Concierges. Besonderer Service: Zum Schutz bietet die Stadt an der Seine den Gardiens Erste-Hilfe-Kurse an – auch im Hinblick auf potenzielle Anschläge. 

Wie ihre Tausenden Kolleginnen und Kollegen beaufsichtigt Natalia Syed in erster Linie das Gebäude. Sie ist zuständig für die Postverteilung und die Sauberkeit im Haus, sie stellt die Mülltonnen hinaus, wechselt Glühbirnen, verwaltet Ersatzschlüssel und ruft Handwerker, wenn es in einer Wohnung Probleme gibt. Und sie hilft älteren, alleinstehenden Mitbewohnern – darunter einem an Demenz erkrankten Schützling –, erledigt deren Einkäufe oder geht für sie zur Apotheke. Trinkgeld für diese Botengänge lehnt sie ab, freut sich aber über die vielen Aufmerksamkeiten zu Weihnachten. Sogar Freundschaften im Haus sind schon entstanden.

Viele Bewohner sind überzeugt, dass die Hilfsbereitschaft und gute Atmosphäre, für die eine Gardienne häufig sorgt, zum sozialen Gemeinschaftsleben beiträgt. Natalia Syeds oberste Gebote bei alledem sind stets Sicherheit und Diskretion: „Trotz Wachsamkeit befürchte ich aber, dass sich die Situation in diesem Szenario langfristig wohl eher verschlechtern wird.“ Etliche Wohnblockeigentümer sind der Meinung, ein Türcode, eine Videokamera für die Überwachung und externe Dienstleis-ter für die Reinigung seien preiswerter. Inzwischen fühlen sich viele Pariser durch die Präsenz von Concierges aber sicherer – besonders in Zeiten des Terrors und von Corona im Land.