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Reportagen

Der alte Mann und ein Becher Rum

Jenseits der touristischen Gassen zeigt sich Havannas Altstadt unverändert – seit Jahrzehnten.

Jenseits der touristischen Gassen zeigt sich Havannas Altstadt unverändert – seit Jahrzehnten.

© Peter Hinze

Taxifahrerin Yordanka

Taxifahrerin Yordanka mit einem Lächeln und ihrem Buik Super 1952 in Havanna

© Peter Hinze

Buchladen in der Calle Obispo

Buchladen in der Calle Obispo

© Peter Hinze

Klassisches Karibik-Flair auf Cayo Santa Maria

Klassisches Karibik-Flair auf Cayo Santa Maria

© Peter Hinze

Moderne in Havannas altem Kern: das „Iberostar Grand Hotel Packard“

Moderne in Havannas altem Kern: das „Iberostar Grand Hotel Packard“

© Peter Hinze

Zwischen dem Ansturm der internationalen Touristen und der Sehnsucht der Einheimischen nach einem besseren Alltag sucht die Karibikinsel Halt in turbulenten Zeiten, in denen Optimismus seit 500 Jahren den gleichen Namen trägt: Havanna

Peter Hinze (Bilder und Text)

Yordanka Medina schaut kurz über das Meer nach Norden. Bis nach Florida sind es nicht einmal 200 Kilometer. Im Fahrtwind ihres Buik Super 1952 dreht die 40-jährige Taxifahrerin dann schnell wieder den Kopf Richtung Altstadt. „Ich liebe Kuba, ich liebe mein Leben!“ Ihr Strahlen erübrigt skeptische Nachfragen. Dass Yordanka auch ihren hellblauen Buik liebt, muss die Frau aus Havanna nicht betonen. Fast 25.000 US-Dollar sparte die ganze Familie zusammen fürAuto und Taxilizenz. Ein hohes Startkapital, das nun reichlich Rendite abwirft: City-Touren im nostalgischen Amerika-Flair gelten als die touristische Attraktion von Havanna.

„Ich liebe Kuba, ich liebe mein Leben!“

Yordanka Medina, Taxifahrerin

Gut 50.000 Oldtimer seien im Land noch unterwegs, schwärmt Yordanka, berührt ihren Rosenkranz aus hellblauen Steinen, der vom Rückspiegel baumelt und bittet sicherlich, dass ihr Buik noch lange durchhalten möge. Denn ihre Heimat zieht Touristen aus aller Welt magisch an – ein Erkalten der Liebe ist kaum in Sicht, 2019 feiert Havanna seine Gründung vor 500 Jahren.

Wer die Seele der „Grande Dame der Karibik“ ein wenig ergründen will, der muss am frühen Morgen durch die engen Gassen von Vieja, der Altstadt, schlendern und wird Kuba so nah und intensiv erleben, dass die Gewalt des Alltags dem Betrachter fast den Atem nimmt. Geduldiges Anstehen beim Bäcker, ein Gespräch mit dem Nachbarn, ein wenig Klagen und ganz viel Ungewissheit. Steigende Preise beim Metzger und leere Regale im Supermarkt. Kaum Strom und noch weniger Geld von den Verwandten im Ausland. Seit Jahren die gleichen Gedanken, seit Jahren vergebliches Hoffen auf bessere Zeiten.

Wenn gegen 10 Uhr die Touristen kommen, immer häufiger Landgänger von gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die nur wenige Meter von der Plaza de San Francisco entfernt anlegen, wirkt die Hauptgasse Calle Obispo fast wie ein von karibischem Kuba-Sound erfülltes Freilichtmuseum, in dem sich die Besuchermassen nur so dicht drängen können, weil die meisten Einheimischen längst die Flucht ergriffen haben und ihren Geschäften besser in verfallenden Seitenstraßen wie der Calle Aguacate nachgehen, wo ein alter Mann aus einer noch älteren Bar den Fremden auf einen Becher Rum einladen möchte. Gern würde man bleiben, doch die Uhr zeigt weit vor 12 Uhr mittags, und so siegt die Vernunft. Havannas zweiter Hauptdarsteller, neben der allgegenwärtigen Musik, hat die Bühne bereits Mitte 1960 verlassen, ist jedoch heute der gefeierte Star der Metropole: Ernest Hemingway.
Und so ziehen die meisten Besucher auf den Spuren des amerikanischen Nobelpreisträgers durch die Stadt und ihre Bars: In der Bar „El Floridita“, dem vermeintlichen Ursprung des Mojitos, sitzt der Literat als Bronzefigur am Tresen.

Bleibende Erinnerungen an Ernest Hemingway

m Hotel „Ambos Mundos“ werden Besucher nur in kleinen Gruppen ins Zimmer 511 gebeten, wo Hemingway in den 1930er Jahren oft logierte. Später zog er in die Finca „La Vigía“. Ein Ort, der noch immer Geschichte atmet und heute zurecht als offizielles Hemingway-Museum firmiert, denn die meisten Zimmer wurden im „Original“-Zustand belassen. Und wer einem der Angestellten einen Dollar-Schein spendiert, bekommt als Dank aus nächster Nähe ein Foto von Hemingways Schreibmaschine Corona 3. 

Dagegen halten sich die Erinnerungen an den Amerikaner, obwohl anders überliefert, in der „La Bodeguita del Medio“ in engen Grenzen. Die Bar, Ursprung des Daiquiri, ist übersät mit lärmenden Menschen und billigen Graffitis. Ein Platz, den Hemingway schon damals nur selten besuchte. Aber der touristische Trubel bietet einen guten Grund, die morgendliche Stille im Vorort Cojimar zu genießen. Hier hatte Hemingway sein Boot „Pilar“ festgemacht. In seinem Lieblings-lokal „La Terraza“ zelebriert die Bar-Mannschaft schon am frühen Morgen geschäftstüchtig mit doppelten Mojitos die Freundschaft zwischen dem US-Schriftsteller und dem lokalen Fischer Gregorio Fuentes, der wohl maßgeblich als Inspiration zu „Der alte Mann und das Meer“, dem bekanntesten Hemingway-Werk, diente. Doch die Gläser sind kaum geleert, als die ersten Busse mit japanischen Touristen kommen. Höchste Zeit, Havanna und Hemingway für ein paar  Tage den Rücken zu kehren. 

Wer bereit ist, sich der Seele der Insel zumindest ein kleines Stück zu nähern, der startet zur Überlandfahrt, die mit Sicherheit nach Cienfuegos führt, dessen herrliche Altstadt über die holperige Autobahn in einer Tagesreise erreicht wird. Vom großzügigen, schattigen Marktplatz geleitet Kopfsteinpflaster zum „Hotel Meliá San Carlos“, mit historischer Fassade und Design geprägtem Innenleben, von dessen Roof-Garden-Restaurant der Blick Richtung Meer geht, wo in den nächsten Jahren, so die ambitionierte Idee der staatlichen Planer, ein weiteres touristisches Megaprojekt mit sechs Luxushotels und fünf Golfplätzen entstehen soll.

Viva la vida

Bis dahin wird noch eine ganze Weile vergehen, über deren Länge in Kuba niemand ganz genau etwas voraussagen möchte. Also bleibt die Gegenwart, die sowieso genug Schönes verspricht: Trinidad, Camagüey oder Santiago de Cuba sind die geschätzten Stationen einer Kuba-Rundreise, zu deren Höhepunkten immer häufiger auch das Badeziel Cayo Santa Maria gehört. Über einen 50 Kilometer langen Damm nähert sich der Gast Stränden wie aus dem Reisekatalog. Während Barmixer Mario schon am Vormittag die Eiswürfel im nächsten Piña Colada zum Klingen bringt, vergeht die Zeit träge mit Genuss und karibischem Laissez-faire.

Doch mit jedem Tag, mögen die weißen Segel am Horizont auch noch so romantisch über das türkisfarbene Wasser gleiten, wächst die Lust auf kubanisches Viva la vida. Denn auch wenn Kenner die Inseln rundum Cayo Santa Maria für ihre Ursprünglichkeit schätzen und gern diesen Eilanden den Vorzug vor dem größeren und luxuriöseren Varadero geben, teilen beide Touristenresorts doch einen Nachteil: Kubanisches Leben bleibt größtenteils ausgesperrt und westliche Touristen unter sich. Auch weitere Besuche an Marios’ Strandbar können die Sehnsucht nach Havanna nicht stillen. Kein Problem. Der Provinzflugplatz liegt nahe.

Sich in der Fremde wie zu Hause fühlen

Und nach nicht mal einer Flugstunde fühlt sich der Fremde schon kurz nach der Landung in der Metropole wie zu Hause und lässt das Alltags-leben in wahren Wogen genüsslich auf sich einwirken. Zumal, wenn man sich unter der Adresse Calle 0, Vedado, einquartiert. Hier residiert mit dem „Hotel Nacional“ unweit vom berühmten Malecon, der Hafenpromenade, eine nostalgische Herbergs-Ikone. Dafür nimmt der Gast gern in Kauf, dass das Frühstück keine Erwähnung wert ist und die Zimmer ihr Alter kaum verbergen können. Nun lässt sich erneut stilvoll eintauchen in den Mythos Havanna. 

Nicht auf der Calle Obispo, sondern abseits, wo es nach Alltag aussieht und riecht. Also wieder in der Calle Aguacate, wo am nächsten Morgen fast wie selbstverständlich der alte Mann in der alten Bar mit seinem Becher Rum sitzt. Doch diesmal kennt seine Einladung nur die Antwort „Ja!“ Diesmal will der Betrachter keinen Meter weichen, nur genießen und Havanna in kleinen Schlucken und mit großen Augen „schmecken“. Wie sagte Yordanka Melinda: „Ich liebe das Leben. Ich liebe Kuba!“ Man muss keine Taxilizenz besitzen, um ihr zuzustimmen. Aber vielleicht doch noch einen weiteren Becher Rum, der den harten Alltag etwas erträglicher macht …