Augsburg: Medizin- und Fuggerstadt

Blick in die Fuggerei in Augsburg, eine der ältesten bestehenden Sozialsiedlungen der Welt
© Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungen, Foto: Eckhart Matthäus

Dieses Bild einer Fuggerei-Bewohnerin im Garten war Teil der Ausstellung „Fuggerei NEXT500“.
© Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungen, Foto: Daniel Biskup

Fuggerei mit Blick aufs Augsburger Rathaus
© Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungen, Foto: Eckhart Matthäus

Die noch erhaltenen Ost- und Südflügel der einstigen Hessing’schen Ökonomie- und Heilanstalt
© Wikimedia Commons/Manfi.B./CC BY-SA 3.0
Seit dem Mittelalter wurden vor allem in den Städten wichtige Grundlagen für die Gesundheitssorge und Krankenpflege geschaffen. An der Entwicklung Augsburgs zur Medizinstadt hatte auch die einflussreiche Kaufmannsfamilie Fugger großen Anteil.
Marion Vorbeck (Text)
Mit ihren medizinischen Einrichtungen wie den Hessing-Kliniken genießt die Stadt am Lech längst einen guten Ruf, inzwischen wurde der orthopädische Schwerpunkt um die Fachbereiche Geriatrie und Rheumatologie erweitert. Den Grundstein zur europaweit gefragten chirurgischen Kur- und Heilanstalt legte einst Friedrich Ritter von Hessing im Jahr 1868. Auch das kurz vorher fertiggestellte Hauptkrankenhaus galt schon früh als mustergültige medizinische Einrichtung.
1904 dann eröffnete in Augsburg mit dem Spital der Barmherzigen Schwestern das bayernweit erste Ordenskrankenhaus Vincentinum mit 50 Betten und den Fachrichtungen Augenheilkunde, Chirurgie, Gynäkologie und HNO. Gerade in den vergangenen Jahren hat Augsburg einen weiteren entscheidenden Schub in Richtung Medizinstadt mit der Gründung einer medizinischen Fakultät genommen, mit dem Start des Studiengangs Humanmedizin im Wintersemester 2019/20 sowie der Umwandlung des Zentralklinikums in eine Universitätsklinik. Erklärtes Ziel: mit universitärer Spitzenmedizin in Ausbildung und Forschung auszustrahlen. Eine folgerichtige Entwicklung, wie ein Blick zurück auf dem Zeitstrahl zeigt.
Wissenstransfer auf der Nord-Süd-Achse
Bis in die vorchristliche Zeit lässt sich die Geschichte der Fuggerstadt, eine der ältesten Ansiedlungen Deutschlands, zurückverfolgen. Zur Blüte der einstigen römischen Provinzhauptstadt „Augusta Vindelicum“ als bedeutende Handelsstadt mit Beziehungen nach Italien und zu den Hansestädten an Nord- und Ostsee trug die günstige Lage an alten Fernstraßen bei. Ansässige Kaufmannsfamilien wie die Welser oder Fugger dehnten von hier aus ihren Einfluss weit über das Heilige Römische Reich hinaus aus.
Auch dem medizinischen Fortschritt nutzte es, dass einzelne Ansiedlungen nicht isoliert waren und stattdessen über die Stadtgrenzen hinaus Austausch stattfand. Dieser wurde durch das Aufblühen des Augsburger Buchdrucks befeuert: Um 1600 galt Augsburg als Europas Verlagsmekka. Somit saßen die medizinischen Akteure wie auch die Bürger direkt an der Informationsquelle, denn neben geistlichen und erbaulichen Schriften fanden Arzneibücher regen Absatz. Bereits die erste deutsche Kinderheilkunde von 1473 war ein Bestseller, ebenso wie ein Band zu Arzneimitteln und -rezepturen von 1564.
Verknüpfung von Stadt- und Medizingeschichte
Die Medizin, wie wir sie heute kennen, fußt auf einer komplexen Vorgeschichte, denn die Entwicklung der öffentlichen Gesundheitspflege reicht bis ins späte Mittelalter zurück. Wo viele Menschen aufeinandertrafen – wie in Augsburg als Metropole des Heiligen Römischen Reiches um 1500 mit seinen rund 30.000 Einwohnern –, häuften sich Krankheitsfälle und Seuchen wie der „Schwarze Tod“ oder die Syphilis. Wie sollte man solchen Bedrohungen Einhalt gebieten? „Die Qualität einer Stadt hing maßgeblich mit der Bewältigung dieser Aufgabe zusammen“, sagt der Medizinhistoriker Robert Jütte. Dafür brauchte es Strukturveränderungen, die, so Jütte, „bis heute den Kern eines öffentlichen Gesundheitswesens ausmachen“. Gegenmaßnahmen von Hygiene über Quarantäne bis hin zur Einrichtung eines „Brechhauses“, eines Pestspitals für 150 Personen, wurden ergriffen. Gesundheit und Krankheit waren nun nicht mehr Privatsache, sondern öffentliche Angelegenheit; insbesondere die Beherrschbarkeit von Seuchen erkannte man nicht zuletzt als Garant für sozialen Frieden.

Jakob-Fugger-Bronzebüste in der Fuggerei
© Wikipedia CC BY 3.0 DE

Die Deckengemälde des Goldenen Saals im Augsburger Rathaus entstanden um 1620. Zum Bilderzyklus des Triumphes der Weisheit gehört auch die hier dargestellte Heilkunst in Frauengestalt (2. Oval von oben rechts), sie ist auch auf dem Cover des Tagungsbandes „Augsburg – Stadt der Medizin“ abgebildet (siehe rechts in der Marginalspalte).
© Augsburg Tourismus/Siegfried Kerpf

Ausschnitt aus: Jakob Fugger „der Reiche“, Albrecht Dürer, um 1518, „Tüchlein-Malerei“ auf ungrundierter Leinwand, 68x52 cm, Staatsgalerie in der Katharinenkirche, Augsburg
© Wikimedia Commons/gemeinfrei/Albrecht Dürer, ca. 1518
Die Fugger als Wohltäter
Sekundiert bei der Versorgung der Kranken wurden die Kommunen von der Kirche und reichen Bürgern, die oftmals als Stifter auftraten, wie etwa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Martin Zobel, dank dessen Unterstützung das Pilgerhaus zum Allgemeinen Krankenhaus aufgewertet werden konnte. Insgesamt entwickelten sich Heilberufe und Spitäler seit dem Mittelalter nun hin zu mehr Professionalität, indem Maßnahmen zu Prävention und Heilung beständig erprobt und weiterentwickelt wurden.
Ebenso anerkannt, jedoch im Volk beliebter als die sogenannten gelehrten Ärzte waren damals die Wundärzte, die lange Zeit am stärks-ten vertretene Heilergruppe. Sie muss jedoch, so Robert Jütte, aufgrund ihrer praktischen Ausbildung auch als professionalisiert bezeichnet werden. Erst im 19. Jahrhundert wurde das universitäre Wissen höher eingestuft als das handwerkliche, angestoßen durch die Kurpfuscherprozesse.
Als große Augsburger Stifterpersönlichkeiten traten vor 500 Jahren Jakob Fugger „der Reiche“ und in der Folge dessen Neffe Anton auf den Plan. Vermögen war reichlich vorhanden, denn in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts befanden sich der Fugger-Clan wie auch die Handels- und Textilstadt Augsburg selbst auf dem Höhepunkt der ökonomischen und politischen Macht.
Die Fugger agierten als Finanziers in den Sphären der Hochpolitik mit einer elitären Kundschaft bis hin zu den Habsburgern und dem Papst und erhielten im Gegenzug wertvolle Sicherheiten wie Berg- und Schürfrechte oder Handelsprivilegien. Bald beherrschte der Clan europaweit die Produktion wie auch den Handel und Vertrieb mit Silber, Kupfer und Quecksilber. Seine immensen Gewinne steigerte er mit der Errichtung von Münzstätten – die Grundlage des Fuggerschen Banken- und Kreditgeschäftes. Ihre insgesamt neun Stiftungen mitsamt Erweiterung und Zustiftungen waren für die Ewigkeit festgeschrieben und bestehen daher noch heute. Ziel der von den Fuggern gestifteten medizinischen Einrichtungen war es, bedürftige Bürger wieder arbeitsfähig zu machen, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnten.
Nicht selten hinterließen solche mächtigen Geber architektonische Spuren in ihren Wirkungs-Städten – eine der bekanntesten ist die Sozialsiedlung Fuggerei in Augsburg, eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt – und noch heute bewohnt. Jakob Fugger drängte wohl deshalb im Jahr 1521 auf schnelle Unterzeichnung der Stiftungsurkunde, noch bevor die Armensiedlung ganz fertiggestellt war, weil damals bereits die Pest in Augsburg grassierte.
Die Pest war nicht die einzige Seuche, die der Bevölkerung von Stadt und Land zusetzte: 1495 brach auch die damals als „Franzosenkrankheit“, „Franzosenpocken“ oder „Franzosenblattern“ bezeichnete Syphilis in Augsburg aus – wobei bis heute ungeklärt ist, ob es sich bei der Seuche tatsächlich um die venerische Syphilis handelte. Zu dieser Zeit, schreibt Claudia Stein in ihrem Tagungsband-Beitrag „Die Franzosenkur in Augsburg. Eine Erfolgsgeschichte“, spezialisierten sich die Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge auf einzelne Krankheiten; Ärzteteams in den Spitälern entschieden über Aufnahme und Entlassung. Die großen Spitäler wie Heilig-Geist und das Almosenhaus wiesen an der Syphilis Erkrankte rigoros ab.
Holzkur gegen die Franzosenkrankheit
Doch die Stadtoberen blieben nicht untätig: Um die Seuche zu isolieren und um die Betroffenen zu versorgen, wurde ein Franzosenhospital in einem Gebäude des damaligen Armenviertels Jakobervorstadt eingerichtet, das ursprünglich für Pestkranke gedacht war. Auch die Fugger engagierten sich in der Bekämpfung der Syphilis: In ihrer Sozialsiedlung Fuggerei entstand das „Holzhaus“, für das mehrere Wohnungen der Siedlung zur Behandlung der Erkrankten – vorausgesetzt, sie waren katholisch – umgebaut wurden.
In seinem letzten Willen verfügte Anton Fugger ein weiteres Holzhaus in der Jakobervorstadt, das 1572 eröffnete; damit verfügte die Stadt Augsburg nun über mehr Behandlungskapazitäten als jede andere deutsche Stadt. Die Bezeichnung „Holzhaus“ leitet sich von der ab 1522 praktizierten innovativen Behandlung mit Aufgüssen aus dem exotischen Holz des Guaiacum-Baumes ab – womit die Kranken von Einreibungen mit der bisher gebräuchlichen Quecksilbersalbe erlöst waren. Über die Guaiacum-Extrakte hinaus bewirkten Bettruhe und ausreichend Essen als kräftigende Wohltaten bei den notleidenden Patienten einen hohen Anteil an Genesungen.
Ein Schneidhaus für Augsburg
In seinem Testament wies Anton Fugger 28.000 Gulden auch für die Behandlung sogenannter Bruch- und Steinleiden aus. Dafür wurde wiederum in der Jakobervorstadt ein Spital, das „Schneidhaus“, errichtet. Hier fanden bedürftige Bürger beispielsweise mit Gallensteinen oder Leistenbrüchen Aufnahme oder konnten bei Bedarf ihre Wunden versorgen lassen. Möglicherweise handelt es sich bei diesem Schneidhaus um die erste chirurgische Klinik Mitteleuropas. Diese Geste des Stifters angesichts des eigenen nahen-den Todes mag Meinungen widerlegen, die den Antrieb für solcherart großzügige Gaben zum Wohle Bedürftiger eher in der Prestige-Pflege denn in der Sorge ums eigene Seelenheil sehen. Zumal die Bewohner der Fuggerei im Gegenzug für geringe Mieten täglich je ein Vaterunser, Ave Maria und Credo für den Stifter zu beten hatten.