Biken im Reich der Fanes

Blick auf den 2563 m hohen Schlern mit Petz (links) und Burgstall (mitte), sowie Santner- und Euringerspitze
© Nicola Förg

Bei der „Sanon-Hütte“auf der Seiser Alm laden Liegestühle zum Verweilen und Bestaunen der Dolomiten ein.
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Kapelle auf den Pralongià-Wiesen
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Auf der Tour hat man die Berge immer im Blick.
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Skulptur bei Lino Brachs Baita
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Im Winter ist die Sella-Umrundung ein Muss im Skifahrerleben. Im Sommer wird sie mit E-Bike und Liftunterstützung zu einem legendären Erlebnis.
Nicola Förg (Bilder und Text)
„‚Spaghettino‘ ist ein Regenwurm. Noch ein ganz kleiner. Er ist aufgeregt. In einer Woche ist das Wiesenfest.“ „Spaghettino“ soll Kindern spielerisch die heimische Tierwelt erklären und das gleich neben dem Berggasthof „Pralongià“. Und was heißt hier Wiese! Es geht um die berühmten Pralongià-Wiesen, die im ladinischen Nationalepos vom Reich der Fanes eine gewaltige Rolle spielen. Im opulenten Ränkespiel um den gierigen Vater und die gute Königstochter Dolasilla verliert diese durch einen Trick ihre unfehlbaren Pfeile, und ihr weißer Panzer verfärbt sich schwarz. Die Weissagung der Zwerge war, dass ihr mit einem schwarzen Panzer der Tod bevorstünde. Sie sieht sich aber in der Pflicht zu kämpfen – und just auf den Pralongià-Wiesen kommt es zur Entscheidungsschlacht. Dolasilla stirbt, ihr verräterischer Vater wartet am Lagazuoi und erwartet von den Feinden eine Belohnung. Diese denken aber gar nicht daran, dem König das Gold zu geben, vielmehr verwandelt sich der „falsche König“ (falza rego) in Stein. Bis heute steht er erstarrt am Falzarego-Pass.
Es ist kein Wunder, dass der kleine, unbedeutende Mensch Sagen und Legenden spinnt, um eine solch gewaltige Natur zu begreifen. Es gibt höhere Berge im Erdenrund, aber keine, die so bezaubernd sind. Wenn die Pralongià-Wiesen wie Gold im Abendlicht glänzen, wenn die Berge über Alta Badia erröten, dann sieht man ein paar der Fanes-Leute über die Wiesen huschen – und das liegt nicht am Wein der „Pralongià-Hütte“!
Tierisches Bike-Vergnügen
Die Hütte ist das erste Etappenziel einer Tour, die tierisch auf der Seiser Alm begann. Beäugt von zwei jungen Alpakas vor dem „Alpenhotel Panorama“, soll es zum Duron-Pass gehen. Und schon nach einer halben Stunde Fahrzeit stürzt sich ein suizidales Murmeltier über den Weg und wäre fast in die Speichen geraten. Wenig später kreist der Adler über den Rosszähnen, eine blonde Haflingerdame blickt besorgt auf ihr Kind, das noch im Fohlenpelz steckt. Man kann sie beruhigen: Der kleine Hengst ist eindeutig zu groß als Beute für den „König der Lüfte“. Der Weg steigt in weiten Serpentinen hinauf zum Pass, an der „Mahlknecht-Hütte“ starten gerade einige Biker. Einer kann es nicht lassen zu rufen: „Ihr faulen Säcke!“ Um es also kurz zu machen und nur einmal zu sagen: Wer ein Pedelec oder ein E-Bike 25 fährt, der fährt Fahrrad und keine Schummelmaschine für Faulpelze oder Hundertjährige! Bergradeln geht leichter, aber nicht mühelos! Jeder E-Biker selbst kann entscheiden, wie viel Unterstützung er zuschaltet, und kein E-Bike fährt ohne Strampeln. Die einzige Antwort kann nur lauten: „Nur kein Neid!“
Und bergab sind die Schotterpassagen nicht ganz ohne, so wie die erste hinunter ins Val Duron. Das Tal zieht sich zwölf Kilometer von der Seiser Alm nach Campitello di Fassa, anmutig liegt es am Duron-Bach, Wiesen changieren in allen Schattierungen von Grün, wenige Wolken jagen übers Himmelblau und malen Flecken ins Anthrazit der Felsen. Ein paar Highland-Rinder kauen stoisch wieder, und genauso stoisch betreibt Lino Brach seine Baita (Almhütte). Und mit Humor, die schrägen Skulpturen zeigen seine Sicht der Welt: Aus einer Kanone wachsen die Kunstblumen …
Hohes Niveau am Berg und in der Hütte
Unten in Campitello ist es sommerwarm. An der Bergstation der Seilbahn Col Rodella kommt Bergkühle zurück und eine gewaltige Optik hinüber zum Sellastock. Einiges los in den bleichen Bergen, es scheint, als sei halb Italien unterwegs, denn Italo-Sommerurlaub heißt immer, dass die Familie mit Kind und Kegel, Oma, Opa und Fiffi unterwegs ist – weswegen in der Steinernen Stadt nun auch eine Pfadspur für Wanderer ausgewiesen ist und eine für Biker. Beide enden an der „Comici-Hütte“, der Langkofel blickt auf das bunte Lager- und Picknickleben auf den Wiesen vor der Hütte. Drinnen Gourmet-Küche, edle Weine und – ja man muss es erwähnen – eine neue stylische Toilettenanlage, die zu besichtigen, manche extra heraufgekommen sind. Es gibt eben viele Motivationen …
Ein schier endloser Wiesenweg talwärts, hinauf nach Col Alt und über jene Wiesen, die so wichtig waren im Fanes-Reich. Die „Pralongià-Hütte“ ist ein Ort für Genießer, die Zimmer stylisch wie in einem Berghotel, nix mit dem Brunnen vor dem Hüttentore, das ist Berg(er)leben auf höchstem Niveau. Am nächsten Morgen gibt die Sonne erneut alles, ein schneller Cappuccino im Hotel „Armentarola“ und weiter auf Nebenwegen nach Pedraces. Pedraces und St. Leonhard sind authentische Dörfer geblieben, die St.-Leonhard-Kirche zählt mit Recht zu den schönsten Kirchen Südtirols, und die Lage unterm Heiligkreuzkofel ist nun mal bilderbuchmäßig.
Ungeahnte Gaumenfreuden
Auf der „L’Tama-Hütte“ sitzt Andrea Irsara, der schnell mal hochgebikt ist – zum Ausgleich. Er muss gleich wieder weg, in seine heimische Küche im Hotel „Gran Ander“. Andrea kocht zum Niederknien genial, simpel und sexy. Seine „Stüa dla Lâ“ hat nur wenige Tische, die immer belegt sind. Seine Produkte sind regional, die Rezepte entlocken der ladinischen Küche ungeahnte Aromen. Im hausgemachten Brot nimmt er Vogelbeer statt Hefe. Andrea legt dem Gast Geschmackswelten zu Füßen, und seine Familie umsorgt die Gäste in einem der besten kleinen Hotels der Alpen.
Grad bleiben möchte man anderntags, aber der Piz La Ila ruft und eine schier endlose Abfahrt nach Corvara. Rauf aufs Grödner Joch und runter nach Wolkenstein. Das gesamte Tal durchzieht ein Radweg, der auf der ehemaligen Bahnstrecke verläuft. Die Grödner Bahn war eine 31 Kilometer lange Lokalbahn, die in Klausen startete. Ihre Spurweite war eine so genannte „bosnische“ mit 760 Millimetern und wurde 1915/16 als Heeresfeldbahn im Ersten Weltkrieg gebaut. Bis zu 10.000 Arbeitskräfte waren im Einsatz, 1960 wurde sie stillgelegt, weil das Auto seinen Siegeszug antrat. Heute nutzt sie den Bikern, bevor es auf die Seiser Alm zurückgeht.
Lunch auf der „Sanon-Hütte“, wo die Liegestühle bunt die Wiese übersprenkeln. Ein Zitronenfalter landet auf einer Blüte des Himmelsherold, ein paar Dohlen kreisen. „Spaghettino“ hätte seine Freude an seinen Wiesenfreunden …

In der Steinernen Stadt gibt es eine Pfadspur für Wanderer und eine für Biker, beide enden an der „Comici-Hütte“.
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Zum Lunch auf der „Sanon-Hütte“ gibt’s ein Brotzeitbrett und ein Glas Wein.
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Kühe säumen den Weg im Duron-Tal.
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