Newsletter

Reportagen

Check-in: Gardasee

Blick auf Borghetto

© Adobe Stock/Vivida Ohoto PC

Borghetto am Mincio

© Gudrun Rentsch

Geheimtipp: Campo di Brenzone

© Adobe Stock/thomas gorski EyeEM

Von Kanälen umschlossen: Peschiera del Garda, die Bastion gehört zum UNESCO-Welterbe

© Adobe Stock/Berg

Deftige Spezialitäten im „Al Canevino“

© Gudrun Rentsch

Olivenernte in der „Fratelli Turri“

© Gudrun Rentsch

Kulturelle und kulinarische Überraschungen im Veneto

Gudrun Rentsch (Text und Bilder)

Der Gardasee – ein Sehnsuchtsziel, das vielen als überlaufen gilt, und doch hält er auch für Wiederholungstäter immer wieder noch Überraschungen bereit. Um den Tourismus im Veneto, der vor allem 2020 stark unter der Corona-Pandemie gelitten hatte, wieder anzukurbeln, startete im letzten Jahr das EU-Leader-Projekt Amazing Garda Lake. Im Osten und Südosten des Sees haben sich neun Gemeinden zusammengeschlossen, um den Tourismus in der ländlichen Region Custoza zu fördern. In dem von der Europäischen Union zu 80% gesponserten Projekt stehen nachhaltige, regionale Betriebe und Produkte im Fokus. „Wir wollen den Besuchern lokale Spezialitäten näherbringen, die hier von Familienbetrieben hergestellt werden, oft in Bioqualität. Dazu gehören Wein, Oliven, Esskastanien, Salamiwürste und handgemachte Pasta“, erklärt Projektmanager Stefano Cantiero.

Entdeckungen in den Colline Moreniche 

Nur wenige Kilometer vom touristischen Gardaseeufer entfernt, zeigt sich uns eine ganz andere, verborgene Welt, ein ursprüngliches Stück Italien, das an Romantik kaum zu überbieten ist. Sommacampagna etwa ist in die malerische Hügellandschaft der Colline Moreniche eingebettet. Die ersten Siedler ließen sich hier um eine antike Kultstätte herum nieder, an deren Stelle sich heute die romanische Kirche St. Andrea mit ihren schönen Fresken befindet. 

Bei gutem Wetter kann man in der Ferne Verona und die Berge des Apennin erblicken. Von hier aus lassen sich prima Fahrradtouren durchs ganze Hinterland starten (es gibt elf percorsi cicloturistici und den anello del Custoza), ein paar Runden auf dem Platz des Golf Club Verona (www.golfclubverona.com) drehen oder auf historischen Pfaden die Region (www.terredelcustoza.com) erkunden. Zudem bietet sich zweimal pro Woche die Möglichkeit, auf einem typisch italienischen Wochenmarkt einzukaufen: freitags in der Altstadt von Sommacampagna und samstags auf der Piazza Martiri della Libertà in Caselle. 

Custoza im Glas und auf dem Teller

Auf den Feldern und Hügeln gedeihen in langen Reihen bis zum Horizont weiße und rote Trauben der Sorten Corvina, Chardonnay, Pinot Grigio oder Bardolino. Die Weine wachsen hier auf mineralischen Böden aus Geröll, Steinen und Kiesel, Humus und Schlamm; die Struktur dieser Moränenböden ist ausschlaggebend für den Geschmack der erzeugten Weine. Gute Tropfen – jung und frisch, einzigartig und unnachahmlich. 

Zu den bekanntesten Weingütern im Custoza gehört die 53 ha große Azienda Agricola Gorgo (cantinagorgo.com). Winzerin Roberta Bricolo führt das Weingut ihrer Eltern fort und heimst für ihre edlen Weine reihenweise Auszeichnungen ein. Seit 2018 hat sie die Produktion komplett auf Biowein umgestellt. „Wir setzen keine chemischen Dünger und Pestizide ein. Dadurch haben wir zwar eine geringere Ernte, dafür aber Trauben mit höherer Qualität“, erklärt sie. Besonders stolz ist sie auf ihr Spitzenprodukt „Summacampagna“, eine weiße Cuvee als „Quintessenz all dessen, was das Custoza so besonders macht“.

Eine weitere Spezialität der Region ist der Broccoletto di Custoza, der es 2016 sogar auf die Slow-Food-Liste schaffte (www.fondazioneslowfood.com). Es handelt sich um eine schmackhafte Kohlsorte mit großen, grünen Blättern, ein feines Wintergemüse. Lecker als deftiger Brotaufstrich oder als Pesto zu Pasta und Gemüsegerichten.

Ein Ort wie gemalt

Nicht weit entfernt liegt das bezaubernde Borghetto, Ortsteil von Valeggio sul Mincio. Alte Mühlen, Bäume, die sich im Wasser spiegeln, eine geheimnisvolle Burg, ein prächtiger Park, Borghetto ist mit seinen engen Gassen wirklich noch ein Paradebeispiel für ein unverbautes, historisches Dorf. Direkt am Ufer des Flusses Mincio gibt es viele Lokale und Cafés. Im Dorf selbst findet man etliche altertümliche Handwerksläden. Dazu die spektakuläre Ponte dei Visconti, ein gewaltiges Backsteinbauwerk. Die 600 m lange Brücke aus dem 14. Jh. schwingt sich imposant über den Fluss mit Blick auf die prächtige Skaliger-Burg.

Fest der Liebesknoten

Auf der Brücke, die eigentlich ein Staudamm hätte werden sollen, wird jedes Jahr das berühmte Festa del Nodo d’amore (festanododamore.eu), das Fest der Liebesknoten, gefeiert. Im Mittelalter sollen hier die mit Kürbisbrei gefüllten Tortellini di Valeggio erfunden worden sein, die heute „nodo d’amore“ (Liebesknoten) genannt werden. Man serviert sie in zerlassener Butter und Salbeiblättern. Bei diesem Tortellini-Fest, immer am dritten Dienstag im Juni, verwandelt sich die Visconti-Brücke in eine überdimensionale Speisetafel mit bis zu 4000 Gästen, und es gibt einen Umzug in historischen Kostümen – normalerweise. Das Fest wurde dieses Jahr coronabedingt abgesagt, aber vielleicht wäre es eine Idee für das nächste Jahr?

Tortellini a la Guido

„Natürlich wird diese Pasta-Spezialität das ganze Jahr über mit verschiedenen Füllungen in den vielen, sehr guten Restaurants selbst gemacht auf den Tisch gezaubert. Es gibt vielfältige und hauchzarte Tortellini, z.B. mit Fleischfüllung oder Spinat, aber auch Schokolade“, erklärt Guido Remelli. Er weiß, wie die perfekten Tortellini hergestellt werden – und zwar nach alter Tradition in Handarbeit. In seiner Tortellinoteca in Valeggio sul Mincio (www.pastificioremelli.it) beschäftigt Remelli 30 Frauen, die täglich bis zu 10.000 frische Tortellini produzieren. 

Radtour am Mincio

Der türkisfarbene Fluss Mincio schlängelt sich durch eine liebliche Hügellandschaft zwischen Peschiera und Mantua. Im Minciotal warten eine unberührte Natur und mittelalterliche Dörfchen darauf, erkundet zu werden. Am Fluss-ufer entlang fährt man von Valeggio bis nach Peschiera del Garda auf einem der schönsten Fahrradwege des gesamten südlichen Gardasees. Die einfach etwa 15 km lange Strecke ist eine leichte Radtour, die für die ganze Familie zu schaffen ist. Wer will, kann auch die gesamte Strecke von Peschiera bis nach Mantua radeln (44 km einfach).

Mediterrane Bastion

Am Südufer des Gardasees tauchen bei der Anfahrt bereits von Weitem die mächtigen Festungsmauern von Peschiera del Garda aus der sanften Wiesenlandschaft auf. Die gesamte Altstadt ist von Kanälen umschlossen. Haushohe, meterdicke Wallanlagen schützten die Einwohner jahrhundertelang vor Angreifern. Peschiera ist die größte Militäranlage am Gardasee und hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Erbaut als römische Festung, wurde sie im 16. Jh. eine Bastion der venezianischen Republik, dann eine napoleonische Festung, später eine Habsburger Festung.

Seit 2017 gehört die Bastion zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die imposanten Mauern sind heute überwiegend mit Rasen, Bäumen und Büschen bewachsen. Bei einer Bootstour auf den Kanälen erkennt man die Ausmaße der Festung am besten. In den engen Gässchen der Altstadt gibt es bei einem Bummel kleine Bars und Cafés zu entdecken, die zu einem Espresso oder Aperitif einladen.

Gourmet-Hochburg Garda

Garda ist neben Lazise und Bardolino einer der beliebtesten Orte im Südosten (3600 Einwohner). Der Ort gab dem See im 8. Jh. seinen Namen. Viele schöne Paläste, Villen und Parkanlagen, überragt von der 250 m hohen Rocca, drängen sich am Ufer, die lange, sehr belebte Seepromenade lockt mit Restaurants und Cafés. Auf einer benachbarten Landzunge liegt nördlich die Punta di San Vigilio. Sie gilt mit ihrem kleinen Hafen und der Kirche aus dem 13. Jh., der Villa Brenzone und der angrenzenden Locanda di S.Vigilio (www.locanda-sanvigilio.it) als landschaftliches Gesamtkunstwerk. 

In die Rocca haben die Einwohner früher Felsenkeller (canevino) geschlagen, die sie als eine Art natürlichen Kühlschrank benutzt haben. Salami, Speck, Käse, Sardinen, Olivenöl und Wein reiften und lagerten dort unter besten Bedingungen. Luca Brangian, umtriebiger Bauer und Gastronom, hat eine besonders schöne Grotte zur Eventlocation ausgebaut: Im Al Canevino kredenzt er all die regionalen Spezialitäten, aus eigener Erzeugung und in Bioqualität. „Lebensmittel mit einem besonderen, ursprünglichen Geschmack!“

Seine Trattoria Enoteca Al Graspo (www.graspo.it) im Zentrum von Garda ist Treffpunkt für Einheimische und Touristen – und fast jeden Abend ausgebucht. Dort gibt es kein Menü, der Koch entscheidet zusammen mit dem Gast, was auf den Tisch kommt. „Meistens Fisch aus dem Gardasee oder Meeresfrüchte“, sagt Luca Brangian. „Wir kochen Gerichte wie Hecht in Soße, Felchen, Miesmuscheln oder Spaghetti mit Sardinen. Die Pasta stellen wir aus alten Weizensorten her, die wir selbst anbauen. Der Wein kommt von unseren Weinbergen.“ Auch in seine traumhaft am Seeufer, zwischen Bardolino und Garda gelegene Bar Torre al Casello strömen die Besucher. Dort hat Luca einen alten Bahnhof zum Lokal umfunktioniert. 

Herrlich gottverlassen

Nur zu Fuß erreichbar ist Campo oberhalb von Brenzone, es besteht ausschließlich aus Rustici, den traditionell aus groben Natursteinen gebauten Häusern. Voll wird es hier am Ostermontag, dann marschieren Einheimische und Kenner hoch ins Dorf. Nach dem Gottesdienst in der kleinen mittelalterlichen Kirche San Pietro in Vincoli wird Wein und Sardinen-Pasta aufgetischt. Essen und Trinken ist für alle gratis, kleine Spenden sind obligatorisch. Im Sommer (voraussichtlich 8./9. Aug.)veranstaltet die Gemeinde in Campo die Magischen Nächte mit Open-Air-Konzerten (campobrenzone.it, brenzone.it).

Flüssiges Gold

Mönche waren es, die die Oliven an den Gardasee brachten; heute ist hier das nördlichste Olivenanbaugebiet der Welt. Fratelli Turri (www.turri.com) in Cavaion Veronese zählt zu den ältesten Ölmühlen in der Provinz Verona. 27 verschiedene, für den Gardasee typische Olivensorten baut die Eigentümerin Laura Turri an – alle liefern hervorragende Qualität. 100 kg Oliven braucht es, um etwa 16 Liter Öl zu produzieren. Kunden erkennen das Gardasee-Öl an der Auszeichnung Garda DOP, der italienischen Abkürzung für „Denominazione d’Origine Protetta“.