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Reportagen

So ein Zirkus

Hereinspaziert – prächtige Kostüme und ein Lächeln gehören einfach dazu.

Hereinspaziert – prächtige Kostüme und ein Lächeln gehören beim Zirkus einfach dazu.

© iStock/sturti

 

Die Manege als Herzstück jedes Zirkus

Die Manege als Herzstück jedes Zirkus

© Adobe Stock/sidorovstock

Ohne Clowns kein Zirkus

Ohne Clowns kein Zirkus

© Adobe Stock/Pavel Losewsky

Alexander Lacey mit seiner Raubtier-Nummer beim „Zirkus Charles Knie“

Alexander Lacey mit seiner Raubtier-Nummer beim „Zirkus Charles Knie“

© Zirkus Charles Knie

Seit Mitte 2019 gibt’s im „Circus Roncalli“ Tier-Kunststücke nur noch in Hologramm-Technik.

Seit Mitte 2019 gibt’s im „Circus Roncalli“ Tier-Kunststücke nur noch in Hologramm-Technik.

© Circus Roncalli

Nach der Show, „Circus Roncalli“

Nach der Show, „Circus Roncalli“

© Circus Roncalli

Selten hatten die Menschen die Magie des Zirkus nötiger als jetzt in Corona-Zeiten. Leichtigkeit, Lachen, Bilder, die das Herz wärmen und noch lange schmunzeln machen. Sorgen und Niedergeschlagenheit vergessen lassen, wenigstens für ein paar kostbare Stunden. Aber wie geht es denen, die uns sonst diesen Zauber schenken?

Cornelia Brammen (Text)

Manege frei! Sie heißen „Baldoni“, „Spinelli“, „Wedrano“, „Roncalli“, „FlicFlac“ oder „Krone“, „Althoff“, „Renz“ oder „Charles Knie“. Sie entführen uns in eine Welt, die anders klingt, anders riecht, anders funktioniert als die Welt der Festanstellung und festen Wohnsitze. Zirkus trägt unsere Sehnsucht nach Leichtigkeit bis hinauf unter die Zirkuskuppel, unsere Ängste mit auf das Hochseil und ins Trapez, sie lässt unsere Traurigkeit mit viel zu großen Clown-Schuhen durch den Sand der Manege stolpern. Zirkus ist gleißendes Licht, Zirkus sind Trompetenstöße und Trommel-wirbel, Spannung und Faszination.

Where are The Clowns? Send in The Clowns.

Aus dem gleichnamigen Song von Stephen Sondheim, 1973

„Wir sind Teil der professionellen Unterhaltungs- und Veranstaltungsbranche“, sagt Holger Fischer, Kommunikations-Chef vom „Zirkus Charles Knie“. „In der Saison arbeiten bei uns 100 Menschen festangestellt, davon 35 Artisten, Tierlehrer und Musiker. Wir sind wie jedes Unternehmen betriebswirtschaftlichen Prozessen unterworfen.“ Das heißt: schneller reisen, 

bis zu 500 Shows pro Jahr, 30 Städte pro Saison – logistische Präzisionsarbeit und Professionalität vom Ticketing bis zum kleinsten Detail der Shows. Das heißt auch: Tausende Besucher und wirtschaftlicher Erfolg. „Zirkus ist dann erfolgreich, wenn er gut durchdacht und vor allem mehr ist als eine Produktion auf Reisen. Zirkus ist von Menschen gemacht, die das leben,“ sagt Holger Fischer. Das ist für ihn die Seele des Zirkus. Der Satz enthält auch einen Seitenhieb auf neue Formen wie den „Cirque du Soleil“. Der hat im März ad hoc 3500 Mitarbeiter entlassen und Insolvenzschutz beantragt. 

Mehr als 300 Wanderzirkusse gibt es in Deutschland. Sie touren durch Europa von Stadt zu Stadt, wie viele jetzt irgendwo festsitzen, hat keiner gezählt. Da in Deutschland die Zirkuskunst nicht offiziell als Kulturgut anerkannt ist, gibt es keine  Überbrückungshilfen. Dabei belaufen sich allein die Futterkosten für Tiere bei kleinen Unternehmen schnell mal auf 200 Euro pro Tag, beim „Circus Krone“ z.B. auf 3000 Euro. Jeder Tag bringt die Artisten näher an den Ruin. Trotzdem: Aufgeben ist für die meisten keine Option. Ein Leben ohne die Tiere, das Reisen, die Show? Unvorstellbar!

Der Zirkus ist mein Lebenssinn. Er ist meine Arbeit und macht mich glücklich. Der Zirkus ist Therapie und Zerstreuung zugleich.

Nell Gifford, Giffords Circus, Großbritannien

Bleiben derzeit nur die glanzvollen Erinnerungen. Höhepunkt des Zirkus-Jahres ist das „Internationale Zirkusfestival“ in Monte Carlo, der Olymp für Artisten und Artistinnen aus der ganzen Welt. Hierher werden nur die Besten eingeladen, die Teilnahme steigert den Marktwert. Nix Seele. Romantisch ist Zirkus für die Besucher. Für die Betreiber ist er hartes Geschäft. 2021 findet das „Internationale Zirkusfestival“ zum ersten Mal in der 45-jährigen Geschichte nicht statt – verschoben auf Februar 2022. Überall in Europa sind die gestreiften Zelte abgebaut, Artisten in ihre Heimtländer zurückgekehrt, um dort zu trainieren oder eine andere Arbeit zu suchen.  

Unter Corona gehören Zirkusse zu den Hauptbetroffenen. Das Veranstaltungsverbot schlägt voll durch. „Circus Krone“ hat von 250 Mitarbeitern noch 20, „Charles Knie“ noch 10, bei „Roncalli“ sind alle 250 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wohin geht die Reise? Frank Keller vom „Circus Krone“ sagt: „Der klassische, traditionelle Circus mit Tieren ist über 250 Jahre alt. Es gibt keine vergleichbare kulturelle Veranstaltungsform. Daher sollte der Circus auch in Deutschland kulturell anerkannt werden.“ Das könnte neue Töpfe öffnen. 

Aber ist es das, was die Seele des Zirkus erhält? „Die Zukunft liegt auf jeden Fall beim klassischen Circus mit Tieren,“ sagt auch Frank Keller. Bei „Circus Krone“ sind das Elefanten, Raubtiere, Pferde, Ponys, Kamele, Zebras, Lamas, Ziegen. Die Branchen-Riesen machen weiter Shows mit allem, was für sie unter die klassische Zirkuskuppel gehört.

Wir fahren ja auch nicht mehr mit der Pferdekutsche.

„Roncalli“-Chef Bernhard Paul zu seiner Entscheidung, in seinem Zirkus auf Tiere zu verzichten

Tierschützer weltweit versuchen schon lange, ein Wildtierverbot für Zirkusse durchzusetzen. Mehrfach auch schon in der deutschen Politik, doch hierzulande wird immer abgeblockt. Das Argument: Die Einführung eines Verbots käme einem Berufsverbot gleich, Tierdompteure würden dadurch arbeitslos. Andere europäische Länder sind da strikter: So gilt u.a. in Belgien, den Niederlanden, Österreich, Italien, Dänemark, Irland und anderen Ländern ein Verbot für Wildtiere im Zirkus. In wenigen Ländern wie Griechenland und Zypern sind sogar generell Tiere in Zirkussen verboten. 

Schon seit Längerem entwickelt sich eine neue Zirkus-Form. Sie ist näher am Theater und an Performance, mischt Akrobatik mit Tanz und Pädagogik: der Circus Nouveau. Sie heißen „Roncalli“, „Cie4“, „RaRaZou“ oder „Revue Regret“, und auch aus dieser Szene entstehen Festivals, aber auch Mitmach-zirkusse wie die „Lurupina“ in Hamburg. Sie lassen lebendig werden, was der Zirkuspädagoge Tobias Lang beschreibt: „Durch das seelische Erleben und Verarbeiten von Lebenssituationen wird die Welt in der Clownerie von innen heraus ergriffen, vermenschlicht und individuell gestaltet. In diesem Sinne ergänzen sich artistische Zirkuskünste und Clownerie gegenseitig.“ Ist hier die Seele des Zirkus? Sind das die Clowns der Zukunft? Die reisenden Granden sehen die Bewegung skeptisch. „Die Neuen Circusse  kommen und gehen“, so Frank Keller vom „Circus Krone“. „Geigenspielende Sozialpädagoginnen sind wir nicht“, so Holger Fischer vom „Zirkus Charles Knie“. 

Ein Sprichwort aus Zirkuskreisen sagt: „Wenn du nicht zwei Pferde gleichzeitig reiten kannst, dann verlasse den Zirkus“. Zirkus ist Bewegung, ist Kreativität in Kombination mit strengster Disziplin und präzisem Projektmanagement. Die Illusion der Leichtigkeit wird allein bei „Roncalli“ mit 10.000 Glühbirnen erleuchtet, von denen keine einzige ausfallen darf, wenn das Zelt steht. Gründer Bernhard Paul ist schon lange vor der Pandemie neue Wege gegangen. Hologramme ersetzen heute lebende Tiere. Jetzt steht „Roncalli“ so gut da, dass trotz Corona noch kein Mitarbeiter entlassen werden musste. „Zirkus Charles Knie“ hat auf seinem 50.000 Quadratmeter großen Gelände in Nordhessen einen Familienpark eröffnet. Der lief diesen Sommer super. Aber nur Zirkusland? Das kann sich Holger Fischer nicht vorstellen. „Noch denken wir, dass 2021 oder 2022 wieder eine Geschichte gezeigt wird, wie wir sie 2020 gezeigt hätten.“ Mit Top-Artisten hoch oben in der Kuppel, mit Tieren, Live-Musik, mit Leib und Seele. Und mit Clowns natürlich.