Joseph Beuys

Porträt Joseph Beuys, Paris, ca. 1985, Fotografie
© imago images / Leemage

Joseph Beuys, 1968, Foto: Angelika Platen,
© bpk / angelika platen

oseph Beuys, Capri-Batterie, 1985,
Foto: Reni Hansen, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Nam June Paik, Beuys Video Wall (Beuys Hat) – Beuys Video Wand (Beuys Hut), 1990, Staatsgalerie Stuttgart,
© Nam June Paik Estate

Joseph Beuys bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises der Stadt Duisburg, Lehmbruck Museum, 12. Januar 1986, kurz vor seinem Tod
© Foto: Britta Lauer
„Der Mann mit dem Filzhut“ war einer der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts und strahlt bis heute auf die Kunstwelt aus.
Marion Vorbeck (Text)
Er polarisiert wie kaum ein anderer Künstler. Die einen verehren Joseph Beuys (12. Mai 1921 bis 23. Januar 1986) als einen kompromisslosen Verflechter der Kunst mit dem Leben, der Kunst als verändernd wirkende Kraft für gesellschaftliche Prozesse. Kritiker dagegen diagnostizieren in seinem Wirken durchaus die Symptomatik eines Scharlatans. Unbestritten ist: Im schwer zu (er)fassenden Werk des charismatischen Westfalen verschmolzen seine Aktivitäten als Zeichner, Bildhauer, Aktionskünstler, Dozent und Aktivist.
Zumal Beuys selbst mit fabelhaften Narrativen seine Person betreffend den eigenen Mythos kreierte. Anhänger wie auch Fachpublikationen attestieren ihm einen Platz als einen der prägendsten Künstler der Nachkriegszeit – der den gängigen Kunstbegriff beharrlich attackierte und mit seinen Impulsen bis in den heutigen künstlerischen und gesellschaftlichen Diskurs hineinwirkt.
"Jeder Mensch ist ein Künstler"
Dieser berühmte Ausspruch von Beuys klingt so verheißungsvoll, wie er missverständlich ist. Denn Beuys meinte damit nicht, dass sich jeder als legitimer Nachfolger eines Picasso oder einer Gabriele Münter begreifen sollte. Vielmehr ging es ihm um einen erweiterten, hochkomplexen Kunstbegriff: Jeder soll in seinem Tun wie ein Künstler operieren und hat somit Verantwortung als Mitgestalter an unserer Gesellschaft.
Womit wir uns bereits mitten im Kosmos des Joseph Beuys befinden, der seine Werke und sein Leben in den Dienst eben dieser Weltsicht stellte. Ihm diente Kunst als Medium, Aspekte des Humanismus, der Sozialphilosophie, der Anthropologie und nicht zuletzt der Politik und Wirtschaft zu vertiefen, was er nicht selten in aufsehenerregenden Performances und Happenings demonstrierte.
Filz, Fett und Kojoten
So wickelte sich der Künstler für die Performance „I like America and America likes Me“ 1974 in Filzbahnen ein und verbrachte drei Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie. So befremdend die Aktion wirkte, verfolgte Beuys doch ein handfestes Anliegen: Die Indianer Nordamerikas verehrten den Kojoten als heiliges Tier. Durch dessen Einbindung machte der Künstler auf die spirituellen Kräfte der Ureinwohner aufmerksam, aber auch auf das Unrecht, das ihnen angetan wurde.
Auch andere Kunstwerke von ihm sorgten für Aufruhr. Beuys hatte 1982 im eigenen Atelier in der Düsseldorfer Kunstakademie – er war dort Professor – eine seiner Fettecken aus fünf Kilo Butter installiert. Entstanden war sie anlässlich eines Seminars der von ihm mitgegründeten Free International University, zu dem der Europa-Bevollmächtigte des Dalai Lama anreiste. In der Folgezeit wurde diese Fettecke als dauerhaftes Objekt erhalten. Etliche Monate nach Beuys’ Tod 1986 putzte der Hausmeister das Fett weg – ein Skandal um die Installation entbrannte, Regressansprüche wurden gestellt.
Bereits vorher, 1973, war schon einmal ein Beuys-Kunstwerk aus Unkenntnis komplett ruiniert worden: Diesmal traf es eine mit Pflastern, Fett, Mullbinden und Kupferdraht versehene Säuglingsbadewanne, die der Kunstsammler Lothar Schirmer für eine Wanderausstellung zur Verfügung gestellt hatte. Auf einer der Stationen, Schloss Morsbroich in Leverkusen, war sie gerade eingelagert, als ein SPD-Ortsverein dort auf einer Feier weilte. Zwei Mitglieder versetzten die Badewanne in Ermangelung eines anderen Gefäßes wieder in ihren Urzustand – um dort Gläser für den geselligen Abend zu spülen. Schirmer erstritt schließlich Schadensersatz im mittleren fünfstelligen DM-Bereich.
Documenta: Eichenwald und Friedenshase
In Joseph Beuys’ „erweitertem Kunstbegriff“ setzt Kunst gesellschaftliche Prozesse in Gang. Sein Konzept der „Sozia-len Plastik“ erfordert ein aktives, kreatives Mitgestalten der Kunst als transformierende Kraft von Gesellschaft und Politik. Folgender Beitrag demonstriert gut, was er damit meinte: Als Beuys 1982 zum fünften Mal zur documenta eingeladen wurde, gab er den Anstoß zu einem sozial-ökologischen Projekt mit dem Titel „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – eine Einladung an die Bürger, ihre Umwelt mitzugestalten. 7000 Stelen aus Basalt häufte er keilförmig an, was vielen Einwohnern der Stadt Kassel missfiel. Die jedoch erhielten nun zugleich die Gelegenheit, aktiv in die Vollendung des Werkes bis zur documenta 8 im Jahr 1987 einzugreifen und zugleich das Stadtbild nachhaltig zu verändern: Pro Spende à 500 DM sollte eine Eiche gepflanzt werden, flankiert von jeweils einer dieser Stelen. Am Abnehmen des gigantischen Basalt-Bergs war also abzulesen, wie weit das gemeinsame ökologische Kunstwerk, die „Soziale Plastik“, gediehen war.
Um die Finanzierung des Megaprojektes voranzutreiben, ersann Beuys einen weiteren Clou: Er schmolz eine Nachbildung der goldenen Zarenkrone Iwans des Schrecklichen ein und goss daraus einen Hasen. Tiere waren für Beuys ein Bindeglied zu den verborgenen Kräften der Natur, ein Vehikel für übersinnliche Erkenntnis.
Dieser Hase, hier in der Funktion als Friedenssymbol, wurde schließlich für 777.000 DM verkauft und trug so zur Realisierung der „7000 Eichen“ bei. In einem Interview gab Beuys einen Einblick in seinen Gedankenkosmos: „Ein Hase als Tier der Bewegung innerhalb der Eurasischen Steppe von Ost nach West – von West nach Ost. Wir wollten einmal … die Friedenstaube ablösen durch ein neues aktuelles Friedenssymbol.“

Joseph Beuys Infiltration-homogen für Cello, 1966-1985 © Joseph Beuys Estate/VG-Bildkunst, Bonn 2021,
Foto: Courtesy Céline Bastian, Berlin

Wilhelm Lehmbruck, Sitzender Jüngling 1916/1917, Lehmbruck Museum Duisburg. Die Abbildung eines Werkes von Lehmbruck löste im jungen Beuys eine Art Initialzündung aus: „Alles ist Skulptur, rief mir quasi dieses Bild zu.“
Foto: © Bernd Kirtz

Suzanne Treister, technoshamanic systems/ diagram/technoshamanic architectures and design, 2020; Courtesy the artist, Annely Juda Fine Art, London and p.p.o.w. gallery, New York
Beuys-Mythos und die Tataren
Beuys verstand es, sein Leben und sein Werk zu einem untrennbaren Mythos zu verweben, ein Leben, das zunächst unspektakulär seinen Lauf nahm. 1921 wurde er in Krefeld in eine Kaufmannsfamilie geboren und wuchs im westfälischen Kleve auf. Als junger Mann meldete er sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig zur deutschen Luftwaffe, verpflichtete sich als Berufssoldat. Eine Rot-Grün-Blindheit verhinderte, dass er wie geplant Pilot wurde. Während seiner Ausbildung zum Bordfunker traf er Heinz Sielmann. Zwischen dem Ausbilder und dem Rekruten entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zu Beuys’ Tod halten sollte. Sielmann soll später allerdings zugegeben haben, die Kunst des Freundes nicht wirklich verstanden zu haben.
1944, während eines Einsatzes auf der Krim, stürzte Beuys’ Maschine ab. Aus den folgenden Tagen spann der Genesene eine abenteuerliche Legende, die von nicht wenigen angezweifelt wurde: Nicht eine leichte, sondern eine schwere Kopfverletzung hätte er davongetragen. Tataren hätten ihn gefunden, aufgelesen und mit Filz gewärmt, seine Wunden mindestens acht Tage lang „aufopfernd mit ihren Hausmitteln“, tierischem Fett, gesalbt und ihm so das Leben gerettet. Diese Geschichte wird häufig zitiert, um Beuys’ Vorliebe für Filz und Fett zu erklären sowie sein Faible für Hüte. Laut anders lautender Recherchen jedoch wurde Beuys kurz nach dem Absturz von einem Suchkommando aufgespürt und in ein Feldlazarett gebracht.
Gern auf Krawall gebürstet
Beuys war keineswegs versponnener Romantiker, zettelte vielmehr aufsehenerregende Aktionen an, die den Diskurs über Demokratie und Freiheit befeuern sollten. Was ihm durchaus gelang: 1967, 20 Tage nach der Protestkundgebung gegen den Besuch des Schahs in Berlin, bei der der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, gründet Beuys die „Deutsche Studentenpartei“. Ziel war die Autonomie der Hochschule sowie ein demokratisches Aufnahmeverfahren der Studenten. Mit seinem speziellen Verständnis von Bildung rüttelte er als Professor an den Statuten der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er von 1946 bis 1952 selbst Malerei und Bildhauerei studiert hatte.
1961 erhielt er eine Professur für monumentale Bildhauerei – wurde elf Jahre später jedoch fristlos gekündigt, da er zuvor abgelehnte Studenten aufgenommen, sich somit über die gängigen Aufnahmeverfahren hinweggesetzt und darüber hinaus öffentlichkeitswirksam mit Studenten das Sekretariat besetzt hatte. Künstler wie Heinrich Böll, Peter Handke, Martin Walser oder Gerhard Richter protestieren daraufhin gegen die Entlassung, Beuys klagte gegen das Land Nordrhein-Westfalen und bekam 1978 Recht: Die fristlose Kündigung wurde für rechtswidrig erklärt, Beuys behielt Professorentitel und Atelier.
Die Soziale Plastik immer im Fokus
Eine späte Genugtuung für den charismatischen Beuys, der seit den 1960er Jahren das internationale Kunstgeschehen mitgeprägt, sich zu Anfang wie auch Nam June Paik oder John Cage der Fluxus-Bewegung angeschlossen hatte, weil die seiner Ablehnung von Kunst um der Kunst willen entgegenkam. Denn schon damals wollte Beuys mit jedem Objekt, jeder Zeichnung und Installation einen gesellschaftlichen Nutzen erzielen.
Sein beharrliches Verfolgen der „Sozialen Plastik“ machte ihn unentbehrlich auf einschlägigen Schauen: Seit 1964 nahm er insgesamt fünf Mal an der documenta, 1976 an der Biennale in Venedig teil. 1979 ehrte ihn das Guggenheim-Museum in New York mit einer Retrospektive; ein Jahr später nahm er eine Gastprofessur an der Frankfurter Städel-Schule an. 1986 starb Joseph Beuys mit 64 Jahren in Düsseldorf.