Im Schatten des Vulkans

Seit dem Ausbruch des Vulkans auf dem Gebirgszug Cumbre Vieja sieht die Landschaft auf La Palma anders aus.Es hat überall Asche geregnet, und jetzt gehen die Wanderer in der Tat auf einer Ein-Meter-dicken Ascheschicht und der Boden ist komplett schwarz.
© Roland Motz

Einsam, spektakulär und nicht ungefährlich ist das Baden im Atlantik an der Playa Nogales im Osten La Palmas.
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Charco Azul im Nordosten bei San Andrés ist das aufregendste Naturschwimmbecken der Insel.
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Juan Carlos Lozano auf der Terrasse seines Ausflugslokals oberhalb von Los Llanos de Ariadne
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Wie von Außerirdischen geschickt, thronen die Sternwarten über den Wolken.
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La Isla Bonita wird die Kanaren-insel La Palma genannt. Nach dem gewaltigen Vulkanausbruch im vergangenen Jahr wurden Teile der „schönen Insel“ zu einer unwirklichen Mondlandschaft. Die Touristen kommen auch deshalb wieder in Scharen.
Roland Motz (Text und Bilder)
Erste Annäherung an den Vulkan. Ein mulmiges Gefühl beschleicht uns an der Straßenkreuzung nach La Laguna. Aus Schaufenstern und Türen der Bankfiliale quillt zu Stein erstarrte Lava. Ein avantgardistisches, den Kapitalismus in seinen letzten Zuckungen darstellendes Kunstwerk, denken wir. So irreal ist die Szenerie am Rande der Lavafelder unweit von Los Llanos de Aridane, wo Einheimische und Touristen im Schatten jahrhundertealter Lorbeerbäume ihren Cortado schlürfen.
Am weiter entfernten Aussichtspunkt El Time hat man den besten Überblick. Mit Juan Carlos Lozano schauen wir auf die neuentstandene tote Welt. Anfangs hätten sich die Palmeros sogar an dem nächtlichen Schauspiel der glühenden Lavamassen erfreut, erzählt der Besitzer des Ausfluglokals, aber dann hörte der frisch geborene Vulkan an der Nordflanke der Cumbre Vieja einfach nicht auf zu spucken.
Vor allem aber floss er viel zu langsam. So konnte er sich ausdehnen. Statt wie erhofft direkt ins Meer ging er in die Breite. Ein unterwegs alles verschlingender, im Schnitt zwölf Meter dicker, schwarzer Pudding begrub Tausende Wohnhäuser und zahlreiche Bananenplantagen unter sich, füllte 70 Meter tiefe Barrancos mit kochender Lava und zerstörte das Leben in den Dörfern Todoque und La Laguna.
Drei Monate hat der Vilkan gespuckt
„Ich habe tagelang mit meinen Gästen und Nachbarn hier auf der Terrasse gesessen und geheult, während wir zusahen, wie ihre Häuser erst anfingen zu brennen, um danach unter der Lava für immer begraben zu werden,“ erzählt Juan Carlos noch sichtlich bewegt.
Drei Monate hat er gespuckt, gestöhnt, geschleudert, ausgestoßen, bevor er zur Ruhe kam. Symbolträchtig zu Weihnachten 2021 wurde der Ausbruch offiziell für beendet erklärt. Nicht aber die Probleme für die betroffene Bevölkerung.
Für den Badetourismus an der sonnenverwöhnten Südwestküste mit seinen schönen schwarzen Sandstränden ist das Naturereignis eine existenzbedrohende Katastrophe. Bis auf Weiteres bleibt der Hauptort Puerto Naos vollständig evakuiert.
Katastrophe als Publikumsmagnet
Für Outdoortouristen stellt sich die Situation ganz anders dar. Sie haben paradoxerweise ein zusätzliches absolut beeindruckendes Wanderziel bekommen. Bis auf drei Kilometer kann man sich dem per Bürgerabstimmung auf Tajogaite getauften Vulkan nähern. Von Llanos de Jable aus durchschreiten wir bizarre Mondlandschaften. Ein noch ungesicherter Pfad führt durch dicke Vulkanasche zu einem neuen Aussichtsplateau, von dem wir über die verkohlten Reste kanarischer Kiefern auf den Krater schauen. Der neue Vulkan ist, wie spanische Zeitungen loben, „sehr publikumsfreundlich“. Man kann sich ihm von oben, von unten und von der Seite her nähern.
„Alle Wanderwege sind wieder durchgängig begehbar“, sagt Kerstin Swyzen. Vor 25 Jahren hat sich die sportliche Deutsche in La Palma verliebt. Seitdem bringt sie als Reiseführerin kleinen Gruppen wie uns die Schönheiten der gebirgigen Insel näher. Mit ihr durchstreifen wir die grünste Insel der Kanaren, die sich wie ein überdimensionaler Faustkeil in den Atlantik schiebt. Viel hat sich nicht verändert auf den alten Routen, eine Sache schon.
Wandern durch eine bizarre Szenerie
Ehemals zwei Meter hohe Wegweiser in der Region um Tajogaite reichen nur noch bis zur Brust. Eine meterdicke Ascheschicht haben sie schrumpfen lassen. Die grandiose Sicht auf das Meer zu beiden Hangseiten lassen aber die lange Vulkanroute zu einem kurzweiligen Vergnügen werden. Die klassische Wanderung endet an der Südspitze der Insel am bis dato jüngsten Vulkan La Palmas. Nur ein paar trockene Flechten und aschgraue Grashalme haben sich in fünfzig Jahren durch die Asche des Teneguia kämpfen können. Ein Schicksal, das auch Tajogaite bevorsteht.
Die meisten Wanderungen auf der selbsternannten „Isla Bonita“ führen jedoch keineswegs durch vegetationslose Landschaften oder entlang bizarrer Kraterränder der Caldera, vielmehr weiter unten über immergrüne Berghänge und durch tiefe Schluchten, die manchmal in kleine Badebuchten münden. Oft ändert sich das Landschaftsbild alle paar Höhenmeter. So wie auf der im Schatten eines Lorbeerwaldes verlaufenden Rundwanderung zum Cubo de la Galga oder bei der grandiosen Durchquerung des Nationalparks Caldera de Taburiente. Einfache Landgasthäuser in kleinen, blumengeschmückten Dörfern wie San Bartolo oder San Andrés sorgen für die kulinarische Belohnung nach den Touren.
Galaktische Eindrücke
Der spektakulärste Blick über die Insel ist Astrophysikern zu verdanken. Damit die Forscher in den Observatorien um das neueröffnete interaktive Besucherzentrum Exoplaneten, Schwarzen Löchern oder dem Cherenkov-Lichtkegel nachjagen können, wurde einst die Straße zum Roque de los Muchachos gebaut. Aus der senkrecht abfallenden Caldera wabern blütenweiße Wolkenteppiche. Dahinter erhebt sich unwirklich Teneriffas Teide in der klaren Höhenluft. Und unter uns bringt eine untergehende Sonne die verchromten Kuppeln der Sternwarten zum Glühen – 2400 Meter über dem Atlantik.