Es werde Licht!

Von September bis März dauert in Tromsø die Nordlicht-Saison.
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Hafen und Altstadt von Tromsø
© Mathias Rentsch

Im Nordnorsk Kunstmuseum in Tromsø sind auch Werke der berühmten, schwedischen Sami Textilkünstlerin Britta Marakatt-Labba ausgestellt, die 2017 auch schon Gast auf der „documenta 14“ in Kassel war.
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Tromsø ist umgeben von Schären, Fjorden und einer kargen Berglandschaft.
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In Nord-Norwegen zu Hause: Huskys
© Mathias Rentsch
Tromsø gilt weltweit als einer der Nordlicht-Hotspots. Ein Schlaraffenziel für Fotografen. Und für alle, die ein Rezept gegen den Winter-Blues brauchen
Mathias Rentsch (Bilder und Text)
Jeder Fotograf hat bestimmte Bilder im Kopf, die er gern selber mal machen möchte. Bei mir sind das Nordlichter, seit ich zum ersten Mal in Reykjavík das Glück hatte, welche zu erleben – aber dummerweise meine Kamera nicht dabei hatte. Aber wenn, dann wollte ich natürlich aus dem Vollen schöpfen: Also, ab nach Tromsø in Nord-Norwegen, „Hauptstadt der Nordlichter“.
Im Schnitt minus 4 Grad
Wie auch große Teile von Nord-Norwegen liegt die Stadt direkt unter dem Nordlicht-Oval. Das bedeutet, sie ist einer der Orte auf der Welt mit dem meisten Nordlicht. Sogar mitten in der Stadt kann man es häufig sehen. Was ich dann während meiner Reisevorbereitungen alles über Tromsø gelesen habe, machte mich umso neugieriger. Nordlichter würden nicht die einzige lohnende Foto-Opportunity für mich sein in der großen Stadt rund 350 Kilometer nördlich vom Polarkreis, direkt an der Kante der arktischen Wildnis. Vielmehr sieht ganz Nord-Norwegen so aus, als warte es nur darauf, abgelichtet und hochgeladen zu werden auf Instagram & Co.
Vom Flughafen Tromsø-Langnes geht es per entspannter Busfahrt in die 20 Minuten entfernte Innenstadt, einchecken – und dann auch gleich los. Natürlich gut eingepackt; die Stadt liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Nord-Alaska. Aber dem Golfstrom sei Dank, ist es hier nur selten genauso kalt, im Schnitt minus 4 Grad – heißt es. Im Stadtkern von Tromsø fordern die kunterbunte, zusammengewürfelte, windschiefe Mischung aus schmucken, farbenfrohen Holzhäusern aus dem 19. Jahrhundert, einige Schmuckstücke des Jugendstils (nordisch interpretiert auf den bunten Häusern) und des Funktionalismus und auch Beton-Charme aus den 1970er Jahren zum Dauershooten heraus. Läden, in denen man ein Schnäppchen machen kann, gesellige Cafés und Bars, verschiedenste Restaurants sowie ein gut gelauntes und nicht gerade leises Nachtleben sorgen dafür, dass auf der Hauptstraße Storgata fast rund um die Uhr emsiges Treiben herrscht.
Huldigung dem eisigen Norden
Die Geschichte des Eismeerfangs und der großen Entdecker wird im Polarmuseum gezeigt. Nach gigantischen umgefallenen Dominosteinen sieht das arktische Aquarium Polaria aus. Innen geht es vor allem um die Meeresbewohner jenseits des Polarkreises. Bullaugenförmige Aquarien machen Blickkontakt mit Garnelen möglich, und ein Tunnel führt quer durch das Becken der Bartrobben – die Hauptattraktion des Polarias.
Die Eismeerkathedrale gleich auf der anderen Seite der Tromsø-Brücke ist das Wahrzeichen der Stadt und strahlt eine unglaubliche architektonische Leichtigkeit aus. Architekt Jan Inge Hovig versah die evangelisch-lutherische Kirche mit Dachschrägen, die bis auf den Boden reichen, und einer der größten Glasfassaden Europas. Das Zusammenspiel von Holz, Glas und Beton soll im Innenraum das Polarlicht, Eis und lange Dunkelheit widerspiegeln.
Der Winter und die lange Dunkelheit haben für uns Mitteleuropäer oft etwas Abschreckendes, nicht so bei den Nord-Norwegern. Wer die Menschen am nördlichsten Vorposten Europas fragt, wie sie durch die Dunkelheit kommen, dem schlägt zuweilen Verwirrung entgegen. Winter, Dunkelheit und Kälte sind hier keine Begriffe, die negativ konnotiert sind. Es gilt die Polarnacht nicht zu ertragen, es gilt sie zu genießen.
Festivals gegen den Winter-Blues
„Vor ein paar Jahrzehnten ist die Stadt zwischen November und Januar noch in einen Winter-Blues verfallen“, erklärt Bürgermeisterin Kristin Røymo auf die Frage hin, ob die Tromsøer den Winter aus Tradition so ausgiebig feiern. Doch dann habe man aus der Not eine Tugend gemacht, es wurde eine Reihe von Festivals initiert: Musikfeste, ein Filmfestival und Sportveranstaltungen – alles in der Dunkelheit. Die Stadt wurde internationaler, neue Bars und Restaurants wurden eröffnet. Tatsächlich wirkt Tromsø für fast 77.000 Einwohner heute überraschend lebendig. „Wir haben uns nicht mit der Dunkelheit arrangiert“, sagt die Bürgermeisterin, „wir haben sie umarmt!“
Tatsache: Die Leute in Tromsø sind gut drauf. Keine grimmigen Kälte-Gesichter, sondern ein freundliches Lächeln, wohin ich auch komme. Oddgeir am Ticket-Counter des Nordnorsk Kunstmuseum schwärmt mir vor: Tromsø werde aufgrund seiner unerwarteten kulturellen Vielfalt auch das „Paris des Nordens“ genannt, und abends solle ich unbedingt ein Konzert des Norwegian Arctic Philharmonic Orchestra, der nördlichsten Philarmoniker der Welt, besuchen.
Von der Kunst zum Verständnis
Aber erst einmal wartet die Kunst: Mich beeindruckt neben der spannenden Sammlung kontemporärer Werke vor allem die indigene Sami-Künstlerin Britta Marakatt-Labba, die sich in großflächigen Strickereien mit der Geschichte und Mythologie ihres Volkes auseinandersetzt. Irgendwie kommt es mir vor, als wäre ich durch die ausgestellten Kunstwerke der Kultur und Gefühlswelt der Menschen hier im hohen Norden und ihrer Verbundenheit mit der wilden Natur ein wenig nähergekommen.
Der junge Tromsøer Oddgeir hatte mir auch noch ein Lokal fürs Dinner empfohlen. In „Emmas Drømmekjøkken“, wo ich mich wenig später wiederfinde, werden nur die besten regionalen Zutaten verwendet, und die Chefin bereitet ihr berühmtes „Fish au gratin“ mit frisch gefangenem Fisch an diesem Abend selbst zu. Es schmeckt fantastisch! Und ich kann verstehen, warum es dieses kleine Restaurant schon öfter ins internationale Fernsehen geschafft hat, wie mir Emma selbst stolz erzählt.
Nach dem Essen ist vor dem Konzert, und so ziehe ich mich im Hotel kurz um und mache mich auf den Weg ins Kulturhuset, wo an diesem Abend lustigerweise die ganze Welt musikalisch dadurch umspannt wird, dass Richard Tognetti zu Gast ist. Nicht nur ein berühmter Solist, sondern auch der Leiter des Australian Chamber Orchestra, des südlichsten Kammer-orchesters der Welt. Die Akustik ist genauso beeindruckend wie das Orchester, und die dargebotene Variation aus Mozart, Beethoven und Bach ein Genuss.
Bester Blick vom Berg – und klick!
Trotzdem werde ich gegen Ende immer unruhiger, denn ich habe noch ein letztes „Date“ an diesem Tag in Tromsø, und zwar mit der Seibahn Fjellheisen.
Die Bahn auf den 420 Meter hohen Hausberg Storsteinen wurde 1961 während des großen Booms der Fischerei in Tromsø eröffnet und bietet seitdem einen fantastischen Ausblick über die Stadt und die Umgebung. Und für mich das Wichtigste: Sie fährt in den Wintermonaten bis 23 Uhr und ermöglicht so auch einen nächtlichen Blick auf die Lichter der Stadt und die Nordlichter, die hier sehr regelmäßig über den Himmel ziehen.
Hier oben sollte es passieren: mein Nordlicht-Foto. Perfekt. Naja, fast perfekt, denn ausgerechnet an diesem Abend zeigten sich auch nach längerem Warten und einem wärmenden Tee im „Fjellstua Café“, dem Restaurant mit dem wohl besten Ausblick Norwegens, keine Nordlichter. Der Ausblick auf die Stadt bei Nacht war aber trotzdem beeindruckender, als er auf jedem Display hätte aussehen können. Und morgen ist ja auch noch ein Tag beziehungsweise eine Nacht.

Denkmal für den Arktis- und Antarktis-Abenteurer Roald Amundsen, der von Tromsø aus seine Expedition startete.
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Felsritzungen im Außenbereich des Alta Museum World Heritage Rock Art Centre
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Sami Johan erklärt Besuchern seine Kultur beim Rentiereintopf.
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