Auf der Suche nach dem Glück im einfachen Leben

Novizen im Kloster Tashi Choeling
© Peter Hinze

Karge Landschaft bei Komang
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Eine Yak-Karawane auf Passhöhe
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In der Zwischenstation Shey Gompa, das spirituelle Zentrum von Upper Dolpo, melkt eine Bäuerin ein Yak.
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Seit Jahrhunderten kaum verändert, liegt das Dorf Bhijer auf einer Höhe von 3800 Metern über dem Meeresspiegel.
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Mit seinem DOLPO PROJECT finanziert Autor Peter Hinze den Bau von Mikrogewächshäusern in der Region und unterstützt dort auch weitere lokale Hilfsinitiativen.
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Glücklich und zufrieden: Heiliger Komang Tulku
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Seit seiner ersten Dolpo-Reise vor drei Jahren bewegten Autor Peter Hinze (re. im Bild) immer noch Fragen, auf die er bei dieser Reise Antworten finden wollte. Die hat er bekommen und herzliche Begegnungen mit den Menschen vor Ort gehabt, hier beim Abschied in Namdo.
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Eine besinnliche Reise zu den Lebensweisheiten der Dolpo-Pa, den letzten, bedrohten Ureinwohnern im nepalesischen Himalaya
Peter Hinze (Bilder und Text)
Nach nur 15 Minuten verlässt der kleine Flieger das Rollfeld von Juphal wieder Richtung Zivilisation. Stille und Einsamkeit kehren zurück in die wohl einsamste Region Nepals, wo die letzten knapp 8000 Dolpo-Pa ihren alltäglichen Kampf um ein würdiges Leben führen.
Genauso unzugänglich wie das Land sind die Menschen selbst: Nicht einmal 500 Ausländer wagten 2019 das Abenteuer einer Reise nach Upper Dolpo (2020 kam überhaupt kein Fremder, so die offizielle Statistik). Es gibt kaum Chancen auf Bildung, Krankenvorsorge oder Moderne, nicht einmal genügend Nahrung. Die Dolpo-Pa, noch immer Anhänger des Bön, der wohl ältesten, noch praktizierten Religion der Welt, geprägt vom Glauben an Heiler, Schamanen und Naturgewalten, leben zurückgezogen.
Fremde sind ihnen wirklich „fremd“, deshalb freue ich mich über meine Reisegefährtin: Tsering Sumjok kenne ich schon länger. Sie hat ihre komplette Familie im fernen Dorf Bhijer zehn Jahre lang nicht gesehen. Nun will ich sie auf dieser Reise nach Hause begleiten. Und sie möchte mir die Türen öffnen, damit ich vielleicht Antworten auf meine Fragen finde, die mich seit meiner ersten Dolpo-Reise vor drei Jahren bewegen: Wie ist so viel Optimismus trotz eines bedrückenden Alltags möglich? Wie lautet hier die Formel für ein Leben in Glück und Zufriedenheit?
Unbeugsamer Optimismus
Fragen, die vor allem durch eine unvergessliche Begegnung ausgelöst wurden: Damals erzählte mir eine alte Frau mit leiser Stimme, dass ihr Dorf im Winter für vier Monate von der Außenwelt abgeschnitten sei: „Wenn zu lange zu viel Schnee liegt, dann müssen wir im Frühjahr Gras essen, um zu überleben“. Doch dann lachte sie, und ich erkannte in ihrem Gesicht keine Angst, keine Besorgnis, sondern die Vorfreude auf den Frühling. Was für ein erstaunlicher Optimismus.
In den nächsten Tagen wird Upper Dolpo auf dieser Reise seinem unnahbaren Ruf mehr als gerecht. Nach unzähligen Umwegen, weggespülten Brücken und unpassierbaren Steilhängen dauert es zehn Tage – statt der geplanten fünf – bis wir unsere Zwischenstation Shey Gompa, das spirituelle Zentrum, erreichen. Dort, vor dem Shey-Sumdo-Kloster, thront der heilige Drachenberg an der anderen Talseite, und neben mir sitzt Tashi, ein einheimischer Wandermönch, der wahrlich in sich ruht. Schnell wird mir klar: Er reist mit einer Leichtigkeit, die eine besondere Freude und Dankbarkeit am Unterwegssein prägt. Er ist ein wirklicher „mindful traveller“, ein achtsamer Reisender, der ganz unbefangen nur das Hier und Jetzt erlebt. »Manche Leute streben nach immer mehr Geld und fragen sich eifersüchtig: Wie viel hat der und wie viel habe ich selbst? Aber das ist der falsche Weg, denn dieser Reichtum hat keine Bedeutung. Auf meiner Reise besitze ich nur ein Stück Seife, Du hast sie mir gestern geschenkt. Und damit bin ich sehr glücklich“, lacht der Mönch, während Schneeflocken auf seinem Gesicht zu kleinen Wassertropfen schmelzen – und ich ahne: Ohne Besitz gibt es offensichtlich mehr Platz fürs Glück
Ohne Beschäftigung geht das Glück verloren
In Tashis gelassener Gesellschaft erreichen wir Bhijer, die Heimat von Tsering Sumjok. Das Dorf mit seinen uralten Steinhäusern scheint sich über die Jahrhunderte kaum verändert zu haben – ebenso wenig wie das Leben selbst. »Wir führen schon seit langer Zeit ein äußerst bescheidenes Leben. Und daher hat es die Gier hier schwer, denn: Bescheidenheit und Gier sind keine Freunde“, gibt mir der hohe Würdenträger des Dorfes, Rinpoche Lama Dradhul, mit auf meine weitere Wanderung und fügt einen Rat hinzu: „Hier haben die Menschen immer etwas zu tun. Das ist wichtig. Ohne Beschäftigung geht das Glück verloren.“
Hinter Bhijer zieht sich der Weg wieder hinauf in die Berge, der Schnee am Dumla-Pass fällt auf 5134 Metern Höhe. Die Berglandschaft ist karg. Auf windigen Bergpässen sehen wir den Adlern nach, essen selbst gebackene Chapatis, traditionelles Fladenbrot, träumen vom nahen Tibet und sitzen abends in den Küchen der Bauern, die von der Schönheit der Berge und einer fernen Welt singen, die für sie bereits im nächsten Tal liegt, denn jenseits von Upper Dolpo war bisher kaum jemand. „Warum auch? Wir sind glücklich – hier“, sagt eine alte Bäuerin – und alle lachen.
Und meine Begleiterin Tsering flüstert aus der Dunkelheit: „Verstehst Du: In Upper Dolpo streben wir nicht nach Reichtum, wir suchen Zufriedenheit und Glück. Wir fühlen uns als eine Gemeinschaft, das macht uns stark.“ Über das fruchtbare Namkhong-Tal, wo sich das Alter der Klöster nur nach Jahrhunderten bemisst und der Herbst die Felder goldgelb färbt, führt die Wanderung nach Shimen.
Weniger ist mehr
Ganz im Osten Upper Dolpos lässt sich die tibetische Grenze schon erahnen. Es ist die Heimat von Tenzin Norbu Lama, ein international bekannter Künstler. Seit Generationen widmet sich seine Familie der Malerei von Thankas, den religiösen Wandgemälden, die in allen Klöstern zu finden sind: „Ich war über dreißigmal in Frankreich. Aber bis heute habe ich nicht verstanden, dass dort im Restaurant oft vier Gabeln, vier Messer und drei Löffel vor mir liegen. Warum brauchen wir eine so große Auswahl? Ich hatte in meiner Jugend in Dolpo eine Schale, aus der habe ich am Morgen, am Mittag und am Abend gegessen – und ich war zufrieden. Wir dürfen nicht vergessen: Auch das einfache Leben kann glücklich machen“, erklärt der 51-Jährige und ruft erheitert zum Abschluss: „Und auch mal das Handy aus der Hand legen!“ Kein Zweifel, der Mann kennt sich aus in der weiten Welt.
Und wie war das mit dem Glück? Allein die Suche danach kann schon glücklich machen. Eine herrliche Zeit, die meinen Blick auf das Leben verändert hat. Weil ich Menschen begegnet bin, die ihr Leben mit Würde und Leichtigkeit nicht einfach nur ertragen, sondern trotz aller Herausforderungen glücklich „erleben“. Und dann erinnere ich mich an Karma Tsering, ein einfacher Yak-Bauer und Vater von Tsering Sumjok, der meine Frage mit einem einzigen Satz beantwortete: „Wir haben genug zu essen, wir haben genug zum Anziehen – warum sollten wir nicht glücklich sein?“ So einfach kann es also mit dem Glück sein – zumindest in Upper Dolpo.

Mit Gebetsmühle: Ehefrau des Rinpoche Amchi in Dho Tarap
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Novizen im Kloster Tashi Choeling in Namdo beim Unterricht
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Tsering Sumjok hat ihre Familie im fernen Dorf Bhijer zehn Jahre lang nicht gesehen. Autor Peter Hinze begleitet sie auf ihrem Weg nach Hause.
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