Granit und Mystik

Kennzeichnend für Aberdeens Stadtbild sind die Gebäude aus silbergrauem Granit, wie hier das Marischal College. Es gilt als das zweitgrößte Granitgebäude der Welt.
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Aberdeen bietet auch maritimes Flair, wie hier am City Beach.
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Typisches Landschaftsrelief von Aberdeenshire inklusive dramatischem Wolkenhimmel
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Balmoral Castle ist nicht nur die Sommerresidenz der Queen, sondern auch ihr privates Eigentum.
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Bei den Führungen durch die „Royal Lochnagar Distillery“ kann man viel über die Zutaten und die Herstellung des Whiskys erfahren.
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Aberdeen lockt mit glänzender Architektur und großen Colleges, Aberdeenshire mit malerischer Landschaft und royalen Highlights.
Carola Faber (Text)
Es regnet. Nicht andauernd, aber immer mal wieder. Zwischendurch durchbrechen ein paar gleißende Sonnenstrahlen die dunkle Wolkendecke über Old Aberdeen, hüllen den historischen Teil der Granitstadt an Schottlands Ostküste in mystisches Licht. Da die Glimmeranteile im Granit in der Sonne zu glitzern beginnen, trägt Aberdeen auch den stolzen Namen »Silver City«. Die Nässe lässt das Kopfsteinpflaster ebenfalls glänzen und verleiht dem Anblick der historischen, dunklen Steinhäuser, die zum Teil noch aus dem 14. Jahrhundert stammen, zusätzlichen Charme. Es wirkt so, als könne Harry Potter jeden Augenblick um die Ecke eilen.
Im Mittelpunkt der Altstadt befindet sich das King’s College, das bereits 1495 gegründet wurde. Zum historischen Kern des College gehört auch die Kapelle, die 1509 fertiggestellt wurde. Die Gebäude weisen gotische Gestaltungsmerkmale wie die geschwungenen, filigranen Spitzbögen auf. Ein Spaziergang über den Campus ist nicht nur für Architektur- und Kunstfreunde spannend, sondern auch für alle, die sich auf eine kleine Zeitreise begeben möchten. Die St.-Machar-Kathedrale, deren sehenswerte Gebäudeteile aus der Zeit zwischen 1350 und 1520 stammen, gehört wie der elf Hektar große botanische Garten Cruickshank und das Rathaus aus dem 18. Jahrhundert zu den Sehenswürdigkeiten des Stadtteils.
Pub als Wohnzimmer
Ein wichtiger Treffpunkt für die Studenten seit mehr als 100 Jahren ist die „St. Machar Bar“ direkt gegenüber vom College. „Das hier ist wie ein Wohnzimmer. Für meine Gäste bin ich Freundin, Mutter, aber auch manchmal Krankenschwester oder Psychologin. Die jungen Menschen liegen mir sehr am Herzen. Es macht mir richtig Spaß, in diesem Pub zu arbeiten“, berichtet Wirtin Trish Fawcett und fährt fort: „Am späten Nachmittag rechne ich mit vielen Gästen, denn heute wird der Semesterschluss gefeiert“. Manchmal kommen die Studenten auch mit ihren Eltern, die gemeinsam ein Wochenende verbringen möchten.
Dann gibt die Schottin, die in Aberdeen geboren und aufgewachsen ist, jede Menge gute und weniger bekannte Ausflugstipps. „Aberdeen und Aberdeenshire bilden eine kompakte Version von ganz Schottland. In einer Stunde gelangt man von der Küste bis zu den mehr als 1000 Meter hohen Bergen.
Empfehlenswert ist natürlich immer der Besuch des neueren Teils von Aberdeen mit seinen modernen Museen, der prachtvollen Union Street, dem fast 100 Meter langen Marischal College aus Granit und tollen Restaurants, aber auch der Stadtstrand und eine Tour durch das malerische Aberdeenshire lohnen sich. Während Trish Fawcett ins Schwärmen gerät, faltet sie ganz entspannt weiter Servietten und sortiert das Besteck.
Nur zwei Meilen entfernt befindet sich direkt am Hafen das ehemalige kleine Fischerdorf Footdee („Fittie“ ausgesprochen). Zum Schutz vor Flut und Sturm sind die Minihäuser zum Landesinneren ausgerichtet. Längst sind es nicht mehr die Fischer, die dort leben, sondern größtenteils Künstler. Sie haben bei der Gestaltung der rund 200 Jahre alten Gebäude ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Die Fronten der farbenfroh gestalteten Eingänge sind mit allerlei Schmuck dekoriert. Vom Buddha über den Gartenzwerg bis zu maritimen Accessoires inklusive Spielzeugleuchturm gibt es dort viel zu entdecken.
Der kurze Spaziergang bis zur Hafeneinfahrt lohnt ebenfalls, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit tummeln sich dort wohlgenährte Delfine. Zur Freude der Beobachter und zum Leidwesen der Berufsfischer fangen die Meeressäuger in dem klaren Wasser Lachse und Meeresforellen, denn sie wissen, dass ihnen von den langsamen Schiffen, die den Hafen ansteuern, keine Gefahr droht.

Das Teezimmer in der ehemaligen Bahnstation von Ballater ist gemütlich eingerichtet. Das florale Design des Interieurs hat Prince Charles ausgesucht.
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Die zutraulichen und niedlich dreinblickenden Schottischen Hochlandrinder in Aberdeenshire geben begehrte Foto- und Selfie-Motive ab.
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Vor dem Marischal College steht die Reiterstatue von Robert I., auch Robert the Bruce genannt, der von 1306 bis zu seinem Tod 1329 König von Schottland war.
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Sommersitz der Queen
Am sanft plätschernden Fluss Dee entlang führt die Tour in Richtung Braemar. Wie aus einem Märchen entsprungen wirkt das hügelige Landschaftsrelief mit lieblich geschwungenen Wiesen, dichten Wäldern und den Bergen am Horizont, über dessen Gipfel sich der erste Schnee gelegt hat. Verwunschen wirkende Burgen und Schlösser tauchen links und rechts des Weges im Dunst auf.
Zu einem der prachtvollsten Anwesen gehört Balmoral Castle, die Sommerresidenz der Queen. Prinz Albert und Königin Victoria waren bei ihrem ersten Besuch von der Schönheit der schottischen Landschaft so überwältigt, dass sie dort 1852 ein Anwesen aus dem 14. Jahrhundert erwarben und es durch einen Neubau aus Granit im schottischen Baroniestil ersetzten. Bereits seit 1931 können Besucher die weitläufigen Gartenanlagen und den Ballsaal des Schlosses besichtigen.
Royales Whisky-Erlebnis
Ganz in der Nähe des Schlosses befindet sich die „Royal Lochnagar Distillery“. Sie wurde 1845 von John Begg gegründet. Begg wurde schon bald zum Hoflieferanten ernannt, und die Brennerei erhielt seitdem den Zusatz „Royal“.
„Wenn die Queen hier ihren Urlaub verbringt, hoffen die Menschen immer auf eine überraschende Begegnung mit ihr. Jemanden der Königsfamilie zu treffen, ist gar nicht so unwahrscheinlich“, berichtet Whiskyexperte Jim Kerr bei einer Führung durch die historische Brennerei und ergänzt: „1988 wurde für Prinz Charles ein Fass Whisky abgefüllt. Drei Jahrzehnte später wurde es ihm an seinem 70. Geburtstag feierlich übergeben“. Die Geschmacksproben überzeugen nicht nur den feinen Gaumen des Monarchen. Leichte Rauchigkeit, Fruchtnuancen und der Duft von Sherryfässern sind charakteristisch für den „Royal Lochnagar“. Seit 2008 gibt es außerdem eine „Distillers Edition“. Dafür wird der Malt für einige Zeit in Moscatel-Fässern nachgelagert.
Whisky, Tee und Meer
Direkt am Cairngorms National Park liegt auch der verträumte Luftkurort Ballater. In der ehemaligen Bahnstation „Old Royal Station“, wo die Königsfamilie damals für ihren Aufenthalt in Balmoral den Zug verließ, sind nun ein kleines Museum und ein Teehaus eingerichtet. Das florale Design des Interieurs hat Prinz Charles persönlich ausgewählt. „Hier können die Gäste den traditionellen Afternoon Tea formvollendet genießen“, freut sich Jim Kerr über den renovierten und stilvoll eingerichteten Treffpunkt.
Der Weg zurück an die Küste führt zu den geschichtsträchtigen Ruinen von Dunnatar Castle auf einem isolierten Felsen an der Ostküste. Ein paar Monate lang diente die Burg als Versteck für die schottischen Kronjuwelen. Unten tost das Meer. Die Wellen türmen sich an dem uralten Gestein auf, das die Ruinen trägt. Felsen und Mauern scheinen miteinander verwachsen zu sein. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Mondschein hüllt einen weiteren Ort, an dem Geschichte lebendig wird, in ein sanftes Licht.