Im Grün des Waldes

Echte Urwälder gibt es in Europa nur noch in entlegenen Regionen.
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Am Waldrand oberhalb des 200-Seelen-Dorfes St. Daniel im Gailtal steht „der daberer – das biohotel“.
© der daberer – das biohotel

Kraftplatzwandern am Schlern
© Michael Trocker

Im Biohotel „der daberer“ kann man umgeben von dichtem Grün wunderbar saunieren.
© der daberer – das biohotel

Aus dem Heilbad Sankt Daniel haben Inge (im Bild)und Willi Daberer 1978 die „Biopension Daberer“ gemacht. Heute bietet das Biohotel „der daberer“ auch Kochworkshops an, z.B. mit Kräutern.
© der daberer – das biohotel
Der Wald ist die Seele Deutschlands. Auch er ringt mit dem Klimawandel und steht gleichzeitig als Freizeitraum im Fokus. Ein Interessenkonflikt?
Nicola Förg (Text)
Es hat geregnet am Vortag. Die Sonne kommt nur zögerlich hervor und kitzelt ein paar Diamantenfunkeln über Eibengrün. Angelika Haschler-Böckle, Autorin des Buches „Die Magie des Eibenwaldes“, kennt von den älteren Bäumen hier bei Weilheim jeden einzelnen. Sie kann auch nach tausenden von Besuchen immer noch ganz still an eine Eibe gelehnt sitzen und all jenen eine Absage erteilen, die unter Eiben glauben zu halluzinieren. „Zweifellos dünstet die Eibe Taxol aus, das weitet die Bronchien, aber eine Droge ist es nicht.“ Zur Mythenbildung um die Eibe trägt eben auch bei, dass fast alle ihre Teile giftig sind, das macht sie zum Hexenbaum. „Man muss die Eibe gar nicht mystifizieren, rein biologisch betrachtet ist sie faszinierend: Es gibt „Manderl und Weiberl“, die weiblichen Bäume bilden eine Scheinbeere aus. Der Baum hat kein Harz, sondern einen Saft, der für Spechte „wie Starkbier ist“. Das alles ist in der Tat reine Biologie – und dennoch magisch schön. Der Wald war immer mehr als ein biologisches Gefüge.
Einst Verehrung, dann Rodung
Vor rund zehntausend Jahren, nach dem Rückzug der Gletscher, war ganz Mitteleuropa von dichten Urwäldern bedeckt. Tacitus beschreibt den Wald als gewalttätig, die germanische Mythologie verehrte Bäume, die Eiche war Thor gewidmet, der Weltenbaum, die Esche Yggdrasil, verband Himmel, Erde und Unterwelt. Im Mittelalter waren Wälder gefährliche Orte, in der Tat hausten dort wilde Tiere und Räuber. Mit dem christlichen Glauben mussten die heidnischen Götzen weg, Baumheiligtümer wurden auf Geheiß von Gregor II. gefällt. Das 8. und 9. Jahrhundert stand ganz im Zeichen von Rodungen und Staatskolonisation. Adel und Klöster ließen sich von den Bauern auch mit dem „Waldzehnt“ bezahlen. Noch gab es Urwälder, im 17. Jahrhundert holzten aber Köhler, Schiffsbauer und Bergleute. Der Bergbau war gierig, die Langholzflößerei boomte vor allem im 18. Jahrhundert, der Schwarzwald hat sich nie von diesem unstillbaren Bedarf an Holz erholt!
Der Wunsch nach Idylle
Die Welt strebte in die Industrialisierung, das Leben in den Städten war menschenunwürdig, die Arbeitsbedingungen auch. Aus einer städtischen Intellektuellenszene heraus kam der Wunsch nach der Idylle. Die Romantiker überhöhten den Wald, der Maler Caspar David Friedrich und der Dichter Joseph von Eichendorff waren die Stimmen des Waldes im 19. Jahrhundert. Die Bauern auf den Dörfern konnten mit waldästhetischen Betrachtungen jedoch wenig anfangen. Brennholz, Bauholz, Waldhonig, Pilze, Beeren und jede Menge Dämonen – romantisch war das alles wahrlich nicht. Dann kam die NS-Zeit, und der Wald wurde „teutsch“, die Eiche zum Symbolbaum. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges bot sich ein dramatisches Bild, denn in den Kriegsjahren war der Raubbau im Wald gewaltig gewesen. Und in den Nachkriegsjahren wurde für den Wiederaufbau, die Reparationszahlungen und zum Heizen in den harten Wintern Unmengen an Holz gebraucht.
Diese Kahlflächen aufzuforsten, war eine Titanenaufgabe; es war die Arbeit der so genannten „Kulturfrauen“. Sie waren so bedeutend, dass sie sogar auf der Rückseite des 50-Pfennig-Stücks abgebildet wurden: eine Kulturfrau mit einer kleinen Eiche.
Neue Bäume für den Wald
Damals war es nur vernünftig, als erste Waldgeneration vor allem die Fichte zu wählen, die vielseitig und unkompliziert wächst. Diese Fichte ist aber vom Borkenkäfer bedroht, der Käfer bildet nun schon drei oder gar vier Generationen aus. Bei idealem Käferwetter reduzierte sich die Entwicklung vom Ei bis zum fertigen Jungkäfer auf fünf Wochen, in normalen Jahren dauerte das etwa acht Wochen. Ein einziges Weibchen kommt pro Jahr auf rund 100.000 Nachkommen. Waldbesitzer schlagen Bäume nicht mehr gezielt – längst haben Buchdrucker und Kupferstecher die Entscheidungshoheit.
Hinzu kommen immer dramatischer werdende Starkwindereignisse und Extremregenfälle. 2015 war es Sturm Niklas, „wir rennen im Prinzip der Schadensbegrenzung hinterher“, sagte die junge Forstoberinspektorin Sylvia Thien, die private Waldbesitzer und Gemeinden im westlichen Landkreis Weilheim-Schongau zum Thema Waldumbau und Wiederaufforstung berät. „Wir müssen in einem Zeitraum von 100 bis 200 Jahren denken und arbeiten heute mit dem, was vor 100 Jahren passiert ist.“
Der Fichte neue Arten zur Seite zu stellen, das ist der Zukunftsplan, im Alpenvorland sind das beispielsweise Rotbuche, Bergahorn, Esche und Weißtanne. Aber auch andere Baumarten müssen dem Klimawandel Tribut zollen, und auch wenn die Buche mit Trockenheit besser umgehen kann als die Fichte, ist sie nicht der Superbaum. Flatterulme, Nussbaum, Kirsche und Elsbeere sind im Fokus, diverse Wissenschafts-institute testen in langfristigen Versuchsreihen neue potentielle Bäume für ein klimatisch anderes Mitteleuropa.
„Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum.“
(Hermann Hesse)
Bäume binden CO2, den Wald als CO2-Speicher zu erhalten, müsste weltweit oberstes Ziel sein, aber das geht nur mit den Mitgeschöpfen, wo jedes Rädchen ins andere greift. Waldumbau durch Erhöhung der Abschussquoten auf Rehe, Gämsen und Hirsche ist keine Patentlösung, das Ökosystem aus Flora und Fauna muss im Fokus bleiben.
Und während die einen um die Waldökologie und auch um ihre wirtschaftliche Existenz ringen – der Holzpreis ist am Boden! –, wird er zunehmend Spielplatz für einen ganzen Reigen an Freizeitinteressenten: Pilzsucher, Geocacher, Radfahrer, Jogger, Hundespaziergänger – und Waldbadende. „Shinrin Yoku“ – „Baden in Waldluft“ kommt aus Japan. Man will sich treiben lassen und den Wald bewusst im gegenwärtigen Moment wahrnehmen. Studien aus Japan und den USA belegen, dass sich bereits nach einem 15-minütigen Spaziergang im Wald der Herzschlag normalisiert, der Blutdruck sinkt, das Immunsystem gestärkt wird. Verantwortlich dafür sind pflanzliche Duftstoffe, die so genannten „Terpene“.
Gegenseitige Achtung
Annette Bernjus ist die Pionierin des Waldbadens in Deutschland. Sie will anleiten, „vom Denken ins Fühlen zu kommen“. Sie zertifiziert auch andere Waldbade-Coaches, und ein fast inflationär gebrauchtes Wort fällt häufig: Achtsamkeit. Ein wichtiges Wort, das sich aber nicht nur aufs Ego, sondern auf das Gefüge der gegenseitigen Achtung beziehen sollte. Betroffen sind auch die Tiere, denn viele sind untrennbar an den Lebensraum Wald, ja sogar an einzelne Baumarten gebunden, um zu überleben. Der Schwarzspecht braucht die Buche, der Hirschkäfer alte Eichenwälder. Der Mensch bewegt sich im Wohnzimmer vieler Arten.
„Mir ist es wichtig, die Menschen ein bisschen zu kanalisieren und sie zu (ver)führen, das zu schützen, was man zuerst kennen und lieben lernen muss“, lächelt Haschler-Böckle auf dem Eibenlehrpfad. Auch Elisabeth Zintl von den „Hollerhöfen“ in der Oberpfalz entführt auf den EWILPA, Deutschlands ersten essbaren Wildpflanzenpfad, wo man die Natur als Quelle wertiger Ernährung selber „brocken“ kann. Aus der Natur schöpfen will auch Marianne Daberer im kärntnerischen Gailtal, der ersten „Slow Food Travel“-Region der Welt. Michael Trocker vom „Wanderhotel Europa“ in Seis am Schlern erwandert mit seinen Gästen uralte Kraftplätze. Sie alle haben kein rosarotes Blümchenbild vom Wald, sie alle wissen, dass das Kennenlernen eines fragilen Raumes kleine Schritte erfordert, die auf den Wegen bleiben. Es bedarf leiser Stimmen und eines sehr, sehr sanften Auftretens …

Schon ein 15-minütiger Wald-spaziergang wirkt sich positiv auf das Immunsystem aus, wie hier im Wald in der Nähe vom „Bodenmaiser Hof“.
© Marco Felgenhauer/Woidlife-Photography

Wasserfall im urigen Gehölz
© Marco Felgenhauer/Woidlife-Photography

Abkühlung verspricht der Naturteich im Biohotel „der daberer“.
© der daberer – das biohotel