Newsletter

Reportagen

Beredte Mauern unterm Piz Tambo

Die reformierte Kirche St. Martin in Zillis ist von außen eher unauffällig. Drinnen aber opulent.

© demateo.com

Die romanische Bilderdecke der evangelischen Kirche St. Martin in Zillis ist die älteste figürlich bemalte, fast vollständig erhaltene Holzdecke der abendländischen Kunst. Die Bilderdecke, dendrochronologisch datiert ins Jahr 1114, besteht aus insgesamt 153 ornamental gerahmten und bunt bemalten Einzelfeldern.

© Adobe Stock/Franz Gerhard

Splügen ist ein typisches Passdorf mit gut erhaltenem Dorfbild, stolzen Palazzi und trutzigen Walserhäusern.

© viamala.ch/Silvan Widler

Klein aber fein ist das sonnige Skigebiet Splügen-Tambo am Fuße des majestätischen Piz Tambo an der Grenze zu Italien.

© Markus Müller

Eine Winterreise durchs Hinterrheintal ins romantische Splügen.

Nicola Förg (Text)

Die besten Reisen sind jene, bei denen man sich geruhsam dem Ziel nähert, innehält und staunt. Oft genug liegt nur wenige Kilometer neben der rasanten Transitwelt eine andere Dimension. 

Etwa eine Welt wilder Wege und Steige, und selten sind diese Wege so geschichtenreich wie im Hinterrheintal, im burgenreichen Domleschg. Die Burg aller Burgen: Hohenrätien. Der letzte Burgvogt soll sich per Pferd über die Felskante in den Rhein gestürzt haben. Und dann die Viamala, der schlechte Weg. Heute verläuft die Straße rechtsrheinisch durch die Viamala, aber im Mittelalter klebte sie links des wilden Flusses am Berg. Man sieht noch genau die Halbgalerien, die schwindelnd hoch über der Schlucht verlaufen. Handläufe wurden in den Fels geschlagen, damit die Reiter sich festhalten konnten. Mochte das Pferd abstürzen, die alten Rittersleut hatten so noch eine Überlebenschance – es scheint generell keine gute Gegend für Pferde gewesen zu sein …

Kunstreiche Passroute

Aber für durchreisende Künstler. Die reformierte Kirche St. Martin in Zillis ist von außen eher unauffällig. Drinnen aber opulent. Die Kassettendecke stammt aus dem 12. Jahrhundert und besteht aus 153 Bilderfeldern. Fabelwesen sind zu sehen, das Leben und Wirken Christi, Szenen, die alles andere als lieblich sind. Da wird enthauptet, und das Kindlein in der Krippe sieht aus wie eine Mumie oder wie in einen Kokon eingesponnen, so als gedenke es, sich demnächst zu verpuppen. Oder ein schwarzer Teufel mit schwarzen Flügeln und Hörnern. Die Bilder stammen wohl nicht von einem Kirchenmaler, sondern eher von einem Buchmaler, womöglich von einem, der für Kost und Logis gearbeitet hat.

Nur wenige Randtafeln haben bis heute überlebt, denn bis ins Jahr 1938 war die Holzdecke die einzige Barriere zwischen dem Innenraum und dem Dachraum. Dann wurde darüber eine dünne Betondecke als Brandschutzmaßnahme eingezogen, was zugleich die Vertäfelung schützte. Heute überwacht das Architekturbüro Marcel Liesch aus Chur das sensible Kulturgut.

Auch das schmucke Andeer mit den trutzigen Häusern zeigt den einstigen Reichtum an der Passroute, was dann in Splügen den Höhepunkt findet. Splügen strahlt eine unverrückbare Kraft aus. Die gewaltigen Palazzi im Dorfzentrum rühren aus der Hoch-Zeit der Säumerei, daher, dass man teils die Saumlasten in den Häusern lagerte, die deshalb diese gewaltigen Portale haben.

Über Splügen liegt eine urgewaltige Kraft, aber auch diese Aufbruchstimmung. Der 2113 Meter hohe Splügenpass wurde schon in prähistorischer Zeit begangen. Pässe liegen meist über der Baumgrenze, inmitten von verführerisch weiten, archaischen Landschaften. Pässe sind Höhepunkte, sind Durchatmen nach einem langem Anstieg, bevor es wieder abwärts geht. Es fühlt sich an, als sei man Teil eines unendlichen Plans, den die Menschen immer schon gehabt hatten. Hinauf zu gelangen, dorthin, wo man einen weiten Horizont hat. 

Knackige Piste

Skifahrer können solche Horizonte im Winter am Splügen leicht erreichen. Im Skigebiet am Piz Tambo verläuft eine blaue Kultpiste auf der Passstraße des Sommers! Sie startet an der urigen „Bodmen Bar“ auf 1790 Metern – der Einkehrschwung sei erlaubt – und folgt dann der Straße. 

Auch der Schlittelweg und eine Aufstiegsspur für Schneeschuhgänger erweisen dem Pass ihre Referenz – man muss hier nicht alpin Skifahren, um winterglücklich zu werden. Wenn doch: 30 Pistenkilometer sind auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten aber erschließen wenige, geschickt platzierte Lifte ein abwechslungsreiches Terrain – und einen knackigen Hang in der Talabfahrt. Der Hang hat eine gewisse Schärfe, wie der Chili-Kräuter Mutschli aus der Sennerei!