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Reportagen

Der X-Strahl, der die Medizin veränderte

Die Röntgen-Gedächtnisstätte befindet sich in den Gängen und zwei Laborräumen des Erdgeschosses im ehemaligen Physikalischen Institut der Universität Würzburg am Röntgenring 8; hier eine historische Aufnahme von Röntgens Labor.

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Das Deutsche Röntgen-Museum (DRM) in Remscheid-Lennep zeigt die Entwicklungen der Technologie seit Röntgens Erfindung 1895.

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Auf einer Ausstellungsfläche von 2100 qm zeigt das Deutsche Röntgen-Museum, was genau es mit den Röntgenstrahlen auf sich hat; hier das nachgebaute historische Röntgen-Zimmer im Keller

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Im RöLab können Besucher eigene Experimente durchführen

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Röntgens Geburtshaus in Remscheid wurde saniert und soll der Öffentlichkeit eine emotionale Begegnung mit dem Haus in seiner historischen Bedeutung sowie mit der Biographie von Röntgen ermöglichen.

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2023 jährt sich Wilhelm Conrad Röntgens Todestag zum 100. Mal. Der Physiker entdeckte die nach ihm benannten Strahlen – und revolutionierte so die medizinische Diagnostik.

Marion Vorbeck (Text)

Das Durchleuchten des Menschen ermöglichen? Den Nobelpreis erhalten? Die Weichen standen nicht gerade auf Welterfolg, als der 1845 in Remscheid geborene Wilhelm Conrad Röntgen ohne Abitur der Schule verwiesen wurde. Wenn auch der Grund dafür nobles Handeln war, da er sich geweigert hatte, einen Mitschüler zu verraten. 

 ”Anfangs hielt ich sie für eine neue Art von Licht. Sicher aber war es etwas Neues, noch Unbekanntes."

Wilhelm Conrad Röntgen über die Röntgenstrahlen

Doch schon früh bewies Röntgen Willenskraft und Erfindungsreichtum: Weil er Maschinenbau studieren wollte, wich er von Utrecht, wohin die Familie gezogen war, nach Zürich aus, wo er ohne Reifezeugnis einen Studienplatz in Maschinenbau erhielt; später schloss er hier ein Aufbaustudium in Physik samt Promotion mit seinen „Studien über Gase“ an. Nach mehreren Stationen an Universitäten wie Straßburg oder Gießen wurde er 1888 in Würzburg zum ordentlichen Professor berufen und hier später auch zum Rektor gewählt.

Als experimenteller Physiker beschäftigte sich Röntgen in seinem physikalischen Laboratorium an Würzburgs Universität, das heute Gedenkstätte ist mit Gasentladungsröhren und Kathodenstrahlen. Zwar sind nur wenige Dokumente zu Röntgens Forschungen erhalten, dank seiner Veröffentlichung „Über eine neue Art von Strahlen“ durch die Physikalisch-Medizinische Gesellschaft in Würzburg vom Dezember 1895 lässt sich der Hergang seiner zufälligen Entdeckung jedoch gut nachvollziehen.

Ein Phänomen, das Materie durchdringen kann

Am 8. November 1895 sollte die Weltsensation ihren Lauf nehmen. Für ein Hochspannungsexperiment umwickelte Röntgen eine Entladungsröhre lichtdicht mit schwarzer Pappe. Während des Versuchs bemerkte er Erstaunliches: Ein Bariumplatincyanid-Papier in der Nähe des Entladungsapparates begann zu fluoreszieren. „Ich schickte einen Strom durch die Röhre und bemerkte quer über das Papier eine eigentümliche schwarze Linie!“

Die Ummantelung der Röhre jedoch ließ kein bekanntes Licht durch – was war also geschehen? Elektrisiert von dieser Entdeckung stellte Röntgen weitere Versuche an und erkannte das Unerhörte: Bisher unbekannte, unsichtbare Strahlen mussten dieses neuartige Phänomen auslösen, das Materie durchdringen kann.

Alles Mögliche durchleuchtet Röntgen in der Folge: eine Holzkiste mit Metallstücken, ein Gewehr, am 22. Dezember 1895 schließlich mit der Hand seiner Frau samt Ehering die erste Röntgenaufnahme eines menschlichen Körperteils. Er erkennt, dass die geheimnisvollen Strahlen je nach Dichte der untersuchten Materie mehr oder weniger tief eindringen können. „X-Strahlen“ nennt sie ihr Entdecker – bald werden sie jedoch in Röntgen-Strahlen umbenannt und noch heute so im deutschsprachigen Raum bezeichnet.

Meilenstein für die Medizin

Wilhelm Conrad Röntgen sorgte mit seiner Forschung für einen Quantensprung in der Wissenschaft – und in der Medizin: Fortan konnte man einen Blick ins Innere des Menschen werfen, ohne ihn aufschneiden zu müssen. Bald kamen Röntgenapparate auch in Feldlazaretten oder bei der Diagnose der damals verbreiteten Tuberkulose zum Einsatz, ermöglichten die Lokalisation von Fremdkörpern wie Gewehrkugeln oder Granatsplittern.

Röntgens Arbeit strahlt auch heute noch weit aus: in die medizinische Diagnostik, in bildgebende Verfahren wie die Computertomographie, in die Erforschung des Mikrokosmos und Röntgenastronomie, in die Materialprüfung oder die Untersuchung von Kunstwerken sowie von Gepäck.

Attraktion auf Jahrmärkten

Welche Gefahren von starker Röntgenstrahlung ausgehen, wusste man zu Beginn nicht, und so machten die neuen Durchleuchtungs-Apparate auch zu Unterhaltungszwecken Karriere: Dernier Cri auf Jahrmärkten und Festen war es, einmal einen Blick ins eigene Innere zu werfen. Solcherlei Lustbarkeiten verloren ihren Reiz, nachdem man herausgefunden hatte, dass die neuartigen Strahlen Haut- und Tumorerkrankungen verursachen können. Dies wiederum ging einher mit der Entwicklung von Schutzkleidung und Messinstrumenten zur Verringerung der Strahlenmenge.

Schnell ging Röntgens bahnbrechende Entdeckung um die Welt und wurde in ihrer Bedeutung anerkannt. Der Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste, Ehrendoktorwürden an zahlreichen Hochschulen, Medaillen und Verdienstorden sind nur einige der Auszeichnungen, die ihm zuteil wurden.

Bewusst gegen Patentierung

Trotz seiner Berühmtheit blieb der Wissenschaftler stets bodenständig und bescheiden und konzentrierte sich auf seine Lehr- und Forschungstätigkeit. Als Ritter des Verdienstordens der Bayerischen Krone lehnte er sogar den damit verbundenen Adelsstand ab. Bewusst sprach sich Röntgen gegen eine Patentierung seiner Entdeckung aus, denn er wollte sie leichter für die gesamte Menschheit zugänglich wissen. Und so verwundert es kaum, dass er 1901, als erster Träger des Nobelpreises für Physik überhaupt, das Preisgeld der Universität Würzburg stiftete. 

1823 starb Wilhelm Conrad Röntgen in München an Darmkrebs, wo er zuletzt eine Professur innehatte. Beigesetzt ist er im Familiengrab in Gießen.