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Reportagen

Creutzfeldt und Jakob: Eine Krankheit, zwei Entdecker

Sog. Florider Plaque in der Hirnrinde (Autopsiepräparat) eines Patienten mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK)

Sog. Florider Plaque in der Hirnrinde (Autopsiepräparat) eines Patienten mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK)

© Wikimedia Commons/public domain

Modell eines Gehirns

Modell eines Gehirns

© Colourbox/Kirill

Bei klinisch vermuteter vCJK ist die Magnetresonanztomografie bei der Diagnose die bildgebende Untersuchung der Wahl.

Bei klinisch vermuteter vCJK ist die Magnetresonanztomografie bei der Diagnose die bildgebende Untersuchung der Wahl.

© Adobe Stock/Chinnapong

Creutzfeldt-Jakob, diesen Doppelnamen spricht man nicht gern aus, denn er bezeichnet eine der grausamsten Krankheiten des Gehirns.

Bettina Rubow (Text)

Wie vor ihnen Alois Alzheimer haben Hans Gerhard Creutzfeldt (1885-1964) und Alfons Maria Jakob (1884-1931) Medizingeschichte geschrieben, als sie zu Beginn der 1920er Jahre die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (abgekürzt CJK) entdeckten und erstmalig beschrieben. Im wahren Leben sind sich die beiden etwa gleichaltrigen Nervenärzte aber wohl nie begegnet.

Zwei bedeutende Hirnanatomen und ihr Schicksal

CJK gilt als häufigste der seltenen spongiformen Enzephalopathien, die so heißen, weil sie das Gehirn im Wortsinn schwammartig auflösen. Weltweit erkrankt einer von einer Million Menschen im Jahr an CJK, in Deutschland sind es 100 bis 120 Personen jährlich. Meist ist ihre Form sporadisch, das bedeutet, man weiß nicht, woher die zerstörerischen Eiweißmoleküle (Prionen) kommen, es gibt aber auch familiär veranlagte CJK sowie eine übertragbare Variante (vCJK). 

Auf alle Fälle verursachen Eiweißablagerungen den massenhaften Untergang von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. CJK führt mit rasch fortschreitender Demenz, Gleichgewichts- und Sehstörungen, Zuckungen an den Gliedmaßen sowie einer verwaschenen Sprache unter Jahresfrist zum Tod. 

1920 erstmals von Creutzfeldt und kurz darauf auch von Jakob beschrieben, gelangte CJK besonders in den 1990er Jahren wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, als sich der ungeheuerliche Verdacht, dass sich Menschen über verseuchte Rinderprodukte anstecken können, bestätigte. Damals wurden in England Tausende Fälle von Rinderwahnsinn diagnostiziert. Die neu aufgetretene Variante vCJK gilt als menschliches Pendant von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie).

Der Fall, der Dr. Creutzfeldt im Jahr 1913 an der Breslauer Universitäts-Nervenklinik vorgestellt wurde, war ihm so noch nicht begegnet. Die junge Frau litt unter schwerster Demenz, Bewegungs- und Koordinationsstörungen, also den Symptomen, die heute mit CJK in Verbindung stehen, und verstarb kurz darauf. 

Die „eigenartige, herdförmige Erkrankung des Zentralnervensystems“, die Creutzfeldt bei der Sektion ihres Gehirns feststellte, ließ ihn sogleich an eine neuartige Erkrankung denken. Das Gehirn hatte sich in einen Schwamm verwandelt. Creutzfeldt, dessen Chef zu dieser Zeit Alois Alzheimer war, hätte seine Forschungsergebnisse mit Sicherheit veröffentlicht – wenn nicht der Erste Weltkrieg dazwischengekommen wäre. Wie sein Kollege Jakob zog er in den Krieg und trat erst im Jahr 1920 mit seiner Entdeckung an die Öffentlichkeit. Ein Jahr darauf legte Alfons Maria Jakob aus Hamburg drei ganz ähnliche Krankheitsbilder präseniler Demenz vor, die im Jahr 1922 als „Creutzfeldt-Jakobsche Krankheit“ zusammengefasst wurden. Auch ihm war die „spongiforme“ Degeneration des Gehirns im Labor aufgefallen.

Zum Hintergrund muss man wissen, dass die hirnanatomische Forschung in Deutschland zu jener Zeit Weltspitze war, wobei sich die Hoffnung, psychiatrische Krankheitsbilder im Gehirn abgebildet zu finden, nur in Ausnahmefällen erfüllt hat. Die genaue ärztliche Beobachtung am Krankenbett mit Erkenntnissen aus dem Labor zu kombinieren, das war der Königsweg, den bereits Alzheimer beschritten hatte. 

Creutzfeldt und Jakob taten es ihm nach und machten beide Karriere, Creutzfeldt an der Charité in Berlin, Jakob als Professor für Neurologie an der Hamburger Universität. Beide forschten übrigens auch an der renommierten Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München (heute Max-Planck-Institut für Psychiatrie).

Dann passierte etwas, was die Neurologen und Psychiater Deutschlands in äußerste ethische Bedrängnis bringen sollte. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 wurde umgesetzt. Nervenärzte hatten im Dritten Reich darüber zu entscheiden, an welchen ihrer Schützlinge die Zwangssterilisation durchzuführen war und, noch schlimmer, wer als hoffnungsloser Fall in eines der Landeskrankenhäuser verlegt werden sollte (was oft in Auschwitz endete). 

Creutzfeldt war deutschnational gesinnt, ehemaliger Corpsstudent, Marineoffizier, aber er war kein Nazi. Als stellvertretender ärztlicher Beisitzer im Erbgesundheitsobergericht Berlin war er dennoch an etlichen der oben genannten barbarischen Akte der „Rassenhygiene“ beteiligt. Dass sein Name nicht genannt wird, wenn es heute um die Aberkennung medizinischer Verdienste geht, hängt damit zusammen, dass er seine Gutachter-tätigkeit auch nutzte, um Patienten vor KZ und sicherem Tod zu bewahren.

Alfons Maria Jakob verstarb früh

Die Gnade eines frühen Todes ersparte Alfons Maria Jakob diesen furchtbaren Konflikt. Er starb bereits mit 47 Jahren nach einer OP und letztlich an den Folgen einer langwierigen Knochenmarkentzündung. Während des Krieges und seiner Tätigkeit im Lazarett hatte er viele periphere und auch hirnorganische Nervenschäden gesehen, was ihn in den 1920er Jahren zu weiteren Forschungen über das ZNS und dessen degenerativen Erkrankungen anregte.

Jakob unternahm Vortragsreisen nach New York (Columbia University), Rio de Janeiro, São Paulo und Buenos Aires. Er publizierte über Multiple Sklerose und weitere seltene Nervenerkrankungen (u.a. Alpers), ließ sich als Zweitautor oft nicht nennen und vernetzte sich mit Wissenschaftlern aus aller Welt. Er wäre vielleicht der größere Hirnforscher geworden.

Creutzfeldt hat sich nach Kriegsende als erster Rektor der Universität Kiel verdient gemacht. Er wurde 80 Jahre alt.