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Reportagen

Tomisaku Kawasaki: Kinderarzt mit Mission

Nach seiner Pensionierung gründete der Mediziner das Japan Kawasaki Disease Research Center in Tokio und war dort lange Direktor. Er lehrte u.a. auch an der University of California San Diego, wo ebenfalls ein Kawasaki Disease Research Center eingerichtet wurde.

© Courtesy of UC San Diego Kawasaki Disease Research Center

Das Kawasaki-Syndrom ist eine Gefäßentzündung der kleinen und mittleren Arterien. Besonders bedeutsam ist die mögliche Beteiligung der Herzkranzgefäße.

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Mittels Blutbild können beim Kawasaki-Syndrom ähnliche Krankheiten ausgeschlossen werden.

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Eingang zur Medizinischen Fakultät der Universität Chiba, wo Kawasaki studierte

© Wikimedia Commons/CC-BY-SA-3.0

40 Jahre praktizierte Kawasaki als Kinderarzt am Rot-Kreuz-Krankenhaus im Stadtteil Hiroo in Tokio.

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Gegen alle Widerstände erforschte der japanische Arzt eine mysteriöse Kinderkrankheit in Form eines Multisymptom-Entzündungssyndroms, die er 1967 ausführlich beschrieben hatte und die später nach ihm benannt werden sollte. 

Marion Vorbeck (Text)

Er erlebte fast ein ganzes Jahrhundert und schrieb Medizingeschichte. 1925 wurde Tomisaku Kawasaki in eine Tokioter Großfamilie als jüngstes von sieben Kindern geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Obwohl er sich als Jugendlicher leidenschaftlich für Botanik interessierte, schrieb er sich seiner Mutter zuliebe kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für ein Medizinstudium an der staatlichen Universität Chiba ein. 

Bescheiden als Mensch, bestimmt als Mediziner 

Sprach bereits der Forschergeist aus ihm, als er seine Entscheidung für die Pädiatrie damit begründete, dass erwachsene Patienten immerzu klagen würden, kranke Kinder hingegen nur wenig sagen? Ihnen wollte er sich widmen und fing als Kinderarzt im Rot-Kreuz-Krankenhaus im Bezirk Hiroo in Tokio an. Dort sollte er vierzig Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1990 bleiben, obwohl er es längst zu beträchtlicher Bekanntheit als Entdecker des Kawasaki-Syndroms gebracht hatte.

Seine Weggefährten bezeichnen Tomisaku Kawasaki als ruhigen, sehr bescheidenen Mann. Doch was sein Fachgebiet betraf, erwies er sich als durchaus hartnäckiger Erforscher der rätselhaften Krankheit, die er wiederholt bei Kindern diagnostizierte. Hohes Fieber, gestörtes Allgemeinbefinden, Entzündung beider Augen, auffällig gerötete Ganzkörperexantheme, vergrößerte Halslymphknoten, Veränderungen der Mundschleimhaut, geschwollene Lippen, Himbeerzunge: Vom ersten Augenschein her erinnerten viele Symptome an Scharlach. Entgegen der Meinung vieler Kollegen war Kawasaki jedoch überzeugt, eine neuartige Krankheit vor sich zu haben und sah sich in den folgenden Jahren durch ähnliche Fälle bestätigt.

Lange Zeit Skepsis bei den Kollegen 

Hellhörig war Kawasaki erstmals im Jahr 1961 geworden, als er einen vierjährigen Jungen im Rot-Kreuz-Krankenhaus untersuchte. Auf Antibiotika sprach der an hohem Fieber, roten Augen und Ausschlag leidende Patient nicht an, Scharlach schloss der Arzt durch eine Halskultur aus. „Eine solche Kombination von Symptomen hatte ich nie zuvor gesehen, sie fand sich auch in keinem Medizinlehrbuch“, erinnerte er sich später an seinen ersten kleinen Patienten mit dieser Krankheit. 

Bald behandelte Kawasaki weitere Patienten, deren Krankheitsbild kein Lehrbuch aufführte. Anfang der 1960er Jahre legte er auf einer Mediziner-Konferenz in Japan einen Bericht über die ersten sieben Fälle vor. Auch da nahmen die Kollegen seine Beobachtungen noch nicht ernst und meinten, Kawasaki beschreibe hier lediglich das inflammatorische Still-Syndrom oder die Stevens-Johnson-Hauterkrankung, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen.

Doch der Kinderarzt ließ sich nicht beirren. 1967 hatte er bereits 50 Kinder mit ähnlichen Symptomen im Krankenhaus behandelt und publizierte seine Beobachtungen detailliert im japanischen Fachmagazin „Arerugi“. In seinem Beitrag beschrieb Kawasaki die neue Krankheit und bezeichnete sie als „Akutes fiebriges mukokutanes Lymphknotensyndrom“. Seine 44-seitige Studie erfuhr zahlreiche Reaktionen aus der japanischen Ärzteschaft, den USA und anderen Ländern, zumal inzwischen Todesfälle von Kleinkindern in Verbindung mit Kawasakis Entdeckung gebracht wurden. 

Letztendlich Anerkennung für die neue Entdeckung 

Nun war die Zeit reif für seine Anerkennung durch die medizinische Öffentlichkeit; sogar die japanische Regierung setzte ein Komitee zur Erforschung dieser neuen Erkrankung ein. 1979 schließlich wurde die Diagnose als Kawasaki-Syndrom in die 11. Auflage des renommierten „Nelson Textbook of Pediatrics“ aufgenommen und hatte sich somit als feste Bezeichnung international etabliert; das außerdem als „MCLS“ (Mukokutanes Lymphknotensyndrom) bezeichnet wird.

Unbehandelt kann die fiebrige Krankheit, die mit einer Vaskulitis der kleinen und mittleren Arterien und systemischer Entzündung anderer Organe einhergeht, zu lebensgefährlichen kardialen Komplikationen führen. Betroffen sind vor allem Kinder im Alter von bis zu fünf Jahren; vor allem asiatischer Abstammung. Seit der ersten Erhebung im Jahr 1970 wurden allein in Japan 200.000 Fälle diagnostiziert. In den USA wird das Syndrom laut Kawasaki Disease Foundation bei rund 4200 Kindern diagnostiziert, in Deutschland sind neun von 100.000 Kindern unter fünf Jahren betroffen. 

Frühe Diagnose beeinflusst den Krankheitsverlauf sehr positiv

Zur Reduktion der Entzündung und Vermeidung koronarer Komplikationen werden Gammaglobulin, außerdem Aspirin zur Behandlung von Entzündungen, Schmerzen und Gelenkentzündungen sowie Fieber gegeben; Antibiotika haben keine Wirkung. Der Auslöser der nicht ansteckenden Krankheit ist bis heute nicht geklärt – vermutet wird eine infektiöse Ursache, möglicherweise begünstigt durch erbliche Faktoren.

Dank Tomisaku Kawasakis medizinischem Scharfblick und seiner differenzierten Beschreibung der Symptome wird eine frühe Diagnose der bis dahin unbekannten Erkrankung erleichtert. Die Therapie ist inzwischen so weit entwickelt, dass der Anteil von Aneurysmen in den Herzkranzgefäßen und anderen Arterien von 25 auf weniger als 5 Prozent verringert werden konnte.

Einladung in den Palast des Kaiserpaares

Nach seiner Pensionierung gründete der Mediziner das Japan Kawasaki Disease Research Center in Tokio und war lange Direktor, er lehrte auch als Gastprofessor an der Universität von Kurume und in den USA. Für seine Forschung erhielt Kawasaki zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den ersten Preis der Japanischen Pädiat-rischen Gesellschaft, den „Japan Acade-my Award“ und wurde 2010 Ehrenbürger von Tokio. Die ultimative Ehrung erfuhr der Kinderarzt jedoch durch eine Einladung in den Palast des Tennos, um dort dem japanischen Kaiserpaar über seine bahnbrechende Forschung zu berichten. Tomisaku Kawasaki starb im Juni 2020 mit 95 Jahren.