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Reportagen

Wenn die Gegenwart Geschichte schreibt

Blick in den Ausstellungsraum, der sich dem Apothekenwesen, das sich im Mittelalter ausprägt, widmet

Blick in den Ausstellungsraum, der sich dem Apothekenwesen, das sich im Mittelalter ausprägt, widmet

© Carolin Breckle/Historisches Museum der Pfalz Speyer

 

Ausstellungsbesuch

Ausstellungsbesuch

© Carolin Breckle/Historisches Museum der Pfalz Speyer

Haus- und Reiseapotheke des Papstes Paul V., Augsburg, vor 1600

Haus- und Reiseapotheke des Papstes Paul V., Augsburg, vor 1600

© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum/ Carolin Breckle

Repliken mittelalterlicher medizinischer und chirurgischer Instrumente wie sie in der Verfilmung des Romans „Der Medicus“ zu sehen waren.

Repliken mittelalterlicher medizinischer und chirurgischer Instrumente wie sie in der Verfilmung des Romans „Der Medicus“ zu sehen waren.

© Leihgeber: Stefan Heyde, Foto: Historisches Museum der Pfalz, Carolin Breckle

Ausgerechnet vom Corona-Virus wurde die medizinhistorische Ausstellung „Medicus – Die Macht des Wissens“ in Speyer lahmgelegt. Ein Neustart mit Botschaft

Elena  Scholz (Text)

Selten ist ein Ausstellungsthema derart untrennbar mit der aktuellen Zeitgeschichte verwoben wie bei der Schau „Medicus – Die Macht des Wissens“. Nachdem das Historische Museum der Pfalz Speyer im März durch die Corona-Pandemie gezwungen war, seine Tore zu schließen, ist die Ausstellung seit Anfang September wieder geöffnet und nun bis zum 13. Juni 2021 zu sehen. „Es ist eine Ironie des Schicksals, dass eine Pandemie zur Schließung dieser Ausstellung geführt hat, die sich der jahrtausendelangen medizinischen Entwicklung und der Überwindung von Seuchen und Krankheiten widmet“, so Museumsdirektor Alexander Schubert.

Die Schau dokumentiert die Entwicklung der Medizingeschichte der vergangenen 5000 Jahre in Anlehnung an das Buch von Noah Gordon „Der Medicus“. Sie spannt den Bogen vom Altertum bis zur Gegenwart und zeigt, wie das antike Wissen über Rom und Byzanz in den arabischen Raum gelangte und im 11. Jahrhundert zurück nach Europa kehrte, wo es auf die Welt der Klostermedizin traf. Zu den etwa 500 faszinierenden und sehenswerten Fundkomplexen zählen Instrumentarien römischer Ärztinnen oder Schröpfköpfe und Klistiere mittelalterlicher Bader. Beeindruckendes Zeugnis alt-ägyptischer Kunst sind die überlebensgroßen Figuren der Göttin Sachmet, die vor Krankheiten schützen sollten. Während mesopotamische Tontafeln jahrtausendealte Rezepte überliefern, steht die „Gläserne Frau“ für das Wissen der Moderne.

Ein Glossar der Pandemie

Die Ausstellung zeigt aber auch, dass die Menschheit in allen Jahrhunderten immer wieder mit Seuchen und Epidemien zu kämpfen hatte. Aufgrund der weltweiten Auswirkungen der Epidemie wurde das Thema Corona als Erzählebene in die bestehende Ausstellung aufgenommen. Es sei ein Gebot der Stunde, Schnittmengen zwischen medizingeschichtlichen Phänomenen und der aktuellen, alles bestimmenden Entwicklung aufzuzeigen. „Unsere kulturgeschichtlichen Ausstellungen haben immer einen großen Gegenwartsbezug“, so Museumsleiter Schubert. „Gesichts- und Atemschutzmasken, Abstandsgebote und Quarantäneregeln zum Beispiel waren schon in früheren Zeiten die ersten Einflussmaßnahmen, um Ansteckungsrisiken zu mindern.“

Elf „Corona-Stationen“ rücken nun neue Begrifflichkeiten in den Fokus. Wer wusste vor einem halben Jahr schon, was ein „Lockdown“ ist? Oder wer konnte etwas mit dem Begriff „Herdenimmunität“ anfangen? Oder wem ist bekannt, dass Quarantäne vom italienischen Quaranta (deutsch: Vierzig) kommt? In der Zeit der Pest hätten sich Venedig-Besucher 40 Tage in Isolation begeben müssen, bevor sie die Stadt besuchen durften, weiß Wolfgang Leitmeyer, der Kurator der „Medicus“-Ausstellung. „Wir wollten aber trotz allem auch deutlich machen, dass es schon sehr oft in der Menschheitsgeschichte solche existenziellen Problemphasen gab. Und dass sie immer überwunden wurden – allerdings mit vielen Verlusten.“ 

Unterstützte schon die Urfassung der Ausstellung die Einsicht, dass die Medizin ein Zeitphänomen ist und heute noch scheinbar allgemeingültige Deutungen und Methoden morgen schon überholt sein können, so legt die neue Version im Blick auf den Umgang mit Corona erst recht offen, wie relativ und fragmentarisch unser Wissen in Sachen Erforschung von Krankheiten und der Heilung sein kann.