Wanderslust am Atlantik

Schon früh im Jahr sorgen Sonne und das milde Atlantikklima für eine üppige Blütenpracht entlang der Wanderwege.
© Joachim Chwaszcza

Angenehm: Ein organisierter Gepäcktransport erspart den schweren Wanderrucksack.
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Versteckt zwischen Felsen leuchten mediterrane Frühlingsblüher.
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Immer wieder faszinierend: Cabo de São Vicente und der Leuchtturm, der südwestlichste Punkt Europas
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Die Massage gibt es leider nur in der Hochsaison, als Wanderrast genügt aber auch die Strandbar.
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Lecker: Zwischenstopp in einer Bäckerei mit Mandelkuchen und Portwein
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Immer wieder trifft man unterwegs auf waghalsig in die Klippen gebaute Storchennester – im Frühling wird der Nachwuchs bewacht.
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Das Städtchen Odeceixe wird überragt von der alten Windmühle.
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Die „Rota Vicentina“ gilt als einer der schönsten und berühmtesten Fernwanderwege im südlichen Europa. Natur pur im Wechselspiel von Steilklippen, Meer und Macchia
Joachim Chwaszcza (Bilder und Text)
Zambujeira do Mar im südlichen Portugal thront majestätisch über der Atlantikküste. Es ist einer dieser Orte, derentwegen man vielleicht Postkarten erfunden haben mag. Denn mehr als malerisch leuchtet über der weit ausladenden Bucht das kleine weiße Kirchlein auf einer steilen Felsklippe. Wie ein Signal der Zuversicht ragt es hinaus in die blauen Wogen des Atlantiks. Um den Fischern in ihren kleinen Nussschalen den Heimweg zu zeigen und um den Touristen einen Ausblick auf die ewig anrollenden Wellen des Atlantiks zu gewähren. Unter dem Kirchplatz öffnet sich die weite und flache Sandbucht.
Ein großes, imposantes Amphitheater mit schroffen Felsklippen als Ränge und dem weiten Meer als Auditorium. Schöner und beeindruckender kann eigentlich kein Startpunkt für eine Küsten- wanderung sein. So schwenken die Augen von den grauen Felswänden über den gelben Strand zum dunklen Blau. Der Blick verliert sich am gekrümmten Horizont. Knapp 5700 Kilometer weiter liegt Amerika. Die Küste von New Jersey, vielleicht das südliche New York. Dazwischen sind nur Wasser, Himmel und unendlich viele Wellen.
Ginster und Mimosenbäume leuchten in Gelb
Durchatmen, entspannen, wandern. Körper und Seele lechzen nach den ersten lauen Tagen, den ersten wirklich warmen Sonnenstrahlen und den Farben des Frühlings. Während sich der Lenz bei uns noch bitten lässt, leuchten hier bereits Ginster und Mimosenbäume in kräftigem Gelb. Lila blühende Löwenmäulchen widerstehen standhaft den Meeresbrisen. Weiß, gelb und violett blühende Mittagsblumen sorgen für ein farbenfrohes Wechselspiel. Die Sonne zeigt ihre Kraft. Vergessen sind Schal und Mütze, jetzt bedarf es Sonnenhut und Wanderkleidung.
Die „Rota Vicentina“ gilt als einer der schönsten und berühmtesten Fernwanderwege im südlichen Europa. Vielfältig und abwechslungsreich wäre schlichtweg untertrieben. Es geht durch mediterrane Macchia, über sandbedeckte Dünen und durch felsgeprägte Klippenlandschaft. Man kann sich nicht sattsehen: Felsen, Strände, Atlantik. Die Etappenziele der mäßig anstrengenden Tagesziele sind kleine, vergessene Ortschaften. Keine Hektik, kein Stress – einfach nur wandern und durchatmen. Deswegen führen die meisten Tagesetappen entlang der spektakulären Küste. Ohne nennenswerte Steigungen, immer aussichtsreich am Kantenabbruch entlang.
An bizarren Felsnadeln thronen kunstfertig gebaute Storchennester. Bewohnt, manchmal mit Nachwuchs, trotzen sie selbstbewusst Wind und Wetter. Bucht für Bucht eröffnet sich, und der Blick von oben mahnt, wie sauber Strände sein können. Nicht jede der Buchten ist zugänglich. Für die Sauberkeit sorgt ein anderes Phänomen. „Wir Portugiesen achten auf unsere Strände, “ lobt sich Wanderführer José und gesteht, „aber es ist auch die Strömung. Sie treibt den Müll vom Meer gen Norden.“ Sonne, Meer, eine aufblühende Vegetation – es ist ein wunderbares Gefühl nach einem langen Winter. Fast möchte man schon ins Wasser springen.

Nur wenige Orte liegen wegen der meist steilen Klippenlandschaft direkt am Meer. Hier das weit nördliche Porto Corvo
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Die Bucht der Sängerin
José spielt auf seinem Handy, plötzlich singt Amália Rodrigues „Maria Lisboa“. Wir rasten oberhalb einer Bucht und lauschen der Mischung aus Wellenklang und Fado. Amália Rodrigues war die berühmteste aller großen Fado-Sängerinnen, eine Maria Callas der Schwermut. „Fado“ bedeutet Schicksal, und Amália war die unangefochtene Schicksalskönigin. Als Amália Rodrigues 1999 verstarb, hatte Portugal die Stimme verloren. Mit warmem, konturenreichem Timbre hatte Amália von Abschied, Sehnsucht, Saudade, Zärtlichkeit und verlorener Liebe gesungen.
Wir stehen an der Praia da Amália, an ihren Klippen thront verlassen das Landhaus von Amália Rodrigues. Die Bucht, der kleine Strand und der Alentejo waren ihre große Liebe. Das eins-tige Refugium ist verlassen. Geblieben sind ihre Lieder wie von „Maria Lisboa“: „ … aus Muscheln ist ihr Kleid, Algen hat sie im Haar. Sie verkauft Träume und Salzgeruch …“ Kurz hinter Amálias Bucht ist die erste Unterkunft. Ein kleines Landgut mit charmant eingerichteten Zimmern, Pool, Sonnenliegen, einer Espressomaschine und einer kleinen Bar mit eisgekühltem „Sagres“-Bier.
Eine Frage des Sich-Einlassens
Seit 2016 machen mehr Menschen auf Bali Urlaub als hier leben. Kein Wunder bei so viel Verheißung. Sonne, Sinn, Spiritualität, Schönheit, üppigste Vegetation, atemberaubende Landschaften. Und womöglich Heilung. Für die Seele und dann ja wohl vielleicht auch in der Folge für den Körper. Heiler und Heilerin ist ein völlig normaler Beruf auf Bali. Die Balians verfügen über Fähigkeiten und Methoden, die aus dem abendländischen Gesundheitssystem immer mehr verschwinden: Intuition, Ruhe, Gelassenheit, Berührung, Verzicht auf Geräte. Balians haben Zeit, und sie hören zu.
Oder sie haben Zeit und fühlen sich in die Menschen hinein, die zu ihnen kommen. Das gilt für die blinde Heilerin Ketut Mursi im „The Mandapa“ ebenso wie für die Handleserin. Die eine spürt beim Massieren tief in die Informationen hinein, die ihr verspanntes Gewebe, entzündete Muskeln und steife Gelenke geben, und leitet daraus ab, welches Thema hier schmerzt. Die andere arbeitet sich mit den Abbildungen exotischer Blüten, empathischen Fragen und den Linien der Hand zu dem vor, was Probleme bereiten könnte. Verspannungen lösen sich, Tränen fließen, das Lachen des Selbsterkennens holt Schatten ans Licht. Heilung? Wellness? Spökenkiekerei? Das hängt von den Wünschen ab, die wir mit nach Bali bringen.
Natürlich ist auch ein Bali-Urlaub komplett ohne Yoga, Balians und Spiritualität machbar. Aber das wäre schade. Denn der Zauber, die Leichtigkeit und das Image Balis gründen in der Religion, dem balinesischen Hinduismus. Er ist allgegenwärtig. Mit Tempeln, Räucherwerk, Bambuskörbchen gefüllt mit bunten Blüten, Reiskörnern auf Stirn und Hals der Gläubigen, Reinigungsritualen und Göttern. In Ubud, Zentrum der Holz- und Steinmetzkunst, säumen sie die Straßen: Brahman, Vishnu und Shiva als schöpfende und zerstörende Drei-Gottheit und immer wieder Dewi Sri, die Göttin der Reisfelder. Das Wasserwirtschaftssystem Subak, seit 2012 UNESCO-Weltkulturerbe, wurzelt im tiefen Glauben der balinesischen Hindus an die Manifestationen Gottes in allem, was ist, sowie an die Kräfte der Natur.
Wasser tut immer gut
Deshalb sind wir ein zweites Mal zum Tirta Empul gefahren. Denn so eine Karma-Dusche inmitten gläubiger Balinesen kann auf keinen Fall schaden. Made, der zukünftige Priester, weist uns in die Zeremonie ein, hilft uns, den Sarong zu binden und steigt voraus in das Becken mit heiligem Wasser. Für ihn ist die Water Purification eine ernste Sache. Er steht in einer jahrtausendealten Tradition, kennt die vedischen Schriften, weiß um sein Karma und was es davon noch aufzulösen gilt. Er weiß aber auch, dass hinter der Stirn der Frontallappen liegt, die Hypophyse, unser Kontrollzentrum im Gehirn. Da mal einen Schwall Wasser drüberlaufen zu lassen, kühlt auf jeden Fall den Geist und klärt die Gedanken. Und wer weiß, was daraus folgt, daheim in Europa.

Zwischen Amerika und Portugal ist nur der Sonnenuntergang.
© Joachim Chwascza