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Reportagen

Strippenzieher

Für das Marionettenspiel braucht man viel Übung, Konzentration und Geschick, um all die Fäden zu koordinieren.

© Salzburger Marionettentheater

Salzburg im Winter

© Salzburg Information

Aufführung von »Der Nussknacker« im »Salzburger Marionettentheater«

© Salzburger Marionettentheater

Im »Salzburger Marionettentheater«

© Salzburger Marionettentheater

»Papageno« in »Die Zauberflöte«

© Salzburger Marionettentheater

Vom Charme der Puppenbühnen am Beispiel des »Salzburger Marionettentheaters«

Lilo Solcher (Text)
 

Puppentheater haben mich schon als Kind fasziniert. Kein Wunder, schließlich lebe ich in Augsburg, der Stadt der »Puppenkiste«. Und ich erinnere mich gerne daran, wie ich – damals 16 – in dem kleinen Marionettentheater einmal ein Schaf führen durfte. Ich hatte mich als Praktikantin beworben – für einen Ferienjob als Puppenspielerin. Nie hätte ich gedacht, dass es so schwierig sein könnte, die Fäden zu ziehen! Da hieß es: üben, üben, üben. Einmal am falschen Faden gezogen, und mein Schaf würde buchstäblich aus der Rolle fallen. Ein Alptraum! Also übte ich brav, bis ich die Fäden blind koordinieren konnte. Und als dann der Prinzipal der »Augsburger Puppenkiste«, Walter Oehmichen, bemerkte, dass mein Schaf »besonders schön grase«, platzte ich schier vor Stolz. 

Dass Puppen die Bühne beherrschen und die Menschen im Hintergrund bleiben, ist nicht unbedingt abschreckende Science Fiction. Denn anders als in so mancher Dystopie sind es im Marionettentheater immer noch die Menschen, die die Fäden ziehen

Mutter der Kompanie

An meine ersten Erfahrungen als Puppenspieler-Elevin muss ich wieder denken, als mich Barbara Heuberger, die Geschäftsführerin des »Salzburger Marionettentheaters«, hinter die Kulissen des von der Unesco zum immateriellen Welterbe geadelten Hauses führt. Aber was heißt hier Geschäftsführerin? Die quirlige Frau mit den grauen Haaren und den wachen Augen ist so etwas wie die »Mutter der Kompanie« und damit auch die »Puppenmutter«. Denn natürlich spielen hier die Puppen die Hauptrolle – und das seit über 100 Jahren. 

Begonnen hat alles mit Mozarts »Bastien und Bastienne«, das der »akademische Bildhauer« Prof. Anton Aicher im Turnsaal des fürsterzbischöflichen Borromäums inszenierte. 47 Jahre lang war dieser Saal die Heimat der Salzburger Marionetten. Nach dem Krieg und mehreren Umzügen bekamen die Puppen 1971 ein eigenes Theater im ehemaligen Hotel »Mirabell«. Zur Eröffnung gab es Rossinis »Barbier von Sevilla«. Der großen Oper bleibt das Theater treu, aber auch Schauspiele und Märchen werden inszeniert. 

Barbara Heuberger, die nach dem Tod von Gretl Aicher, der Enkelin des Gründers, das Traditionstheater übernahm, kennt jede einzelne Marionette. »Wir arbeiten hier mit kleinen Menschlein«, sagt sie liebevoll und streichelt eine schön geschnitzte Gämse. Besonders bei den alten Puppen gerät sie ins Schwärmen: »Sieht die nicht genauso aus, wie man sich eine echt intrigante Hofdame vorstellt?« Auch der Postbote mit dem – vom Alkohol - geröteten Gesicht hat ihre volle Sympathie. »Das sind Figuren aus dem Volk«, erklärt die Prinzipalin lächelnd, »und manchmal denke ich von jemandem, wenn ich durch die Straßen von Salzburg gehe, der wäre eine Puppe!«

Puppen versus 3-D-Konkurrenz

Die Salzburger Marionetten sind große Puppen, deutlich größer als die Marionetten der »Augsburger Puppenkiste«. Schließlich ist auch die Bühne größer. Wie es wohl wäre, so eine große Gliederpuppe zu führen? Eine grazile Tänzerin?

Zehn Puppenspieler zwischen Mitte 20 und Anfang 60 lassen in den Salzburger Inszenierungen die Puppen tanzen. Sie müssen allerdings noch viel mehr können als die Fäden ziehen, müssen schreinern, malen, schnitzen und schneidern können. Und das perfekt. Da ist Barbara Heuberger anspruchsvoll. Denn die Puppen müssen heute ja gegen 3-D-Konkurrenz bestehen – mit einem einzigen Gesichtsausdruck, einem »eingefrorenen Moment«, so Heuberger. 

Ich schaue in fein gearbeitete Gesichter, bewundere die beweglichen Glieder einer Puppe, die Heuberger aus einem Paket schält, staune über eine Robe, die ihrer Trägerin beim »Wiener Opernball« alle Ehre machen würde, und grinse über bunte Ringelsocken in seriösem Schuhwerk.

Große Kunst auf kleiner Bühne

Ja, die Salzburger Marionetten sind eine Kunstform für sich. Von Anfang an sollten sie den großen Schauspielern und Sängern Konkurrenz machen und auf einer kleinen Bühne große Kunst zeigen. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie nicht altern und ihre Gliedmaßen bei Bedarf ausgetauscht werden können. Sowas würden wir uns doch auch manchmal wünschen! Anders als ihr menschliches Vorbild ist die Gliederpuppe »Anna Pawlowa« for-ever young und konserviert den zarten Körperbau und die feinen Gesichtszüge einer jugendlichen Tänzerin. Auch die alten Augsburger Marionetten wirken heute noch so frisch wie vor einem halben Jahrhundert. Beneidenswert. 

Dass Perfektion auch skurrile Züge tragen kann, beweist der Theater-Fundus. Barbara Heuberger führt mich die Treppe hinauf in ihre »Schatzkammer«, dorthin, wo die aktuellen Puppen auf ihren Einsatz warten. Wow, was für ein Backstage! Da steht die versammelte Trapp-Familie, die seit 2007 »The Sound of Music« verkörpert, jenes erfolgreiche Broadway-Musical über eine angehende Nonne, die erst Kindermädchen und dann Baronin wird, das bis heute scharenweise amerikanische Touristen nach Salzburg spült. Und dort warten Puppen für die Humperdinck-Oper »Hänsel und Gretel« auf ihren Auftritt. Doch was macht Cosima Wagner hier? Barbara Heuberger freut sich diebisch über meine Verblüffung. »Schauen Sie genau hin«, sagt sie: »Wir haben drei Puppen für die Hexe. Cosima Wagner verwandelt sich im Verlauf der Geschichte in Richard Wagner.« Die Idee dazu hatte Regisseur Hinrich Horstkotte, der auch das Bayreuther Festspielhaus zum Vorbild fürs Hexenhaus nahm. »Spinnen muss man schon«, kommentiert Heuberger mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.

Internationale Erfolge

Fast von Anfang an hat das »Salzburger Marionettentheater« international Erfolge gefeiert, Tourneen führten die Puppen und ihre Strippenzieher in die USA und nach Japan, nach Australien, Südafrika und in den Oman. Auch aus Saudi Arabien kam eine Einladung, verrät die Theaterleiterin. »The Sound oft Music« sei die erste Wahl der Wüstensöhne gewesen. Aber dann hätten die Saudis nachgefragt, ob man denn das Stück auch ohne Nonnen zeigen könne. Inzwischen habe man sich auf »Peter und der Wolf« geeinigt. 

Zehn Jahre geht die Produktion schon erfolgreich über die Bühne. »Da hat sich der Aufwand gelohnt«, sagt Heuberger und seufzt. Denn das Marionettenthe-ater plagen derzeit Geldsorgen. Nachdem eine Crowdfunding-Aktion für den »Kleinen Prinzen« fehlgeschlagen ist, hofft die Prinzipalin auf Subventionen durch die Stadt Salzburg. »Wir sind doch heute wichtiger denn je«, ist sie überzeugt. »Alles ist digital, wir sind analog« – und machen Wunder wahr. Denn die Puppenspieler erwecken mit ihrer Kunst tatsächlich Holzköpfe zum Leben. 

Künftig sollen Besucher ihnen bei der Arbeit zuschauen können, um eine Ahnung zu bekommen, wie anstrengend es ist, die Puppen tanzen zu lassen. Anstrengender oft als selbst auf der Bühne zu stehen. Auch deshalb habe ich meinen Traum, Puppenspielerin zu werden, dann doch nicht verwirklicht. Aber der »Offenbach’sche Traum«, den das »Salzburger Marionettentheater« nach Ansicht eines »Figaro«-Journalisten wahrgemacht hat, wird hoffentlich nicht an etwas so Banalem wie dem Geld scheitern. 

Das Festprogramm steht schon fest: Am 26. Dezember werden »Der Nussknacker« und »Die Zauberflöte« die Zuschauer verzaubern. Und zu Silvester gibt’s traditionell »Die Fledermaus«. Auch in der »Augs-burger Puppenkiste« wird’s weihnachtlich: »Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel« heißt das Stück für Advent und Weihnachten. Ob da wohl auch ein »schön grasendes Schaf« vorkommt?