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Reportagen

Arbeiterkultur und Innovation

Visualisierung der Räume zur Landesausstellung, hier im Museum Arbeitswelt …

Visualisierung der Räume zur Landesausstellung, hier im Museum Arbeitswelt …

© OÖ. Landesausstellung/MAW

… und Dachboden im Innerberger Stadel

… und Dachboden im Innerberger Stadel

© MachGut

Blick über die Steyr auf das Ensemble der barocken Michaelskirche im Stadtteil Steyrdorf

Blick über die Steyr auf das Ensemble der barocken Michaelskirche im Stadtteil Steyrdorf

© Stefan Spath

Der Stadtplatz von Steyr gehört zu den besterhaltenen Altstadtensembles im deutschen Sprachraum.

Der Stadtplatz von Steyr gehört zu den besterhaltenen Altstadtensembles im deutschen Sprachraum.

© Stefan Spath

Die Oberösterreichische Landesausstellung 2021 zelebriert die eiserne Vergangenheit des Städtchens Steyr.

Stefan Spath (Bilder und Text) 

Barocke Fassaden, malerische Innenhöfe und schmiede-eiserne Schilder, die auf einen der schönsten Stadtplätze weit und breit hinausragen: Steyr im oberösterreichischen Voralpenland ist eines jener Kleinode, die einen auf den ersten Blick in die Pracht vergangener Jahrhunderte eintauchen lassen. Dieses Jahr lohnt ein Besuch umso mehr: Die große Oberösterreichische Landesausstellung bietet dem malerisch am Zusammenfluss von Enns und Steyr gelegenen Städtchen eine ganz exklusive Bühne, um seine von wohlhabenden Bürgern, innovativen Industriepionieren und stolzen Arbeitern getragene Kultur in allen Facetten zu präsentieren. 

 „Arbeit, Wohlstand, Macht“ lautet der Titel der bis 7. November laufenden Schau. „Sie erzählt die Geschichte der Stadt Steyr neu, anhand von drei sozialen Schichten – den Arbeitern, den Bürgern und dem Adel“, erklärt Ko-Kurator Michael John. Gut 1000 Exponate, darunter viele Leihgaben aus privatem Besitz, zeichnen den wechselvollen Weg Steyrs in den letzten 1000 Jahren nach. Bereits die Ausstellungsorte sind spektakulär – allen voran der Innerberger Stadel mit seinem neu konzipierten Stadtmuseum. Mit seinen dicken Mauern und mächtigen Holzdecken lässt das doppelgiebelige Renaissance-Gebäude seine einstige Funktion noch gut erkennen: Es diente als Lagerstätte und Getreidespeicher der Innerberger Hauptgewerkschaft, dem im 17. Jahrhundert größten Eisenhandelsunternehmen der Welt.

Pole Position für den Eisenhandel

Eisen – das ist der Rohstoff, der bis in die Gegenwart mit Steyrs Schicksal untrennbar verwoben ist.  Vom steirischen Erzberg 100 Kilometer südlich brachten es Flößer auf der Enns heran. Das „schwarze Metall“ ließ bis zur Mündung in die Donau eine der ältesten Industrielandschaften Europas entstehen – die Eisenwurzen. Als Steyr im Jahr 1287, so ist auf einer Urkunde zu lesen, das Stapelrecht für den begehrten Rohstoff bekam, waren seine Handwerker und Händler in der Pole Position für die Verarbeitung bzw. Vermarktung. Von Venedig bis an Nord- und Ostsee spannte sich ihr Handelsnetz, wie Karten dokumentieren. Am Übergang zur Neuzeit stand Steyr in puncto Reichtum in Österreich nur Wien nach. 

Uralte Zunftzeichen begrüßen die Besucher. Schmuckstücke großartiger Handwerkskunst, von Messern über Maultrommeln und Waffen bis zu Eisenuhren, reihen sich in den Vitrinen aneinander. Die Besucher wandeln durch eine historische Nagelschmiede, es riecht nach Eisen, aus Lautsprechern ertönen das Klingen von Hämmern und weitere Arbeitsgeräusche aus der heute verschwundenen Welt von Messermachern, Klingenschmieden und Co. Steyrs Bürger entwickelten Geschmack, luden Musiker wie Franz Schubert zur Sommerfrische ein, um die Stadt mit Kultur aufzuladen, und orderten Biedermeier-Möbel für ihre Stuben. 

Waffenschmiede Europas

Gleich um die Ecke illustriert eines der besterhaltenen Alt-stadtensembles im deutschen Sprachraum, wie die Bürger ihren Wohlstand im Großen ummünzten. Hier zieht die üppig dekorierte Rokokofassade des Rathauses die Blicke auf sich, dort grüßt mit dem Bummerlhaus eines der schönsten Profangebäude Österreichs aus der gotischen Zeit. Stadtführungen erschließen Anekdoten, etwa jene, die sich um den Goldenen Löwen über dem Eingang dreht. Eigentlich sollte das Tier ja den Markus-Löwen darstellen und die Handelsverbindung des Besitzers zur Serenissima illustrieren. Doch die Gestaltung geriet etwas unbeholfen. „Die Steyrer Bürger haben gesagt, das Tier da oben ist ja kein Löwe, das ist maximal ein ‚Bummerl‘. So nannte man damals die kleinen, dicken Hunde, und so kam das Bummerlhaus zu seinem Namen“, erzählt der Kulturvermittler Wolfgang Hack.

Wenige hundert Meter weiter lädt das Museum Arbeitswelt zu einer Entdeckungsreise an die einstigen Produktionsstätten des örtlichen Wirtschaftswunders. Schon im Spätmittelalter hatten die Handwerkszünfte das 1,5 Kilometer lange Wehrgraben-Gerinne angelegt, um sich die Antriebskraft des Steyr-Flusses für ihre Gewerbe dienstbar zu machen. Im 19. Jahrhundert verwandelte sich der Wehrgraben in einen Industriestandort, wie Backstein-Bauten, Wehre und Schornsteine bis heute erkennen lassen. Treibende Kraft war Josef Werndl (1831-1889), der mit der Entwicklung eines modernen Hinterladergewehrs den Weg Steyrs zur „Waffenschmiede Europas“ ebnete. Ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen – so darf man sich den auch auf dem Plakat zur Ausstellung abgebildeten, über zwei Meter großen Rüstungsmagnaten vorstellen. Die Schau zeichnet ein differenziertes Bild. So ließ Werndl für seine Arbeiter Häuser errichten, spendete für Sozialprojekte, förderte das Vereinsleben und wollte lieber der „erste Bürger“ bleiben, als sich für seine Verdienste adeln zu lassen. „Josef Werndl gilt als Pionier und ist nach wie vor eine tragende Figur in seiner Heimatstadt“, resümiert der Historiker Andreas Praher aus dem Team der Ausstellungsmacher.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Das in den Hallen einer einstigen Messerfabrik untergebrachte Museum Arbeitswelt verdeutlicht eine weitere Besonderheit. Auf goldene Zeiten folgten nicht nur einmal Niedergang und soziales Elend. Besonders nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 und dem Verbot der Waffenproduktion waren die Zeiten für Steyrs Arbeiter hart. Doch bald schon hob ein neuer Boom an. Von den Fließbändern der nunmehrigen Steyr-Daimler-Puch-Werke rollten Traktoren, Lkw, Coupés und Kleinwagen wie das „Steyr Baby“. 

Die auf Hochglanz polierten Fahrzeuge ernten bewundernde Blicke – sind allerdings nur nostalgische Hingucker. In den 1980er Jahren war der verstaatliche Konzern nicht mehr konkurrenzfähig. Zerschlagung und Abverkauf setzten einen neuen Zyklus in Gang. Die Industrie übersiedelte an den Stadtrand, und internationale Akteure betraten die Bühne. Allen voran der Automobilhersteller BMW, der in Steyr ein riesiges Motorenwerk errichtete, oder der ebenfalls in München angesiedelte Nutzfahrzeughersteller MAN, der die Lkw-Produktion übernahm. Sie sorgen heute in der 38.000-Einwohner-Stadt für Tausende Jobs. 

Ungewollte Brisanz hat die Landesausstellung mit der Ankündigung des MAN-Konzerns bekommen, die Lkw-Produktion nach Osteuropa abzusiedeln. Was das für die Zukunft bedeutet? „Die Stadt hat Industriegeschichte und Innovation im Erbgut und ist längst auch ein Standort für Technologie und Forschung“, zeigt sich Andreas Praher vorsichtig optimis-tisch. In der Tat, Bildungseinrichtungen wie die im Wehrgraben-Viertel angesiedelte, europaweit renommierte Fachhochschule mit 1500 Studenten haben Steyr mittlerweile zu einem Hotspot für Zukunftstechnologien gemacht. Denn zum „alten Eisen“ will das Städtchen definitiv nicht gehören.

Pittoreske Umgebung

Der Adel hat in Steyr wenige Spuren hinterlassen, wie auf Schloss Lamberg, der dritten Station der Landesausstellung, sichtbar wird. Dafür lässt sich vom Panoramaweg aus das städtische Kleinod in seiner ganzen Pracht studieren.  Von Süden rollt die blaue Enns heran, von Westen kommt die smaragdgrüne Steyr hinzu, und gemeinsam nehmen sie das Stadtzentrum in die Zange. In der zweiten Reihe wogen die Hügel des Alpenvorlandes, gefolgt von den Gipfeln des Nationalparks Kalkalpen. 

Wer Zeit hat, schwingt sich nun auf den Drahtesel und taucht auf dem Steyrtal-Radweg noch tiefer  in die eiserne Vergangenheit der Region ein. Zu erleben gibt es genug – besonders in Molln, wo Maultrommel-Schaubetriebe und ein Kraftwerk, im Jugendstil erbaut, zur Besichtigung einladen.