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Reportagen

Mario Botta: Natur trifft Geometrie

Mario Botta vor einem Entwurf für den Neubau des Bahnhofs in Locarno; immer mit dabei: ein Bleistift

Mario Botta vor einem Entwurf für den Neubau des Bahnhofs in Locarno; immer mit dabei: ein Bleistift

© Robin Daniel Frommer

Panorama-Restaurant „Fiore di pietra“ (Steinblume) auf dem Monte Generoso

Panorama-Restaurant „Fiore di pietra“ (Steinblume) auf dem Monte Generoso

© Adobe Stock/dudlajzov

Im Museum Tinguely in Basel

Im Museum Tinguely in Basel

© Basel Tourismus

Kapelle Santa Maria degli Angeli auf der Alpe Foppa am Nordosthang des Monte Tamaro

Kapelle Santa Maria degli Angeli auf der Alpe Foppa am Nordosthang des Monte Tamaro

© Ticino Turismo

Seine Bauwerke tragen eine leichte und elegante Handschrift: Der Tessiner Star-Architekt Mario Botta hat für die drei wichtigsten monotheistischen Religionen Gebetsstätten entworfen und gebaut. In der Regel arbeitet er an bis zu 20 Projekten gleichzeitig – weltweit: Banken, Museen, Weingüter und immer wieder Kirchen und Kapellen.

Robin Daniel Frommer (Text)

Manche seiner Monumente – etwa das mit Kontrasten, Formen, Licht und Schatten spielende Gotteshaus in Mogno (im Tessiner Bezirk Vallemaggia) – brennen sich geradezu ins Gedächtnis, denn Mario Botta schafft es, seine begehbaren Skulpturen die magischen Geheimnisse aus dunkler Vorzeit verströmen zu lassen. Rationale Grundformen kreuzt er mit der Sprache der Mystik. Und noch immer, so schildert er im Gespräch, ist ein Bleistift sein wichtigstes Werkzeug. 

Herr Botta, den Eidgenossen gelingen wegweisende Projekte wie der 57,1 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel mit sprichwörtlicher Schweizer Präzision.
Ja, diese Ingenieurleistung ist ohne Frage großartig. Ich organisiere als Architekt aber den Lebensraum von Menschen: Für mich liegt die übergeordnete Bedeutung der Alpentransversale in der Verbindung des Nordens mit dem mediterranen Raum. Der Tunnel ist ein wichtiger Beitrag zum kulturellen Austausch und zum Frieden. Die Schweiz ist uns bei der tragfähigen Verbindung von Norden und Süden weit voraus. 

Wie sehen Sie die Schwierigkeiten in Deutschland bei Stuttgart 21 oder beim Berliner Flughafen?
Wer Projekte vorantreibt, darf auch Fehler machen. 

Das klingt gnädig …
Der Wille, etwas gut zu machen, muss stärker sein, als alle Fehler, die begangen werden können. Unsere Generation darf sich glücklich schätzen, in einer lebenswerten Welt zu Hause zu sein. Man kann auch der Schweiz gegenüber kritisch sein. Hier gilt häufig: Alles ist Business – wie in Amerika. Aber längst nicht alles im Leben ist Geschäft. Das Leben ist das Leben. 

An die Alpentransversale angebunden ist Ihr für 2021 geplanter Neubau des Bahnhofs in Locarno. Welche Herausforderung prägt Ihr Projekt?
Ja, der Terminal liegt an einer Abzweigung der Gotthardbahn. Sein zentrales Problem ist der fehlende Platz. Es ist ein ambitioniertes Projekt, bei dem es darum geht, die Verkehrsströme mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die Bewegungen der Passagiere aus Bussen und Bahnen sowie der Besucher auf der Piazza vor der Basilika Chiesa San Vittore unter einen Hut zu bekommen. 

Sie haben mehrfach verlauten lassen, dass der Name „Fiore di pietra“ (Steinblume) des von Ihnen auf den Monte Generoso gebauten Panorama-Restaurants nicht von Ihnen stammt. Wer hat sich denn diesen Namen ausgedacht?
„Migros“-Chef Fabrice Zumbrunnen. Für mich stellt das Gebäude viel mehr das finale Element des Bergs dar:

Die Fortsetzung der Natur mit geometrischen Elementen.

Der Monte Generoso ist der letzte Berg der Alpen – und eine Eroberung der Schweizer Ingenieure, erschlossen durch  eine Zahnradbahn. Der Blick von dort oben eint zwei Welten; er macht die Veränderung der Landschaft von Norden nach Süden ganz leicht begreifbar.

Ihr jüngster Wurf ist das „Teatro dell’architettura“ in Mendrisio. Welche Aufgaben haben Sie ihm zugedacht?
Als ich studiert habe, war Architektur noch eine auf sich allein gestellte Disziplin. Die menschlichen Lebensräume prägen jedoch unterschiedliche Einflüsse: Geschichte, Philosophie, Kunst, Biologie und Neurologie. Das „Teatro dell’architettura“ dient dem interdisziplinären Austausch, es soll Barrieren überwinden und mit ungewöhnlichen Ausstellungen und Events in eigenen Räumlichkeiten das Querdenken fördern.

Sie stellen außerdem gerade ein Eishockeystadion in Ambrì fertig?
Und eine Kirche in Seoul. 

Noch etwas in der Schweiz?
In Baden bei Zürich konstruiere ich das Thermalbad. Der Wettbewerb wurde vor zehn Jahren ausgeschrieben. Nach einer sehr langwierigen Planungsphase haben wir vor drei Jahren mit dem Bau begonnen.

Wie zermürbend sind solch komplizierte Planungsperioden?
Alles dauert länger, läuft bürokratischer und damit langsamer ab als anfangs vorgesehen. Das ist ein negativer Aspekt meiner Tätigkeit. 

Müssen Architekten daher schlicht ein biblisches Alter erreichen, um ihre Projekte vollenden zu können?
Bravo!

Das Paradebeispiel ist wohl Oscar Niemeyer, der noch mit 104 Jahren täglich entworfen hat? Was haben Sie denn die nächsten 30 Jahre so vor?
Genau das. Ich werde meinem Freund Niemeyer nacheifern.

Kirchen scheinen Ihre Domäne zu sein? In Mogno oder die Kapelle Santa Maria degli Angeli auf dem Monte Tamaro …
Das ist aber gleichzeitig ein Ort von weltlicher Prägung. Der Name Santa Maria degli Angeli stammt vom Auftraggeber Egidio Cattaneos und ist eine Hommage an seine verstorbene Frau: Maria Angela. Diese Kapelle ist ein Liebesgeschenk.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Mendrisio? Und: Es wird kolportiert, dass Sie bis heute ausschließlich oder überwiegend mit dem Bleistift arbeiten.
20. Das mit dem Bleistift stimmt. Ausschließlich. Ich selbst habe auch keinen bestimmten Schreibtisch; arbeite und korrigiere aber an allen 20 Zeichentischen meiner Mitarbeiter. Es macht mir Freude, mehrere unterschiedliche Projekte gleichzeitig zu verfolgen. 

Würden Sie sich als einen religiösen Menschen beschreiben?
Ich fühle mich als Christ westeuro-päischer, mediterraner Kultur; weniger einer bestimmten Konfession zugehörig. Wenn ich mich in Venedig aufhalte, erkenne ich meine Kultur wieder. In Peking oder Shanghai passiert mir das nicht. Das ist meine Art des Widerstands gegen falsch verstandene Globalisierung und gegen den damit einhergehenden Verlust an Kultur sowie mein Plädoyer für das Festhalten an tradierten Werten. Die Architektur ist der formale Ausdruck der Geschichte. Ihr wahrer Sinn besteht darin, dass die Menschen ihre Kultur besser leben können. Die Frage, die man sich heute stellen muss, lautet, wie baue ich mit dem heutigen Kenntnisstand ein Restaurant auf dem Monte Generoso oder eine Kapelle auf dem Monte Tamaro. Finale Wahrheiten habe ich keine. Ich bin nur ein Zeitzeuge des 21. Jahrhunderts, ein Kind von Picasso, Duchamp, Bauhaus. Auch die ethische Lehre von Le Corbusier ist, gleichgültig, ob man ihn nun mag oder nicht, jeden Tag präsent. Ungefähr wie Einstein in der Physik.