Von den Klängen der See umspielt

Durch die Steilküste geschlagener alter Verbindungsweg nach Cruzinha
© Dr. Georg Bayerle

Die Republik Cabo Verde besteht aus 15 Inseln, von denen neun bewohnt sind.
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Typisches Bergdorf in der Steillage auf Santo Antão
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Fischerdorf São Pedro auf São Vicente
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Die „barfüßige Diva“ wurde Cesária Évora genannt, weil sie zur Ehre der Armen ihrer afrikanischen Heimat immer ohne Schuhe auftrat.
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Luis Baptista, versierter Instrumentenbauer. Seine Spezialität: das Cavaquinho, eine Mini-Gitarre mit vier Saiten
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Die Sängerin Claudia Sofia Clo in einer der Musikkneipen
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Graffitigeschmückte Mauern in Ribera Bote
© Dr. Georg Bayerle

Yoga-Horst“ im „Mamiwata Eco Village“
© Reisen mit Sinnen
Die Republik Cabo Verde besteht aus 15 Inseln, von denen neun bewohnt sind. In ihrer Musik und Kultur spiegelt sich die frühere Kolonialmacht Portugal ebenso wie das nahe Afrika.
Dr. Georg Bayerle (Bilder und Text)
Der Grundschlag der Coladeira begleitet die Überfahrt auf der täglichen Fähre von Mindelo nach Santo Antão und so mischt sich dieser vom brasilianischen Samba beeinflusste Musikstil in den Wellenschlag des Schiffsbugs. Tage im Rhythmus der Synkope bleiben in der Hauptstadt der kapverdischen Musik zurück, aber es waren die See und die Schifffahrtswege, die zur einzigartigen Verschmelzung portugiesischer, afrikanischer und brasilianisch-karibischer Stile geführt haben. Und so weckt jetzt der Seewind diese Klangwelten von Neuem auf der Wasserstraße zwischen den von bizarren Gebirgsketten geprägten Vulkaninseln.
Die karibische Coladeira, der afrikanische Batuku und die vom portugiesischen Fado inspirierte Morna, deren bekannteste Vertreterin Cesária Évora zu Weltruhm kam, haben Markus Leukel und Luis Baptista ausbuchstabiert und im kleinen Probenraum exemplarisch vorgespielt. Der erste, in die 80.000 Einwohner zählende Kolonialstadt Mindelo ausgewanderter Percussion-Musiker, der zweite der vielleicht beste Instrumentenbauer der Kapverden. Seine Spezialität: das Cavaquinho, die vierseitige Minigitarre ähnlich der Ukulele und Mandoline, die einst im Handgepäck vieler Seefahrer war und über die früher portugiesischen Inseln wie Madeira und eben die Kapverden nach Brasilien übergesetzt ist.
Zwischen Wehmut und Lebensfreude
Mit den Cavaquinhos wanderten Musik, Lieder, Themen und Geschichten. Unterwegs mit Markus und Luis ereignet sich das heute noch, wenn in den Musikkneipen von Mindelo täglich neu zusammengewürfelte Gruppen die synkopisch versetzten Rhythmen spielend weiterentwickeln. Mal schwingt die Wehmut, mal die pure Lebensfreude mit in der Musik. Luis führt in der, in den ersten Stock eines kleinen Hauses gequetschten Werkstatt, als eines von 15 Kindern die Tradition seines Vaters fort, der wegen seiner Kunstfertigkeit einfach nur der „Maestro“ genannt wurde. Zu ihm kamen die berühmtesten Musiker der Insel, ließen ihre Instrumente reparieren und erzählten die Geschichten der Musik.
In dieser Ursuppe der Klänge ist Luis aufgewachsen und wenn er zum Cavaquinho greift, brodelt sie über dem ewigen Feuer musikalischer Passion. Das Viertel, in dem sich die Werkstatt befindet, hat nichts vom historischen Flair der kolonialen Straßen in der Hafennähe Mindelos. Es grenzt an eines der Scherbenviertel der Hauptstadt, Ribera Bote, einst das Flusstal der Fischerbootsbauer und Müllhalde, dann Armenhaus der Zuzügler.
Handwerker, Hausküchen, Street-Art-Galerie
Belton heißt einer der jungen Guides, die hier in einem Sozialprojekt ausländische Gäste durchführen und Türen öffnen, zu Handwerkern oder Hausküchen. Ungeahnt wird der Rundgang aber auch zu einem Kunstbesuch in einem der besten Street-Art-Reallabore weit und breit.
Die Kunstfertigkeit, die Luis in der Musik hat, toben andere Talente in diesem erstaunlichen Schmelztigel der Kreativität in wandfüllenden Graffiti-Kunstwerken aus. Eines der besten handelt von Amilcar Cabral, einem der Freiheitskämpfer der Kapverden.
Im 15. Jahrhundert stießen portugiesische Seefahrer im „Zeitalter der Entdeckungen“ zunächst eher aus Zufall auf die Inselgruppe, gut 500 Kilometer vor der Westküste Afrikas. Da sie sich auf der Höhe des „Grünen Kaps“ von Dakar befand, tauften sie die unwirtlichen Vulkaninseln Kapverden und machten sie zum Umschlagplatz des Sklavenhandels von den Guineaflüssen und zum Sprungbrett nach Brasilien.
Mindelo auf São Vicente entwickelte sich zum Stelldichein von Glücksrittern, Sklavenhändlern und Seeleuten und brauchte die grüne Nachbarinsel von Santo Antão, um sich mit Korn, Gemüse und Fleisch zu versorgen. Denn Santo Antão, Insel der zwei Gesichter mit einem trockenen Südwes-ten und einem fruchtbaren Nordosten, fängt an seinen schroffen Bergen die Passatwinde und Wolken, die gelegentlich für Regen sorgen.
Einsame Wege durch senkrechte Klippen
So wurden Orte wie das tiefeingeschnittene Paul-Tal zu grünen Tropengärten, in denen sich die Terrassen in schwindelnde Höhen erstrecken, die heute noch mit der tropischen Trias von Mais, Bohnen und Kürbis bebaut werden. Steil und exponiert haben Generationen von Steineklopfern mit Basaltsteinen Pflasterwege über die Bergkämme gebaut, die bis in die Gegenwart noch ein einzigartiges Wegenetz bilden, das im 21. Jahrhundert die Wanderer für sich entdeckt haben.
Nicolín Monteiro, ein Modellathlet mit tiefempfundener Heimatliebe, zählt zu der jungen Generation gutausgebildeter Guides, die sich in einem Verein zusammengeschlossen haben. Der 35-jährige kann aber auch noch aus erster Hand vom kargen Leben erzählen: Er selbst war als Kind Ziegenhirte, der Opa klopfte mit am legendären Caminho da Montana, der ersten Straße der Insel, die noch unter der portugiesischen Diktatur von Salazar erst 1958 begonnen wurde. 24 Millionen Steine wurden in der 26-jährigen Bauzeit gesetzt, um 36 Kilometer Bergstraße zu befestigen.
Für die engste Stelle, den „Delgadinho“ brauchte der Bautrupp zweieinhalb Jahre, um die Straße direkt auf den Berggrat zu setzen. An beiden Seiten geht es hunderte Meter senkrecht in die angrenzenden grünen Täler. So dauert es heute noch Stunden, um von einem Ende der Insel zum andern zu gelangen.
Und von der kleinen Hauptstadt Ponta do Sol im Norden ist es auf direktem Weg zu Fuß nicht einmal sehr viel länger zum weltabgeschiedenen Flecken Cruzinha im Garza-Tal als auf den kurvenreichen Auto-Pflasterstraßen, die sich durch die Steilflanken winden. Ein 15 Kilometer langer Fußweg führt teilweise durch senkrechte Klippen die Küste entlang und war lange Zeit die einzige Verbindung der beiden Orte an der Nordküste von Santo Antão.
Tourismus im Einklang mit Mensch und Natur
Kleine Weiler wie Fontanhas liegen am Weg, deren malerische Lage den Künstlerdörfern der Amalfiküste alle Ehre machen würden. Nur dass sich die Touristen hier auf Santo Antão an den Fingern einer Hand abzählen lassen. Unten in der Gischt des Ozeans tauchen große Meeresschildkröten auf und schnappen nach Luft.
Manchmal hat er auch schon Wale beobachtet, sagt Nicolin. Im verlassenen Cha de Aranhas, dem Spinnendorf, kennt der Wanderführer auch den Letzten der Bauern, der immer noch hermarschiert und die Terrassen bewirtschaftet, um die alte Tradition am Leben zu erhalten.
Am Ziel dieses erstaunlichen Küstenwanderwegs, dort, wo es praktisch gar nicht mehr weitergeht, hat Kai Pardon, Geschäftsführer des Erlebnisreiseunternehmens „Reisen mit Sinnen“ auf einer zuvor kahlen Klippe das „Mamiwata Eco Village“ auf landestypischen Terrassen errichtet, die in zweijähriger Handarbeit aufgeschichtet wurden.
Wie Waben kleben die einfachen, aber feinen Bungalows am Fels und schauen hinaus in die von einer weiten konkaven Klippe begrenzten Bucht. Es gibt dort nichts mehr, nur die Steilküste, den Sonnenuntergang und die offene See. Und während dieses Bild vom Balkon aus wirkt, setzt mit dem Gleichklang der Brandung wieder der synkopische Takt der Coladeira an und die helle Melodie eines Cavaquinhos, das musikalische Erbe dieser weltverlorenen Inseln zwischen den Kontinenten.