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Reportagen

Eine ungewisse Zukunft

Die Zahl der Yaks im Himalaya geht dramatisch zurück.

Die Zahl der Yaks im Himalaya geht dramatisch zurück. Unverzichtbar sind die Tiere aber noch immer, um Nachschub zum Mount-Everest-Basislager zu transportieren.

© Peter Hinze

Mustang bietet unvergleichbare Momente zwischen Geschichte und Gebirge.

Mustang bietet unvergleichbare Momente zwischen Geschichte und Gebirge.

© Peter Hinze

Höhepunkte jeder Nepal-Reise sind Begegnungen mit Einheimischen.

Höhepunkte jeder Nepal-Reise sind Begegnungen mit Einheimischen.

© Peter Hinze

Nach einem langen Monsun steht in Makalu Barun im Herbst die Reisernte an.

Nach einem langen Monsun steht in Makalu Barun im Herbst die Reisernte an.

© Peter Hinze

Traditionelle Schafhirten in  Gatlang

Traditionelle Schafhirten in Gatlang

© Peter Hinze

Bei Num rückt die Zivilisation immer näher.

Bei Num rückt die Zivilisation immer näher.

© Peter Hinze

Der Great Himalaya Trail zieht sich auf über 1500 Kilometern von Ost nach West durch den gesamten nepalesischen Himalaya. 

Peter Hinze (Bilder und Text)

Eine kontrastreiche Wanderung: Bestimmen am Mount Everest und am Annapurna die Auswüchse eines Massentourismus die Reise, prägt in Regionen wie Kanchenjunga oder Dolpo Einsamkeit den Alltag. Noch intensiver und authentischer lässt sich Nepal wohl kaum entdecken. Doch die Zeit drängt, denn Klimawandel und Zivilisation bedrohen die Zukunft der Bergregion. Es ist nicht die nahende Passüberquerung des Narkung La, die uns den Atem verschlägt. Es ist vielmehr ein ungewohnter Anblick: Im Teehaus von Sibuje, einem Dorf mit wenigen Hütten, treffen wir auf den ersten Ausländer – nach 16 Tagen in den Bergen Nepals. Der Mann mit dem braunen Rucksack stellt sich als deutscher Banker aus Singapur vor. Er ist mit einer lokalen Trekking-Gruppe unterwegs zum Mera Peak, einem gut erreichbaren 6476-Meter-Gipfel in einem Seitental des Solu-Khumbu. 

Die überraschende Begegnung verliert jedoch bereits am nächsten Tag ihre Einzigartigkeit. Denn kurz nach Lukla, dem geschäftigen Flughafen und traditionellen Startpunkt für Wanderer Richtung Basislager des Mount Everests, stauen sich Dutzende Wanderer globaler Herkunft vor jeder Hängebrücke. Den Trail säumen Restaurants mit internationaler Küche, moderne Lodges jeder Kategorie und trendige Coffee Shops mit WLAN.

Komfort-Wandern boomt

Vor allem die Sherpas im Solu-Khumbu haben sich auf die Wünsche ihrer Trekking-Klientel inzwischen perfekt eingestellt. Komfort-Wandern mit Übernachtung in Hotels inklusive warmer Dusche, kulinarischem 5-Gänge-Menü und wohlig-warmer Atmosphäre am Kamin sind gefragt. Dabei gelten die „Yeti Hotels“ als das Maß aller Übernachtungen. 

Noch immer prägt vor allem der Wunsch, einmal den Mount Everest oder einen anderen 8000er-Berg zu sehen, eine Nepal-Reise. Und so werden besonders die Mount Everest-Region, aber auch Annapurna und in den letzten Jahren verstärkt Manaslu, von den jährlich knapp eine Million ausländischen Touristen wegen der guten Infrastruktur bevorzugt, auch wenn sich hier das typische Nepal-Leben kaum noch entdecken lässt.

Abgelegene Gebiete erschließen

Und so ist es der Great Himalaya Trail, einer der längsten und höchstgelegenen Wanderwege weltweit, der das authentische, ländliche Nepal ins Visier genommen hat. „Die Idee ist, auch abgelegene Gebiete des Landes für den Tourismus zu erschließen“, sagt Robin Boustead. Der Australier rief den GHT vor knapp zehn Jahren als NGO-Projekt ins Leben. Auf über 1500 Kilometern zieht sich der GHT durch den gesamten Himalaya Nepals. Startpunkt ist zumeist das östliche Kanchenjunga-Gebiet, das man erst nach gut einer Woche Anreise von Kathmandu aus erreicht. Wegweiser sucht man vergebens. Vielmehr nutzt der GHT vorhandene Trekking-Routen ebenso wie alte Handelspfade. „Es ist ein Wege-Netz, auf dem sich jeder seine ganz individuelle Variante suchen kann“, beschreibt Boustead eine Route, die bislang lediglich rund 150 Ausländer in seiner vollen Länge bewältigt haben. 

Auch wenn sich die Zahl der Wanderer in engen Grenzen hält, so starten immer mehr ausländische Trekker zu Teil-etappen. Auch im Wissen, dass Tourismus für viele Regionen eine der wenigen Einnahmequellen darstellt. Vor allem sind es die Begegnungen mit den Einheimischen, die das GHT-Abenteuer prägen. 

In Kambachen klagt ein Hirte, dass über Nacht ein Schneeleopard einen Yak gerissen hat. „Doch die Regierung schützt nur die Raubtiere. Uns hilft niemand!“ Einen Tagesmarsch später erzählt Lodgebesitzer Nupu Sherpa, früher sei sein Vater mehrmals im Monat über den 5159 Meter hohen Lumbha-Sambha-Pass gegangen und hätte Post auf die andere Bergseite gebracht. Heute würde dieser Job nicht mehr gebraucht. „Wir nutzen jetzt Smartphones.“ Der Vater lächelt. Er war lange Mönch im örtlichen Kloster, derartiger weltlicher Wandel kann ihn kaum aus dem Gleichgewicht bringen.

Thudam trägt den wenig einladenden Beinamen „das abgelegenste Dorf Nepals“. Dort sitzen zwei Bäuerinnen am Herdfeuer, mit denen sich selbst die Sherpas kaum unterhalten können, weil die alten Frauen nur Walungge sprechen. Nicht einmal 1000 Menschen beherrschen noch diesen Dialekt. „Erst werden wir sterben, und nicht viel später unsere Sprache und unsere Kultur“, klagen die beiden 80-Jährigen. Niemand widerspricht. 

Immer noch massiv zerstörte Dörfer erinnern im Langtang an die Erdbeben im Jahr 2015. Hilfe ist bislang kaum angekommen. Und wird mit jedem weiteren Monat noch unwahrscheinlicher.

In Gatlang treffen wir eine Familie, die Wolle für traditionelle Mäntel (Bakhus) spinnt, aber zum Färben seit Jahren keine Pflanzen mehr an den Berghängen findet. „Wir müssen jetzt teure, chemische Produkte in der Stadt kaufen“, gesteht das Familienoberhaupt. Auch in Mustang klagt einer der letzten Amchis, der traditionellen tibetischen Ärzte, Kräuter für einheimische Arzneien seien kaum noch zu finden. 

Unser zweites Frühstück genießen wir am staubigen Wegesrand kurz vor Panduasin mit einer Nomaden-Familie, die vielleicht ein letztes Mal mit ihrer Ziegenkarawane Salz über die Berge von Tibet nach Nepal bringt – und keine Zukunft mehr sieht. „Es gibt jetzt Straßen, und unsere Tradition wird nicht mehr gebraucht.“

Kultur Opfer der Moderne

Vor allem die Chinesen bauen Straßen, erschließen und verändern damit selbst abgelegene Himalaya-Täler dramatisch. Auf der Strecke bleibt zumeist eine jahrhundertealte Kultur. Als Robin Boustead den GHT erfand, kreierte der Australier eine „Hochroute“, die bis auf 6000 Meter führt, und eine „Kulturroute“, die Regionen bis zu rund 3000 Metern Höhe erschließen sollte, aber seit 2017 ein Stück Geschichte ist.

„Es gibt entlang dieser tieferen Route kaum noch Kultur. Zivilisation und Straßenbau verdrängen alles. Bald wird man die ganze Strecke auf Pisten und Straßen per Motorrad abfahren können“, sagt Boustead konsterniert. 

Aber auch die „Hochroute“ führt in eine unsichere Zukunft. Schuld ist der Klimawandel. Gletscherschmelze, Dürreperioden und kaum noch vorhersehbare Monsunzeiten verändern die Landschaft. Und so wandern vor allem die Jungen hinunter in die Großstädte Kathmandu und Pokhara. Ihnen folgen auch zahlreiche Mönche, deren Klöster längst unter Nachwuchsmangel leiden. Und so ist es der mögliche Tourismus und das Geld der Fremden, der vielen Menschen entlang des Great Himalaya Trails als letzte Hoffnung auf ein besseres Dasein bleibt.

Wie die Pioniere

Doch wie selten eine komplette GHT-Wanderung noch ist, zeigt sich nach 87 Tagen am Ziel an der westlichen nepalesischen Grenze nach Indien. Die Beamtin in Darchula will einfach nicht glauben, dass wir nach 1864 Kilometern aus dem fernen Kanchenjunga kommen: „Das kann nicht sein, denn noch nie hat jemand hier behauptet, er käme zu Fuß aus dem fernen Osten“. Sagt’s und verschwindet kopfschüttelnd in ihrem Grenzhäuschen.