Für den Brad Pitt in uns

Das richtige Werfen mit der Fliegenrute will gekonnt sein - zumal man dabei bis zur Hüfte im Wasser steht und schon das Gehen in der Strömung nicht ganz einfach ist.
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Eine schöne Regenbogenforelle konnte der Kunstfliege nicht widerstehen. Sie hat jedoch Glück, wird schonend zurückgesetzt und darf weiterleben.
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Kunstfliege aus der Nähe
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Die Schnur liegt sauber auf dem Wasser. Jetzt muss nur noch ein Fisch steigen und sich die Fliege schnappen.
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Das elegante Fliegenfischen ist die Königsdisziplin der Hobbyangler – und inzwischen auch eine angesagte Lifestyle-Beschäftigung für gestresste und natursüchtige Städter. Wie schön, dass man dieser einsamen Leidenschaft auch in Zeiten des „Social Distancing“ ganz unbeschwert nachgehen kann. Aber wie funktioniert das eigentlich genau?
Günter Kast (Text)
Gemeine Angler sind komische Menschen. Das Problem beginnt bei der Anmutung. Sie sitzen in Klamotten am Wasser, bei denen andere zögern würden, sie in einen Altkleidercontainer zu stopfen, weil auch Mitmenschen, die auf diese Spenden angewiesen sind, ein Recht auf einen Rest an Menschenwürde haben. Stellt man den Wurm-Badern eine Frage, blicken sie mürrisch und stoßen im besten Fall eine einsilbige Ansammlung von Konsonanten aus, die dem Knurren eines Rottweilers nicht unähnlich ist. Die laut dem Institut für Demoskopie Allensbach fünf bis sechs Millionen Angler in Deutschland sind, das muss man so sagen, eher schlechte Botschafter ihrer Sache.
Fliegenfischer fühlen sich von dieser Kritik freilich ausgenommen. Sie sind die wahren Gentlemen und Ladys unter den Anglern. Ihre Vorbilder an den schottischen Lachsflüssen wussten sich sehr wohl ordentlich zu kleiden: Um die Waden schlotterten Knickerbocker, den Hemdkragen hielt eine Fliege zusammen, auf dem Kopf thronte ein wettergegerbter Tweed-Hut, im Idealfall ein Erbgeschenk des adeligen Großvaters. Das alles hatte zwar Stil, war aber auch ziemlich altmodisch. Das Image drehte sich 1992, als das Fliegenfischer-Epos „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ mit dem jungen Brad Pitt in der Hauptrolle von Robert Redford verfilmt wurde. Der war cool, Mann! Viele lasen danach die Romanvorlage von Norman Maclean. „In unserer Familie“, heißt es da auf der ersten Seite, „gab es keine klare Trennungslinie zwischen Religion und Fliegenfischen.“ Fast alle Fliegenfischer würden diesen Satz so unterschreiben.
Von Ritz bis Hemingway
Angeln mag ein Hobby sein. Das Fischen mit der Fliege hingegen ist quasi-religiöse Berufung und hohe Kunst zugleich. Es war u.a. die Passion von Charles C. Ritz, Sohn des legendären Hotelgründers César Ritz. Sein Buch „Erlebtes Fliegenfischen“, 1956 erschienen, wurde zum Standardwerk für Generationen von Gleichgesinnten. Das Vorwort schrieb kein Geringerer als Ernest Hemingway, denn der alte „Hem“ war nicht nur dem Alkohol, sondern auch dem Fischen mit künstlichen Fliegen hoffnungslos verfallen.
Was aber macht diese Passion so besonders? Warum behaupten Spötter, Fliegenfischen sei die schwierigste und kostspieligste Methode, keinen Fisch zu fangen? Warum führt angeblich nur die richtige Mischung aus buddhistischer Gelassenheit und konzentriertem Ehrgeiz zum Erfolg?
Nun, das Auswerfen, die Wurftechnik, ist ein in der Tat komplexer Vorgang. Zuerst fingert der Akteur eine bunte und mit einem Haken bewehrte Kunstfliege aus seiner Echtholzdose, die er nach Möglichkeit selbst gebunden hat, jede wirkt wie ein kleines Kunstwerk. Die Fliege imitiert die natürlichen Beutetiere der Fische wie Flug-, Land-, Wasser-insekten oder Beutefische und Amphibien. Sie wird aus Materialien fabriziert, die man in Spezialkatalogen bestellt: Fell, Vogelfedern (Hecheln) und Kunststoff und einem Haken verschiedener Größe. Das Binden dieser Fliegen stellt in Fliegenfischerkreisen ein eigenständiges und zeitintensives zusätzliches Hobby dar. Mit der Gerte, die früher aus Bambus gefertigt wurde, die heute aber aus Hightech-Kohlefaser besteht und sündhaft teuer ist, schreitet man sodann zum Fluss. Der Fliegenfischer hält die Rute in der rechten Hand, den Unterarm auf elf Uhr angewinkelt.
Er bewegt die Angel auf ein Uhr, zuerst langsam, dann schneller. Das Ganze zurück, der umgekehrte Bewegungsablauf. Dabei gibt er immer mehr Flugschnur frei, die Fliege saust waagerecht durch die Luft, bis sie sanft auf der Wasseroberfläche aufsetzt, keinesfalls aber wie bei einer Notlandung aufklatscht.
Anfangs ist die Lernkurve recht steil. Doch dann dauert es, ähnlich wie beim Golfen. Nur jahrelange Erfahrung und diszipliniertes Üben führen zum Erfolg: Die Rute soll zum verlängerten Arm werden, die Bewegungen müssen ineinanderfließen. Nur dann platziert man die Fliege mit jener Leichtigkeit am richtigen Ort, die den Sport so britisch elegant erscheinen lässt. Der richtige Ort – das ist oftmals nur ein Notizblock-großes Stückchen Wasseroberfläche!
Sensible Beobachtung der Natur
Neben dem Fliegenbinden und dem komplexen Werfen ist es die sensible Beobachtung der Natur, die den Akteur auszeichnet. Schließlich muss er alle Insekten kennen, die am Fluss unterwegs sind, um die richtige Kunstfliege auszuwählen. Er muss sich lautlos anpirschen, denn der kleinste Fehler verrät ihn und lässt die vorsichtige Forelle die Flucht ergreifen. Das alles erfordert höchste Konzentration und List, führt aber auch zu einem Flow-ähnlichen Zustand, einer geradezu erotischen Auseinandersetzung mit dem Gewässer und seinen geschuppten Bewohnern.
Ernsthafte Fliegen-Fans streben danach, jenes gediegene Endstadium der Fischerei zu erreichen, bei dem Zahl und Größe der gefangenen Flossenträger keine Rolle mehr spielen, sondern es nur noch um das vollkommene Verschmelzen des Fischjägers mit der erhabenen Natur geht. Die mit widerhakenlosen Haken gefangenen Fische werden nach vollzogenem Akt übrigens meistens wieder freigelassen. „Catch & release“ heißt das im Fach-Jargon.
Spätestens jetzt sollte klar geworden sein, dass es hier längst nicht mehr um Fischfindung, sondern um Selbstfindung geht. Das Angeln ist im Kreise der angesagten Lifestyle-Beschäftigungen für von Burn-Out bedrohte und natursüchtige Städter angekommen: Yoga an den geraden Wochentagen, ein Grundkurs Fliegenfischen an den ungeraden, beides möglichst mit Achtsamkeits-Zertifikat.
Überspitzt? Wenn man da nicht aufpasst, kann sich die Herangehensweise an den Sport tatsächlich schnell ins Lächerliche verkehren. Das Werfen mit der Fliegengerte als meditative Auseinandersetzung mit Instinkten und Urtrieben? „Foraging“ am Fluss, also Nahrungsbeschaffung nach Art unserer Vorfahren, um die gleichermaßen stilvolle wie archaische Selbstversorgung mit eigenhändig erbeutetem Getier zu zelebrieren?
Zahl der Anglerinnen steigt
Vielleicht geht es ja auch eine Nummer kleiner. Und dann ist Fliegenfischen tatsächlich ein wunderbarer Zeitvertreib – gerade in Phasen, in denen Menschenaufläufe vielen nicht mehr so ganz geheuer sind. Tatsächlich wächst die Zahl der fliegenfischenden Petri-Jünger hierzulande stetig. Zwar ist der Sport noch lange nicht so beliebt wie in den USA, wo es mehrere Millionen Fans geben soll, darunter auch immer mehr Frauen. Aber Kurse für Einsteiger erfreuen sich auch bei uns steigender Beliebtheit. Fliegenfischen, der einst königliche Zeitvertreib, ist jünger, attraktiver und weiblicher geworden. Der große Vorteil in Corona-Zeiten: Man muss dafür nicht um die halbe Welt jetten, denn idyllische Bäche und Flüsse gibt es nahezu überall.

Beim Binden der Knoten an der dünnen Vorfachschnur ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.
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Eine Forelle hat die Fliege genommen - und nicht damit gerechnet, dass sich in dieser ein Haken versteckt.
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Bachforellen sind hierzulande in zahlreichen Gewässern heimisch. Viele Fliegenfischer schätzen die rot getupften Fische besonders, weil sie nicht leicht zu überlisten sind.
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