Die Welt ein wenig besser machen

Wissenschaftlerin Deena Shrestha beim Patientenbesuch bei Nepki Majhi, sie leidet an Elefantiasis.
© Sascha Montag

Flusslandschaft im Dhading District, nahe Salyantar, Nepal
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Im Jahr 2000 rief die WHO ihr Programm zur Eliminierung der lymphatischen Filariose mit Hilfe von „Mass Drug Administration“ (MDA) aus. In Endemiegebieten sollte die gesamte Bevölkerung fünf Jahre in Folge Tabletten nehmen, die Mikrofilarien im Körper abtöten können. Im Dorf Salyantar findet zur Kontrolle ein Pilotprojekt statt, um zu sehen, ob die Tabletten-Aktionen die Übertragung tatsächlich unterbrochen haben oder nicht.
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Betroffen von der Krankheit sind meist Menschen, die unter unhygienischen Bedingungen leben, zusammen mit ihrem Vieh, ohne Kanalisation, wo das Wasser in Pfützen steht, in denen sich Moskitosentwickeln können.
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Deena Shrestha beim Kontrollieren einer Mückenfalle
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Bei einem Pilotprojekt im Dorf Salyantar werden zum ersten Mal in Nepal Moskitos mit Standard- und computergestützten Fallen gefangen und auf Wurmlarven-DNA untersucht. Die Studie soll ein Puzzleteil bei der weltweiten Bekämpfung der Elefantiasis werden.
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Um die Behandlungskosten für erkrankte Angehörige bezahlen zu können, gehen viele Nepaler ins Ausland. Sie schuften in Indien oder den Golfstaaten oft sieben Tage die Woche unter menschenunwürdigen Bedingungen. Bimala Upreti, 39, Elefantiasis-Patientin in Salyantar, und ihr Mann Govind Upreti konnten die Behandlung so finanzieren, weil die Krankheit relativ früh erkannt wurde.
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Weltweit tragen 120 Millionen Menschen einen Parasiten in sich, der groteske Schwellungen auslöst. Man stirbt nicht an der Elefantiasis, aber sie verschlimmert die Armut. In Nepal arbeitet die Mikrobiologin Deena Shrestha daran, den Erreger auszurotten.
Sascha Montag (Bilder) Bernd Hauser (Text)
Das Dorf Salyantar liegt nur 120 Kilometer von Kathmandu entfernt, doch die Reise dorthin dauert viereinhalb Stunden. Schlechte Straßen führen steile Hänge hinunter und hinauf. Die Kurven wollen nicht enden. Eine Fahrt wie in einem Karussell für Dr. Deena Shrestha. Bleich sitzt sie auf der Rückbank. „Geht schon“, sagt sie. „Wir haben keine Zeit für eine Pause.“ Plötzlich weist sie den Fahrer doch an, er möge anhalten. Sie drückt die Tür des Geländewagens auf, wankt zum Straßenrand und erbricht ihr Frühstück in den Abhang.
Die Vierzigjährige könnte es bequemer haben. Immer noch in einem klimatisierten Labor im brasilianischen Ouro Preto forschen, wo sie mit italienischen und brasilianischen Stipendien ihre Doktorarbeit in Parasitologie schrieb: Der „Brain Drain“, das Weggehen und Wegbleiben der besten Köpfe, hemmt die Entwicklung armer Nationen. Aber Deena Shrestha entschied sich zur Rückkehr in ihre Heimat: „In Nepal fühle ich mich frei und unabhängig. Und ich kann etwas bewirken für die Menschen und das Land.“
Leiden ist nicht tödlich, aber es verschärft Elend und Armut
Shrestha ist unterwegs in die Berge, um im Dorf Salyantar ein Pilotprojekt ihres Forschungsinstituts zu besuchen: Zum ersten Mal in Nepal werden Moskitos mit standard- und computergestützten Fallen gefangen und auf Wurmlarven untersucht. Die Studie soll ein Puzzleteil bei der weltweiten Bekämpfung der tropischen Elefantiasis werden – einer Krankheit wie vom Teufel selbst erfunden.
Dabei schwellen vor allem die unteren Extremitäten an, in manchen Fällen so schlimm, dass sie an die Füße von Elefanten denken lassen. „An der Krankheit stirbt man nicht“, sagt Deena Shrestha. „Aber sie führt zu körperlichen Behinderungen, zu seelischen Qualen und sie ist ein Hemmschuh für die Entwicklung armer Familien und Gesellschaften.“
Im Dorf Salyantar ist auch Bimala Upreti, 39, betroffen. Den ganzen Morgen über hat sie mit ihrem Mann Govind Linsen geerntet, die Grundlage des täglichen Dhal. Der Ehemann trägt die Ernte zu ihrem Hof. Wenn Bimala schwere Lasten trägt, wird der Schmerz zu groß. Ihr rechter Unterschenkel und Fuß sind geschwollen. Govind macht Milchtee für seine Frau und Deena Shrestha, während Bimala erzählt.

Lal Bahadur Darai ist einer der Elefantiasis-Patienten von Deena Shrestha.
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Im Feldlabor in Salyantar leeren Insektenkundler jeden Morgen die Fallen und konservieren sie für die Fahrt in Labor nach Kathmandu.
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Im Labor werden die Moskitoleiber mit PCR-Methodik auf Wurmlarven-DNA untersucht.
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Frauen sollen arbeiten und nicht krank werden
„Mit etwa 18 Jahren spürte ich zunächst ein Knötchen am Oberschenkel“, sagt die Bäuerin. „Bestimmt von den Fadenwürmern, die sich im Lymphknoten einnisten“, vermutet Deena Shresta. „Dann schwoll mein Unterschenkel an“, berichtet Bimala Upreti. „Ich hatte Fieber und Schmerzen. Aber ich hatte auch große Angst: Was würden meine Schwiegereltern sagen? Würde mich mein Mann verlassen?“
Wie fast alle Mädchen im Dorf heiratete sie früh, mit 17. Ihr Mann war ein paar Jahre älter. Eine arrangierte Ehe, wie die meisten. Traditionell geht die Braut in das Haus des Bräutigams und lebt dort auch mit den Schwiegereltern zusammen. In der patriarchalen Gesellschaft sind viele Schwiegertöchter nur wohlgelitten, wenn sie Jungen zur Welt bringen und fleißig arbeiten.
„Aber ich habe einen guten Mann“, sagt Bimala Upreti. Er brachte sie nach Kathmandu in ein Krankenhaus. Dort fanden die Ärzte die Ursache ihres Leidens zunächst nicht. „Gewöhnlich brechen die Symptome erst bei viel älteren Menschen aus“, erklärt Deena Shrestha. „Nachdem die Würmer Jahre und Jahrzehnte lang im Körper waren.“
Schließlich hatte ein Arzt den richtigen Einfall. Er nahm Bimala eine Blutprobe ab, in der Nacht: Der Nachwuchs der erwachsenen Würmer in den Lymphknoten sind so genannte Mikrofilarien, das erste Larvenstadium. Diese machen sich vor allem nachts auf den Weg durch die Blutbahnen – weil die Moskitos, die sie zur Weiterentwicklung brauchen, hauptsächlich in Dämmerung und Dunkelheit aktiv sind.
Heilung ist nicht möglich, nur Linderung
Tatsächlich ließen sich im Blutabstrich von Bimala unter dem Mikroskop die zuckenden Fäden erkennen. Der Arzt stellte schließlich die Diagnose „lymphatische Filariose“, also den Befall mit Wuchereria bancrofti.
„Es gibt Medikamente, die die Larven im Körper abtöten“, erklärt Deena Shrestha. Im Jahr 2015 gab es für deren Entdecker sogar den Medizin-Nobelpreis. „Doch heilen lässt sich Elefantiasis nicht. Wenn sich erst Symptome entwickelt haben, lassen sie sich nicht mehr ganz umkehren.“ Deshalb konnte der Arzt bei Bimala Upreti die Krankheit zwar stoppen und eine schlimme Entstellung verhindern. Trotzdem muss sie mit einem geschädigten Fuß durchs Leben gehen.
„Hätten Sie Ihre Frau auch geheiratet, wenn Sie gewusst hätten, dass sie infiziert war?“, fragt Deena Shrestha den Ehemann. Govind Upreti zögert. Dann sagt er: „Eine schwierige Frage. Will nicht jeder Bräutigam eine gesunde Braut?“ Ihr Leben wäre anders verlaufen, sagt Bimala Upreti: „Ich wäre einsam geblieben. Die Menschen hätten mir nicht ins Gesicht geschaut, sondern nur mein Bein gesehen.“
„So viel individuelles Leid! Jeder Fall ist einer zu viel, denn jeder wäre vermeidbar“, sagt Deena Shrestha. Weltweit sind 120 Millionen Menschen infiziert. Das hat lange kaum jemanden interessiert: Die Elefantiasis gehört zu den „Vernachlässigten Tropenkrankheiten“. Vernachlässigt, weil sie nur die Armen betrifft.
Eigentlich sollte die Krankheit bis 2020 weltweit ausgerottet sein
„Es braucht wahrscheinlich hunderte bis tausende Stiche mit infizierten Mücken, bis die Würmer sich im Körper festsetzen können“, sinniert Shrestha. Betroffen sind also Menschen, die unter unhygienischen Bedingungen leben, zusammen mit ihrem Vieh, ohne Kanalisation, wo das Wasser in Pfützen steht, in denen sich Moskitos entwickeln können.
Im Jahr 2000 rief die WHO ihr Programm zur Eliminierung der lymphatischen Filariose mit Hilfe von „Mass Drug Administration“ (MDA) aus. In Endemiegebieten soll die gesamte Bevölkerung fünf Jahre in Folge Tabletten nehmen, die Mikrofilarien im Körper abtöten können. Bis 2020 sollte die Krankheit ausgerottet sein. In einigen Ländern hat das funktioniert. Auch in Nepal gab es Fortschritte. In einzelnen Distrikten hatte zur Jahrtausendwende jeder fünfte Einwohner den Parasiten – sie merkten es meist nicht, weil viele Fälle symptomlos verlaufen und es nicht zu Ödemen kommt. Von ehemals 63 endemischen Distrikten gelten heute 48 als frei von Filariose.
Modernes Forschungszentrum
Doch stimmen die Erfolgsmeldungen? Haben die Aktionen auch abgelegene Weiler und Höfe erreicht? Seit Deena Shrestha vor sieben Jahren mit befreundeten Mikrobiologen das „Centre for Health and Disease Studies of Nepal (CHDS) gründete, wurde die Filariose zu einer zentralen Aufgabe ihres Instituts für angewandte Forschung. Von internationalen und nationalen Gebern finanziert, führte ihr Team in rund 40 Distrikten Studien durch, um zu erkennen, ob sich die Krankheit trotz der Tabletten-Aktionen noch übertragen kann.
Erst- und Zweitklässler wurden systematischen Tests unterzogen. Die Kinder sind so jung, dass sie keine Tabletten bekommen hatten. Wenn sich bei vielen Kindern Antigene des Parasiten im Blut finden, bedeutet dies, dass die Übertragung in der Region noch nicht vollständig und sicher gestoppt ist: „In einigen Fällen mussten die Gesundheitsbehörden die Tabletten-Aktionen dann in Hot-Spots wiederholen.“
Es gibt viele Gründe, warum der Parasit noch nicht überall eliminiert ist. Teils tritt er in Gebieten auf, wo man ihn bisher nicht kannte, weil die Mücken mit dem Klimawandel in höher gelegene Gebiete vordringen. Viele Menschen sind als Bauarbeiter oder Hausbedienstete für Monate und Jahre in Indien und den Golfstaaten und werden damit von den Tabletten-Aktionen nicht erreicht. Und es gibt viele „Querdenker“. Einige glauben, dass die Pillen Männer unfruchtbar machen und werfen die Tabletten weg. Andere wollen tatsächlich auftretende Nebenwirkungen vermeiden: „Besonders bei infizierten Menschen reagiert der Organismus, etwa mit Fieber oder Übelkeit, wenn der Parasit im Körper abstirbt.“
PCR-Methodik zur Indentifizierung von Wurmlarven-DNA
Die Ausbreitung der Krankheit zu überwachen ist schwierig. Antigen-Tests zeigen auch noch einige Zeit nach dem Abtöten des Parasiten ein positives Resultat an. Die Blutabstriche und das Erkennen von Mikrofilarien unter dem Mikroskop sind nicht praktikabel, um eine ganze Region zu überwachen. „Wenn wir tatsächlich Live-Einschätzungen wollen, liegt es nahe, dass wir uns die Überträger anschauen“, erklärt Deena Shrestha. Deshalb findet im Dorf Salyantar das Pilotprojekt mit den Mücken statt: „Hier gibt es viele Elefantiasis-Fälle, es ist ein guter Ort, um zu sehen, ob die Tabletten-Aktionen die Übertragung tatsächlich unterbrochen haben oder nicht.“
Fallen locken die Moskitos entweder mit Licht oder mit einer erhöhten CO2-Konzentration an – so wie sie herrscht, wenn Menschen schlafen. Im Feldlabor in Salyantar leeren Insektenkundlern jeden Morgen die Fallen, bestimmen die Mückenarten unter dem Stereoskop und konservieren sie für die Fahrt nach Kathmandu. Dort werden die Moskitoleiber dann mit PCR-Methodik auf Wurmlarven-DNA untersucht.
Finanziert wird die Studie auch von „Microsoft“, weshalb neben herkömmlichen Fangkörben auch die neue Falle des Unternehmens getestet wird, die mit Hilfe der eingebauten Sensorik Moskitoarten automatisch zu bestimmen.
Ziel ist es, über ein Jahr hinweg Daten zu sammeln, wie viele Mücken es über die Monate gibt und ob und wann sie infektiös sind. „Diese Erkenntnisse können dann dazu dienen, nationale und internationale Programme zur Bekämpfung der Elefantiasis zu optimieren“, erläutert Dr. Deena Shrestha.
„Wir haben vorab bei den Bewohnern von Salyantar Antigen-Tests auf die DNA des Parasiten gemacht. Einige waren positiv. Deshalb erwarte ich, dass die Moskitos noch Wurmlarven in sich tragen.“ Vermutungen allein reichten aber niemals aus: „Erst, wenn wir Beweise haben, werden Gesundheitsprogramme nachgebessert.“
„Der Einsatz gegen die Krankheit ist auch ein Kampf für Gerechtigkeit“
Der Einsatz gegen die Krankheit ist auch ein Kampf für Gerechtigkeit, betont Deena Shrestha: „Es ist einzig eine Frage der Mittel und Ressourcen, die über ihre Eliminierung entscheidet.“ Tritt Filariose in einer Familie auf, zementiert sie die Armut.
Auf einem abgelegenen Hof lebt Nepki Majhi, eine Frau in ihren Sechzigern. Als an ihrem von der Elefantiasis betroffenen Bein eine Sekundärinfektion auftrat, musste sie operiert werden. Um die Behandlung zu bezahlen, nahm ihr Mann Budhi wie viele andere Betroffene bei einem lokalen Wucherer einen Kredit auf, zu einem Zins von zwei Prozent – pro Monat. Um ihn abzuzahlen, musste er für zwei Jahre nach Delhi, wo er sieben Tage die Woche nachts als Wachmann und morgens als Autowäscher arbeitete.
Bimala Upreti und ihr Mann Govind hatten Glück im Unglück, dass bei ihr die Krankheit früh erkannt und behandelt wurde, so dass ihre Behinderung nicht allzu schwer ausgefallen ist. Die Eheleute wirken glücklich.
Auf der Straße vor ihrem Hof wankt eine Frau tief gebeugt vorbei, mit einem riesigen Bündel Gras auf dem Rücken, das sie mit Hilfe eines Stirnriemens trägt. „Bei uns mache ich das“, sagt Govind Upreti. „Denn meine Frau tut auch alles für mich.“