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Reportagen

Hellas pur

Auf den drei extremen Steigungen der Strecke rastet der Zug mittig der Schwellen in die Zahnradschiene ein.

Auf den drei extremen Steigungen der Strecke rastet der Zug mittig der Schwellen in die Zahnradschiene ein.

© www.visitgreece.gr/Shutterstock/imagIN.gr photography

Der Neubau direkt nebenan ersetzt diese altersschwache Brücke der Zahnradbahn.

Der Neubau direkt nebenan ersetzt diese altersschwache Brücke der Zahnradbahn.

© Rüdiger Schneider

Ein Klassiker unter den zahlreichen Griechenlandszenerien: Olivenhaine mit Blütenteppichen, die vor allem im Winter und Frühling zu finden sind. Zahnradbahnpassagiere werden auch hier nicht enttäuscht.

Ein Klassiker unter den zahlreichen Griechenlandszenerien: Olivenhaine mit Blütenteppichen, die vor allem im Winter und Frühling zu finden sind. Zahnradbahnpassagiere werden auch hier nicht enttäuscht.

© Rüdiger Schneider

Alles wird geteilt bei den Mezes, kleine Teller mit typisch griechischen Vorspeisen.

Alles wird geteilt bei den Mezes, kleine Teller mit typisch griechischen Vorspeisen.

© Adobe Stock/Rony Zmiri

Eine kleine Zahnradbahn führt durch die romantische Vouraikos-Schlucht auf dem Peloponnes. Neben den Schienen verläuft eine 12 Kilometer lange Wanderroute, Teil des Europawanderweges E4. 

Frauke Gans (Text) Rüdiger Schneider (Bilder)

Im wilden Bergland von Achaia auf dem nordwestlichen Peloponnes verkehrt die einzige Zahnradbahn Europas mit einer Spurweite von 750 Millimeter. Etwa 190 Kilometer von Athen entfernt, auf halbem Weg zwischen Korinth und Patras, vom kleinen Küstenstädtchen Diakofto aus fährt der Zug durch tief zerklüftete Schluchten hinauf in das 750 Meter hoch gelegene Kalavryta. Die Kirchturmuhr dort zeigt noch heute die Tatzeit des größten Massakers der Deutschen im Zweiten Weltkrieg auf griechischem Boden an. 

Steigungen von 17 prozent

Die Zahnradbahn, auf Griechisch Odontotos Sidirodromos, fährt auf einer über hundert Jahre alten Route. Lange war sie die einzige Verbindung, auf der der kleine Zug seine Passagiere von dem Küstenörtchen über den Bahnhof des Bergdorfes Zaxlorou bis zum Skigebiet in Kalavryta bis heute transportiert. Die Zugfahrt, das sind 22 Kilometer fast im Schritttempo, durch eine Mischung aus Strandidylle, wilder Gebirgswelt und mediterranen Obstplantagen – während ein Luftzug aus Pinienduft, Salbei, Rosmarin und Lavendel, gemischt mit dem Salz des Mittelmeeres durch die Fenster weht. Der Versuch, sich daran sattzuatmen, scheitert zwangsläufig, wenn die Bahn durch die markanten Felsen knirscht, so grob behauen, als habe man sie von Hand in die Tunnel gemeißelt. Tatsächlich mussten Bergsteiger sie zum Teil bauen. Stellenweise klettert der Zug Steigungen von 17 Prozent hinauf, bei denen er in eine Zahnschiene einrastet, um mit seiner einzigartigen Schmalspurweite von 750 Millimeter 700 Höhenmeter zu überwinden. In der Sommerhitze begleitet von dem Zirpen der Zikaden, die alles daransetzen, seinen Motor zu übertönen. 

Rüdiger und Gabi Schneider aus Hagen – einst Bankkaufmann und Apothekenhelferin, jetzt Rentner – sind schon viele Pfade gelaufen und gefahren, auf der ganzen Welt. Aber hier am Strand in Diakofto am Golf von Korinth warten sie nicht zum ersten Mal in der Sonne auf einem der blau gestrichenen Holzstühle auf Abfahrt des Zuges. 

Mit dem „Freddo Espresso“ in der Hand, dem inoffiziellen Nationalgetränk. „Griechenland ist ein sich ständig wiederholendes Glücksgefühl. Wenn nach Wegbiegungen wieder die nächste überraschende Naturszene wartet. Oder einfach wenn, wie so oft, der Blick über das Meer mit kleinen Inseln gleitet, die im Dunst der Hitze liegen.“ Zeit, das Geld für den Kaffee zum Kassenbon in das Gläschen auf dem Holztisch zu stecken, um mit ihren Rucksäcken den kleinen Bahnhof anzusteuern.

Früher wartete dort eine Dampflock auf Fahrgäste. Jetzt dient sie als Dekoration, während der neue Triebwagen mit einer Mischung aus Diesel- und Elektromotor an ihr vorbeirollt. Die Entscheidung über die Sitzseite stellt Reisende vor ein Dilemma der Panoramawahl. Die Lösung wäre die Strecke mindestens dreimal zu fahren. Um sich mal links und mal rechts zu platzieren und schließlich vorne im Triebwagen, für die Aussicht des Fahrers, wenn der Zug sich durch die Felsen schlängelt. 

Los geht’s hinauf in das Chelmosgebirge, durch die Vouraikos-Schlucht. Erst an Weinstöcken vorbei, die dank Sonne im Überfluss nicht auf eine Hanglage angewiesen sind, an Orangen- und Zitronenbäumen vorüber. Bis zum Ziel immer entlang des Vouraikos-Flusses, um ihn dabei wieder und wieder zu überqueren, seine Wasserfälle und Tümpel passierend, über dutzende schmale Brücken, haarscharf an Abgründen entlang. 

Vom Strandidyll in eine alpine Gebirgswelt

Schließlich knarzt die Bahn langsam durch Felsen, die steilen Bergwände fast touchierend. So knapp, dass Fahrgäste bei geöffneten Fenstern nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu berühren und deshalb durch Schilder vor dem Hinauslehnen gewarnt werden. Und belustigt zurückspringen, weil an Wasserfällen Tropfen in die Kabine spritzen. Wer genau hinschaut, entdeckt Schildkröten, die im Schatten der Platanen sitzen und Sonnenstrahlen auffangen, die durch das Laub blitzen. Nach einer Stunde und zehn Minuten verzückten Staunens werden Reisende an der Endstation im Vergleich zu dem Dörfchen am Strand in eine völlig andere Welt entlassen. Eben saßen sie noch am glitzernden Meer, um sich jetzt in einer alpinen Landschaft wiederzufinden. 

Zu schnell ist die Zugfahrt vorbei. Doch nicht umsonst gehört die Zahnradstrecke gleichzeitig zum  Europäischen Fernwanderweg E4. Für den langsamen Genuss  folgen Rüdiger und Gabi als jahrzehntelange Mitglieder im Verein „Initiative der Weit- und Fernwanderer“ auf dem Abstieg den Schienen zu Fuß. Dabei orientieren sich die zwei Hagener per GPS. Denn stellenweise verläuft die Route für Fußgänger oberhalb oder abseits der Schienen: Zu stark ist bisweilen die Steigung, und der Weg entlang der Bahnstrecke ein anstrengendes Wechselspiel aus Schotter und Schwellen. Wegweiser hängen zudem immer wieder ihren Job an den Nagel, von Schrotkugeln zerstört, weil sie als Trainingszielscheibe der Hobbyjäger herhalten.

Dafür eröffnet der Pfad den Blickwinkel von oben auf die kleine Zahnradbahn und auf Wiesen, im Frühling bedeckt von Mohn, Margeriten und Kamille, bis der Weg zurück auf die Schienen führt. Offiziell dürfen Fußgänger die Zugtunnel nicht durchqueren, inoffiziell stehen ihre Tore extra für Wanderer offen. Gabi kramt einen Fahrplan aus dem Rucksack und schaut auf die Uhr. Denn zwischen die Waggons der Einspurbahn und die Felswand passt kein Mensch. „Die Züge hupen aber extra vor Einfahrt“, beruhigt Rüdiger. Schwindelfrei solle man sein, meint er, um dann selbst vorsichtig über eine der Zugbrücken zu balancieren. Unter ihm viele Meter nur Luft und schließlich der Vouraikos-Fluss.

Schlenker, die von der Bahn fortführen, lenken an Tavernen vorbei, in denen sich die zwei mit Mezes versorgen können: traditionelle Minispeisen auf kleinen Tellern mit Zutaten aus der lokalen Meeres- und Bergwelt. Die endlich den Appetit stillen, den die würzigen Gerüche des griechischen Waldes im Zug geweckt haben. Wer nicht am gleichen Tag an die Küste zurückkehren möchte, sollte vorab einen Schlafplatz reservieren oder ein Zelt einpacken. „Wegen des Essens braucht man sich aber nie zu sorgen. Bisher wurden wir zu Familien eingeladen, wenn alles zu hatte“, weiß Rüdiger. Griechenland eben. Natur in allen Facetten und Gastfreundschaft pur hinter jeder Kurve.