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Reportagen

THANK YOU NURSES!

© Florence Nightingale Museum

Ein Meilenstein in der Vita von Florence Nightingale war die Reformierung der Lazarettpflege im Krimkrieg (1853/54).

© Shutterstock/Everett Historical

Für viele Pflegekräfte bedeutet ihr Beruf auch Berufung – trotz schlechter Bezahlung und Pflegenotstand.

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Steigender Bedarf an Pflegekräften: In 15 Jahren werden rund 30% der Bevölkerung in Deutschland über 65 Jahre sein, 8% sogar über 80 Jahre.

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Pflegeroboter

Noch umstritten: der Einsatz von Robotern in der Krankenpflege

© Adobe Stock/ M. Dörr & M. Frommherz

Nightingale-Denkmal am Trafalgar Square in London

Nightingale-Denkmal am Trafalgar Square in London

© Adobe Stock/Tony Baggett

Im kleinen Museum im St. Thomas’ Hospital (gegenüber dem Palace of Westminster auf der anderen Seite der Themse) dreht sich alles um das Leben von Florence Nightingale.

© Florence Nightingale Museum

Ausstellung im Londoner Florence Nightingale Museum; Henry Wadsworth Longfellow verewigte Florence in einem Gedicht als „Lady with a lamp“

© Florence Nightingale Museum

 

Florence Nightingale gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege. Am 12. Mai dieses Jahres wird ihr 200. Geburtstag gefeiert. Ein Blick auf ihre Geschichte und ihr Vermächtnis

Gudrun Rentsch (Text)

Es wird geklatscht. In Spanien, in Berlin, überall in Europa.  Der Applaus gilt den  Helden in Corona-Zeiten, den Ärzten und vor allem den Pflegekräften, die in diesen Tagen allesamt am Limit arbeiten.  Sie, ihre Leistungen und die Belastbarkeit der diversen Gesundheitssysteme stehen plötzlich im Rampenlicht, seit das gefährliche Virus jeden treffen könnte.  

Es grenzt schon fast an Ironie, dass SARS-CoV-2 gelingt, was  für dieses Jahr eigentlich Ziel einer weltweiten Kampagne ist.  2020 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum „Internationalen Jahr der Pflegenden und Hebammen“ ausgerufen.  Unter dem Motto „Nursing Now“ hat die WHO die Regierungen weltweit dazu aufgerufen, die Rahmenbedingungen, unter denen Pflegearbeit stattfindet, zu verbessern und die Berufe zu stärken.

Zeit zum Umdenken

„Die CoViD-Pandemie ist ein Prüfstein für die Gesundheitssysteme weltweit. Und wie systemrelevant die Pflegeberufe für die Bevölkerung und das Gelingen der Gesundheitsversorgung in Deutschland sind, hat nun wohl jeder begriffen“, betont Johanna Knüppel, Sprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe e.V. (DBfK) in ihrem Statement gegenüber „patienten journal reise & gesundheit“.

Der Sparkurs ohne Augenmaß rächt sich in Krisen wie derzeit, das deutsche Gesundheitswesen steht kurz vorm Kollaps. Zeit zum Umdenken, so Knüppel: „Pflege ist ein Beruf mit Zukunft, der künftig mehr denn je gebraucht wird. Dass man in diesem Beruf wieder gute Arbeitsbedingungen erlebt und motiviert und gesund seiner Arbeit nachgehen kann, das ist eine Aufgabe, die mit aller Kraft und von allen Verantwortlichen in Politik und Unternehmen angepackt werden muss.“

Am Anfang war Florence

Ein Ziel, das sicher auch die „Mutter der modernen Pflege“, Florence Nightingale, unterstützen würde. Sie formulierte die Grundlagen für den Pflegeberuf, forderte eine kontinuierliche Ausbildung, eine Spezialisierung und eine Anerkennung der Rolle der Pflegenden innerhalb des Gesundheitswesens.

Geboren wurde Florence Nightingale am 12. Mai 1820 als Tochter wohlhabender Eltern. Schon als Kind träumte sie davon, Krankenschwester zu werden. Während einer Grippe-Epidemie im Januar 1837 konnte sich Nightingale der Pflege Grippekranker widmen und erfuhr in dieser Zeit ein religiöses Erweckungserlebnis. In ihrem Tagebuch hielt sie fest: „God spoke to me and called me to his service“ (Gott sprach zu mir und berief mich in seinen Dienst). Auch später in ihrem Leben gab es immer wieder Momente, in denen sie diesen Ruf zu hören meinte.

In der Hölle des Krimkriegs

Gegen den Willen der Familie – der Pflegeberuf hatte seinerzeit einen denkbar schlechten Ruf – hospitierte Florence Nightingale 1851 – mit 31 Jahren – in Kaiserswerth, heute ein Stadtteil von Düsseldorf, in der Diakonissenanstalt von Pastor Theodor Fliedner. Beeindruckt von dessen Reformen auf dem Gebiet der Krankenfürsorge, kehrte sie nach England zurück, wo sie anschließend in London im Harley-Street-Hospital, einem Pflegeheim für vornehme Frauen, arbeitete. Schon in wenigen Monaten führte Florence Nightingale dort etliche Neuerungen durch: Heißwasserleitungen in allen Stockwerken, Speiseaufzüge und ein Läutewerk mit Nummerntafel. Ohne diese technischen Hilfen zur Arbeitseinsparung „würde die Krankenschwester in ein paar Beine verwandelt”, so ihre Begründung.  

Ein Meilenstein in ihrer Vita war die Reformierung der Lazarettpflege im Krimkrieg (1853/54). Als Zeitungen über die katastrophalen Zustände in den Krankenlagern berichteten, schickte Sidney Herbert, Staatssekretär des britischen Kriegsministeriums und mit Florence Nightingale über ihr Elternhaus gut bekannt, sie mit 38 weiteren Krankenschwestern ins zentrale Militärkrankenhaus nach Scutari, dem heutigen Istanbuler Stadtteil Üsküdar.

Lady with a lamp

„Ich habe die schlimmsten Viertel der meisten Großstädte Europas gründlich kennengelernt, aber noch nie habe ich eine Luft geatmet wie hier nachts in dem Barackenlazarett”, schrieb sie in einem Bericht. Ihr Fazit:  Die meisten Soldaten starben damals an vermeidbaren Krankheiten, nicht an ihren Kriegsverletzungen. Das Erste, was Florence Nightingale beschaffte, waren 200 Scheuerbürsten und Aufnehmer, um die Krankensäle zu reinigen. Die Sterblichkeitsrate sank infolge rapide.

Nightingale gelang es, die Verwaltung der gesamten Krankenversorgung unter ihre Kontrolle zu bekommen, Fundraising in großem Stil zu betreiben, schwierige Machtkämpfe mit den Medizinern und konkurrierenden Schwestern auszufechten und letztlich ein funktionsfähiges Krankenhaus zu schaffen. Revolutionär neu war ihre Sicht auf die einfachen Soldaten, denen sie mit großer Menschlichkeit begegnete.  In ihrer Heimat wurde sie als Engel der Barmherzigkeit gefeiert und mit Ehrungen und Geschenken überhäuft, auch von Königin Victoria. Henry Wadsworth Longfellow macht sie unsterblich mit dem Gedicht „Lady with a lamp”, die Dame mit der Lampe

Lobbyarbeit für Reformen 

Florence Nightingale lebte während des Einsatzes im Krimkrieg weit über ihre Kräfte und überarbeitete sich systematisch. Ein gesundheitlicher Zusammenbruch war die Folge, von dem sie sich nie mehr ganz erholte. In ihrer zweiten Lebenshälfte absolvierte die Pionierin weiterhin ein ungeheures Arbeitspensum, wegen ihrer geschwächten Konstitution meist vom Bett aus oder auf dem Sofa liegend.  Sie gründete am Saint Thomas Hospital (London) eine Pflegeschule, in der Frauen zu Krankenschwestern und Pflegerinnen ausgebildet wurden und verfasste an die 200 Werke zum Gesundheitswesen. In intensiver Zusammenarbeit mit reformgesinnten Medizinern, Architekten und Politikern gelang es ihr, ihren Einfluss hinter den Kulissen auszuüben, eine frühe Form der Lobbyarbeit.

Florence Nightingale starb am 13. August 1910 im Alter von 90 Jahren in London. Bis zuletzt hielt sie an ihrem Lebensmotto fest: „Wenn man mit Flügeln geboren wird, sollte man alles dazu tun, sie zum Fliegen zu benutzen“.

Roboter in der Pflege?

Welch ein Lebenswerk! Der Beginn eines Themas, das die Welt heute mehr den je in Atem hält. Die WHO erwartet für 2030 einen Mangel an neun Millionen Pflegenden und Hebammen weltweit. Für Deutschland gehen Szenarien trotz sinkender Bevölkerungszahl (2030: ca. 77 Mio.) von wachsenden Krankenhausbehandlungen aus. Dabei werden Menschen bis 60 Jahre im Schnitt seltener im Vergleich zu heute ein Krankenhaus besuchen, die Über-60-Jährigen dafür häufiger. 3 bis 3,4 Mio. Menschen in Deutschland sind dann voraussichtlich pflegebedürftig, Tendenz weiter steigend.

Können neue Technologien eine Lösung bieten? Pflegeroboter, so wird oft suggeriert, könnten den Personalnotstand der Krankenhäuser und Pflegeheime mindern. Aber: Noch sei kein System auf dem Markt, das Pflegekräfte bei der Arbeit mit den Patienten wesentlich entlasten könne, dämpfen die Experten des Robotics Innovation Center des deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz in Bremen allzu große Erwartungen. Sie forschen seit Jahren daran, wie Roboter und Menschen in einer komplexen Arbeitsumgebung gemeinsam arbeiten können.

Unterstützung bei Routineaufgaben

Die Strategie der kommerziellen Entwickler ist derzeit, die Pflegekräfte von allen Aufgaben zu entlasten, die nicht unmittelbar am Patientenbett erledigt werden müssen. So sollen in Kliniken, wie z.B. an der Uniklinik Köln, Sortierroboter auf Basis von elektronischen Patientenakten Medikamente individuell für jeden Patienten vorbereiten, die dann per Rohrpost direkt auf den jeweiligen Stationen landen. Meist müssen bislang noch die Nachtpflegekräfte die Tabletten sortieren.  

Johanna Knüppel vom DfBK bleibt skeptisch: „Weder die Anwerbung aus dem Ausland noch ein Pflege-Roboter werden den Fachkräftemangel in der deutschen Pflege beheben, sondern allenfalls abmildern und – im Falle des Roboters – ggf. Serviceleistungen erbringen können. Nicht einmal in Japan haben Roboter bisher die Marktreife zum Einsatz in der Pflege erreicht.“

Trend zu mehr Kompetenz

Vielleicht könnte tatsächlich eine Stärkung und  Fortschreibung des Berufsstands eine Wende bringen?  Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, seit 2018 Pflegebeauftragter der Bundesregierung, bestätigt auf Anfrage von „patienten journal reise & gesundheit“ diese Richtung: „Für das Internationale Jahr der Pflegenden und Hebammen und die Kampagne ,Nursing Now‘ hätte es tragischerweise keinen geeigneteren Zeitpunkt geben können als den jetzigen. Vielen wird aktuell noch bewusster, wie hochqualifiziert und unabdingbar die Pflegekräfte sind. Sie leisten eine professionelle und komplexe Versorgung  – tagtäglich und rund um die Uhr. Ich bin mir sicher, dass wir die Diskussionen rund um die Neustrukturierung der Aufgaben im Gesundheitswesen schon bald aus einer anderen Perspektive heraus führen werden. Wir müssen den Gesundheitsfachberufen zukünftig mehr Verantwortung übertragen.“

Der Trend geht international dahin, dass Pflegende in naher Zukunft eine zunehmende Anzahl von Aufgaben übernehmen werden, die üblicherweise Ärzten vorbehalten sind, sowohl bei akuten Fällen als auch bei chronisch Kranken. Beinahe zwei Drittel aller Narkosen in Amerika werden schon von Fachpflegekräften verabreicht. In England führen Pflegende bereits Eingriffe am Bauch oder Herzen durch, während sie in einigen Gebieten Afrikas für die Durchführung von notfallmäßigen Kaiserschnitten zertifiziert werden, wo sie ähnliche Ergebnisse wie Ärzte erzielen, berichtete jüngst „The Economist“ anlässlich des WHO-Themenjahres.

Hilfe im Kampf für bessere Bedingungen

„Neue und erweiterte Rollen für Pflegefachpersonen sind international längst etabliert und mit sehr guten Ergebnissen evaluiert. Das brauchen wir auch in unserem System, z.B. in Bezug auf Steuerungs- und Beratungsaufgaben, in der Sicherstellung der Primärversorgung gerade in strukturschwachen Regionen, in der Schulgesundheit usw. Solche Entwicklungsmöglichkeiten können den Beruf auch attraktiver machen und für eine lange und erfolgreiche berufliche Karriere sorgen“, meint auch Johanna Knüppel.

Und was sagen die Kräfte an der Pflegefront? „Wenn ihr helfen oder zeigen wollt, wie viel wir euch wert sind, dann helft uns, für bessere Bedingungen zu kämpfen! Wir können nicht streiken, wie es in anderen Berufsgruppen möglich ist. Dafür ist unsere Verantwortung viel zu groß“,  bringt eine Berliner Krankenschwester das Gebot der Stunde auf den Punkt.