Die Renaissance von Rimini

Berühmt: die Blaue Stunde und „La Notte Rosa“ am Strand von Rimini. In kaum einer anderen Stadt Italiens lassen sich Strandvergnügen und Kultururlaub so einfach verbinden.
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Der italienische Filmemacher Federico Fellini bei der Arbeit. Sein Debüt als Regisseur hatte Fellini 1950 mit „Luci del varietà – Lichter des Varieté“.
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Nicht nur für Fellini ein Sehnsuchtsort: das „Grand Hotel Rimini“
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Die zahlreichen Murals im Viertel Borgo San Giuliano zeigen Szenen aus den berühmtesten Werken Fellinis sowie Portraits des Künstlers und seiner Frau, der Schauspielerin Giulietta Masina.
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Szene aus „La dolce vita – Das süße Leben“ mit Marcello Mastroianni und Anita Ekberg als Wandmalerei in Riminis historischem Fischerviertel Borgo San Giuliano
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Der Ponte di Tiberio mit kunstvoller Beleuchtung
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Von Riminis Castel Sismondo ist nur noch der zentrale Kern erhalten. Das Gebäude wird heute für Ausstellungen und Events genutzt.
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Der einstige Teutonengrill hat einen Imagewechsel vollzogen und ehrt den berühmtesten Sohn der Stadt, Federico Fellini, der im Januar 100 Jahre alt geworden wäre.
Yvonne Weiß (Text)
Sie denken, Rimini sei ein Badeort? 80.000 Liegestühle am 15 Kilometer langen Strand sprechen dafür. Doch Rimini ist viel mehr als eine Touristendestination, es ist eine Fantasievorstellung, eine Muse! Und zwar vom berühmten Sohn der Stadt: Federico Fellini. Der geistreiche Regisseur, der fünf Oscars erhielt und beim letzten sogar fragte, ob das denn nicht langsam zu viele würden. Wer seine Werke mit den zahlreichen Bezügen zu seinem Geburtsort schaut, der meint, Rimini zu kennen.
Rimini als Filmkulisse nachgebaut
Dabei entstand hier kein einziger Film-meter. Der Platz, der Brunnen, die Pescheria, der Corso, das „Fulgor“-Kino – fast die ganze Altstadt wurde in Roms „Cinecittà Studio“ originalgetreu nachgebaut und glänzt in Fellinis Jugendwerk „I vitelloni“, in seinem Meisterwerk „Roma“, vor allem aber in „Amarcord“ (Rimineser Dialekt für „mi ricordo“, zu Deutsch: „Ich erinnere mich“). Dass alles nur Kulisse ist, macht aber nichts. Die Realität war dem Genie stets zweitrangig, und so wurde Rimini nach und nach mehr zu einer Vorstellung von Fellini. Es bemüht sich, so zu sein, wie es ihm gefallen hätte.
Food-Festivals werden beispielsweise so abgehalten, wie er es inszeniert hätte. Vor einem riesigen Zirkuszelt, das heißt wie ein Fellini-Film („8 1/2“), stehen Menschen auf Heuballen. Artisten balancieren auf rollenden Bällen, andere jonglieren, Musiker fideln, und von irgendwoher kommen zwei wichtige Menschen, die Applaus ernten, obwohl sie als einzige keine Kunststücke vorführen. Es geht skurril und lustig zu, ein Seiltänzer reicht einem Starkoch ein Bund Möhren, der Bürgermeister klatscht dazu.
Fellinis Suite im Grand Hotel mieten
Das Festival zeigt: Man kann sogar tot eine Hauptrolle spielen. Fellini beherrscht das Anwesendsein in Rimini selbst nach seinem Ableben. Überall spukt er herum, allen voran im „Grand Hotel Rimini“, einem der legendärsten Gebäude Italiens. Mit seinen weißen Türmchen war es zur Zeit der Belle Époque ein magischer Anziehungspunkt, auch für den jungen Federico Fellini, der in seiner Kindheit sehnsüchtig um die 1908 eröffnete Luxusherberge herumschlich.
Einmal jedoch, so schreibt er in seinen Erinnerungen, nahm er seinen Mut zusammen, nahm Anlauf und rannte die Treppe hoch: „Eine nach Wachs duftende Kühle wie im Dom am Montagmorgen schlug mir entgegen. Ein Frieden und eine Stille wie in einem Aquarium.“ Der junge Fellini sah „Sofas, groß wie Ruderboote“, gigantische Teppiche, „Sessel, die größer waren als ein Bett“, bunte Glasscheiben mit Blumen und den „größten Kronleuchter der Welt.“
Dann jedoch entdeckte ihn der Mann hinter dem Tresen, der „angezogen war wie ein Leichenbestatter bei einem Luxusbegräbnis. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, auf die Tür.“ Später jedoch, als aus dem kleinen Federico der berühmte Regisseur geworden war, stand im „Grand Hotel“ immer die Suite 315 für ihn bereit. Für rund 600 Euro können Gäste Fellinis Rückzugsort, der unverändert geblieben ist, heute mieten.
Mit 18 Euro etwas günstiger kommt der Cocktail „Dolce Vita“, den man in der Bar des Hotels bestellen kann. Hier spürt man noch den Zauber der vergangenen Zeit und eine Atmosphäre von Luxus und Verführung.

Der Maestro im Einsatz
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Logo „Fellini 100“
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Federico Fellini, hier im „Grand Hotel Rimini“, wurde am 20. Januar 1920 in Rimini geboren.
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Magische Atmosphäre im Cinema Fulgor
Und noch an einem anderen Platz in Rimini kann man Fellini ganz nah sein: im „Cinema Fulgor“. Jahrelang wurde der Ort, wo Fellini auf dem Schoß seines Vaters sitzend 1925 seinen ersten Stummfilm sah, renoviert. Der oscargekrönte Produktionsdesigner Dante Ferretti, ein Freund von Fellini, hat den Kinosaal entworfen, der heute viel schöner ist, als ihn Fellini mal beschrieb: „In dieser warmen Kloake und Lasterhölle war die Luft geschwängert von einer süßlichen stinkenden Substanz, die von dem Platzanweiser versprüht wurde.“
Fellini hatte damals mit dem Kinobesitzer einen Deal gemacht: Er zeichnete Karikaturen der Filmstars der laufenden Vorstellung, dafür erhielt er Freikarten für sich und seinen Bruder, natürlich nur für die hinteren Sitzreihen. „Im Dunkeln versuchten wir, zu den Sperrsitzen vorzudringen, weil da die schönen Frauen waren, wie es hieß, doch wir wurden von dem Platzanweiser geschnappt“, schrieb Fellini.
Selbst die „New York Times“ hat das Kino „Fulgor“ als einen der Orte genannt, die man besuchen sollte: Weil es ein kleines Kino ist, das die Bombardierung des Zweiten Weltkrieges überstanden hat, das in die magische Atmosphäre der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückversetzt. Im „Fulgor“ warf Fellini seinen ersten Blick auf die große weite Welt. Heute können Besucher hier einen Blick auf den Regisseur werfen, in dem sie sich seine Filme anschauen. Am besten vielleicht „8 1/2”, weil es als Fellinis Meisterwerk gilt und das Leben des Regisseurs abbildet.
„Rimini ist ein Chaos, verwirrt, ängstlich, zart, mit diesem großen Atemzug, dieser offenen Leere des Meeres.”
Federico Fellini
Man muss schon über ein gewisses Ego verfügen, um im Alter von 43 Jahren ein autobiografisch geprägtes Mammutwerk zu drehen. Es geht um einen verwirrten Filmemacher, der seinen neunten Film drehen will, es aber einfach nicht schafft. Zu groß ist die Sinnkrise, in der er sich befindet. Die persönliche Nabelschau erinnert durchaus an die Selbstverliebtheit heutiger Influencer und Social-Media-Selbstdarsteller. Der Film endet, wie er für einen Mann enden muss, der im lebenslustigen Rimini geboren ist. Die Hauptfigur sagt zu ihrer Ehefrau: „Das Leben ist ein Fest, lass es uns gemeinsam erleben“.
Und nicht nur das Alte in Rimini erinnert an den Maestro, es entsteht auch Neues. Im November 2020 soll „Fellini City“ eröffnen. Zwölf Millionen Euro kostet das neue Museum mit Sets, Bühnenbildern und Ausstellungen über die Werke des Italieners. Die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Die älteren Rimineser halten manchmal mit ihrem Rad an und schütteln den Kopf. Sie können nicht glauben, dass tatsächlich mal ein Projekt umgesetzt wird. Nein, es handelt sich nicht um Fantasie. Hier entsteht die Realität, keine Kulisse.