Dr. Adolf Kußmaul: Findiger Arzt und Satiriker

Porträt von Adolf Kußmaul (1822-1902), Druckgrafik
© Österreichische Nationalbibliothek

Der Sonntagsspaziergang, Öl auf Holz, von Carl Spitzweg aus dem Jahr 1841, ein typischer Vertreter der Biedermeier-Epoche
© Wikimedia Commons/gemeinfrei/Joachim Nagel: Carl Spitzweg. Belser, Stuttgart 2008, S. 15
Wie kein zweiter war Adolf Kußmaul, Arzt, Schriftsteller und freiheitlicher Denker, in seiner Epoche verankert, ja, er prägte sie mit seinen Biedermeier-Gedichten sogar begrifflich mit. Als Reformburschenschafter und Militärarzt hat er Restauration, Revolution und Scheitern der ersten deutschen Nationalversammlung miterlebt und war als Mediziner seiner Zeit oftmals voraus.
Bettina Rubow (Text)
Adolf Kußmaul hatte als junger Hausarzt im Schwarzwald gearbeitet, bevor er einer der profiliertesten Hochschul-lehrer Deutschlands wurde. Die nach ihm benannte Kußmaul--Atmung (Azidoseatmung, s. Kasten auf S. 22), die auf ein diabetisches Koma hinweist, ist auch heutigen Medizinern ein Begriff. Der Universität als ordentlicher Professor vorgestellt hat er sich aber mit einer Untersuchung über das „Seelen-leben des neugeborenen Menschen“ (1859), die viel von dem Wissen vorwegnimmt, was wir heute über Neugeborene haben.
Im Jahr darauf beschrieb er gemeinsam mit Rudolf Maier erstmals eine schwere Gefäßerkrankung, die Polyarteri-itis nodosa (PAN), die Rheumatologen bis heute Rätsel aufgibt. 1867 schließlich führte er die Methode des Magenauspumpens ein, die ganz neue diagnostische Perspektiven eröffnete. Mit der Magenspiegelung und der Erfindung des Endoskops gilt Kußmaul als Vater der Gastroenterologie.
Die menschliche Sprache war sein Steckenpferd
Als Ordinarius in Freiburg und Straßburg publizierte Kußmaul über unterschiedliche Themen der inneren Medizin – von Pericarditis über Fehlbildungen des Uterus bis zu Pockenimpfung und Syphilis. Aber er widmete sich auch seinem Steckenpferd, der menschlichen Sprache, und prägte die Begriffe der „Wortblindheit“ (später Legasthenie) und der Aphasie, die er auch psychologisch deutete. Aus Gründen schweigen … genau das tat er nicht, als er sich als Emeritus in Heidelberg hinsetzte und seine Memoiren aufschrieb. Die „Jugenderinnerungen eines alten Arztes“ sind ein großartiges Zeugnis nicht nur seines Lebens als Gymnasiast, Korpsbruder, Student, Landarzt und Wissenschaftler, sondern spiegeln auch die geistigen und politischen Kämpfe zur Mitte des 19. Jahrhunderts wider. Die Lektüre lohnt sich unbedingt.
Einer der schönsten Episoden in den Jugenderinnerungen erzählt die Geschichte des Weiland Gottfried Biedermaier (noch mit ai geschrieben) und seiner Gedichte. Tatsächlich haben Kußmaul und sein Freund Ludwig Eichroth (1827 bis 1892) die Figur des dichtenden Biedermanns erfunden, um ihm die braven Ergüsse eines real existierenden Dorfdichters in satirischer Form „unterzuschieben“. Das poetische Schelmenstück erschien in der Münchner Satirezeitschrift „Fliegende Blätter“, publizistische Heimat unter anderen von Wilhelm Busch und Carl Spitzweg. Dass der Biedermeier nicht nur für die Kritik am Untertanengeist im damals noch zersplitterten Deutschland stehen sollte, sondern für einen bürgerlichen, von Innerlichkeit geprägten Lebensstil … konnten die beiden damals noch nicht ahnen.

Der Schwertschlucker, Dresden um 1900, Hersteller: Werkstatt Rudolf Pohl (1852-1926). Schwertschlucker hatten Kußmaul seinerzeit zur Technik der Endoskopie inspiriert. Das Exponat ist ein anatomisches Modell aus dem Konvolut Sammlung „Anatomisches Panoptikum“ des Deutschen Hygiene-Museums Dresden (www.dhmd.de), in dessen Zentrum mehr als 200 Wachsmodelle, Moulagen, Präparate sowie Lehr- und Relieftafeln stehen. Es wird nicht ständig ausgestellt.
© Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Fotograf: David Brandt

Haus Plöck 50, Ortsende, in dem Adolf Kußmaul von Ostern 1888 bis zum 28.5.1902 lebte. Aufnahme aus dem gegenüberliegenden Haus am 25.2.1972 von W. Willer
© Universitätsbibliothek Heidelberg
Klar denken, warm fühlen, ruhig handeln
In Kußmauls Jugenderinnerungen kann man selbst nachlesen, wie sehr er sich als Landarzt im Gebirge für seine Patientinnen und Patienten verausgabte. Die Landarztpraxis sei seine beste Schule gewesen, schreibt er im Rückblick, lernte er doch dort das Notwendige von dem Unnötigen zu unterscheiden. Doch was nutzt ein schwer kranker Arzt den bedürftigen Patienten? Nichts!
Nach drei Jahren härtester ärztlicher Praxis, während der er nächtelang zu Fuß und zu Pferd zu Schwerkranken unterwegs war und am Tag ambulante Patienten empfing, erkrankte er selbst an einer Polyradiculitis mit Lähmung der Beine und Harnblase, die ihn um ein Haar das Leben gekos-tet hätte. Das Bild seines eigenen Vaters vor Augen, der als „Physikus“ im badischen Wiesloch früh verstorben war, entschloss sich Kußmaul, die akademische Laufbahn, die er einst, um das väterliche Portemonnaie zu schonen, nicht weiterverfolgt hatte, wieder aufzugreifen.
Er promovierte bei Virchow in Würzburg, der sein Talent erkannte und ihn über Jahre förderte. Als geachteter Hochschullehrer, Geheimrat und Ehrenbürger von Heidelberg, der Stadt, in der er einst sein Medizinstudium aufgenommen und sich später habilitiert hatte, konnte Kußmaul auf ein erfülltes Leben zurückschauen. Das war, wie man an den Beispielen von Gudden oder Semmelweis sieht, nicht selbstverständlich. Seine Maxime „klar denken, warm fühlen, ruhig handeln“ prägt bis heute ärztliches Handeln.