Alles Käse!

So unterschiedlich können Chevre-Lebensläufe sein: 1 Tag alter Ziegenkäse (Mitte), 5 Tage (vorne), 1 Monat trocken gereift (links), 3 Monate im feuchten „Keller“ (rechts).
© Christoph Weymann

Schafe am oberen Ende des Ossau-Tals
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Käsemuseum in der ehemaligen Dorfkäserei von Trépot
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Kaum befahrbar: der Rückweg von den Weiden von Marie-Jo und Guy Chambon
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Eine Tour de Fromage durch Frankreich, vom Jura bis zu den Pyrenäen
Christoph Weymann (Bilder und Text)
Unsere Idee, Frankreich auf den Spuren seiner Käse zu durchqueren, gefällt Claude Querry so gut, dass der Chef des Reifungskellers im Fort St. Antoine beim Lac de Saint-Point einen Comté-Laib aus dem Regal kippt und mit dem Bohr- und Klopfhämmerchen der Käsetester eine Skizze unserer Route in die Rinde ritzt. Die traditionellen Sorten verraten viel über die Geschichte und die Landschaften, aus denen sie kommen, bestätigt der Experte.
Große Laibe entstanden als Vorrat in höheren Lagen, wo im Winter nicht genügend Milch vorhanden war. Um einen solchen Hartkäse machen zu können, bekam im Jura früher jeder Bauer reihum auch die Milch seiner Nachbarn. So entstanden im 13. Jahrhundert erste Genossenschaften für landwirtschaftliche „Früchte“. In der modernen „Fruitière des Lacs“ ganz in der Nähe ist das vor allem der Comté. „Aus jedem Kessel schmeckt der Käse anders“, erklärt der Landwirt Jonathan Martin. Jahreszeit, Weideboden, Milchmischung und Reifungskeller lassen jeden Comté zu einer Überraschung werden, die mit einer von 83 Aromen, wie „fruchtig“ oder „geröstet“, umschrieben werden kann.
Der nächste Probierteller wartet im Süden des hügeligen Burgunds. In Chissey-lès-Mâcon bei Cluny betreiben junge Leute eine Ziegenkäserei mit Hofverkauf. Coralie Champenois zeigt uns, wie der joghurtähnliche Frischkäse bei feuchter Reifung zu Schimmelkäse oder bei Trockenlagerung zu einem salzig-trockenen Leckerbissen wird – und wie beide mit jedem Tag kleiner und aromatischer werden.
Die Rinde trügt
Zweihundert Kilometer südwestlich, in der Region Puy-de-Dôme mit ihren herrlichen Vulkanbergen, quetschen sich die alten Hotels des Kurstädtchens Saint-Nectaire in ein Tal aus eng aneinanderliegenden, bewaldeten Hügeln, überragt vom oberen Teil des Ortes mit der schönsten romanischen Kirche der Auvergne. Ein paar Kilometer außerhalb produziert die Familie der quirligen Bäuerin Pascale Chassard den beliebten Saint-Nectaire. Zum Reinbeißen sieht der im modernen, feuchten Betonkeller gereifte Käse mit dem grauen Schimmelpelz nicht gerade aus. Aber die fröhliche Pascale demonstriert im Hofladen, dass es sich lohnt, den wunderbar milden Käse samt der – nur leicht abgeschabten – Rinde zu essen, weil die den nussigen Geschmack verstärkt.
Das Hügelstädtchen Salers im südlicher gelegenen Cantalmassiv könnte mit seinen alten Häusern aus dunklem Vulkangestein den Schauplatz eines „Harry Potter“-Films abgeben. Die kompakten Laibe des fein säuerlichen Salers-Käses werden teilweise noch in Sennhütten (Buron) hergestellt. Die Weiden von Marie-Jo und Guy Chambon liegen oberhalb der schmalen, aussichtsreichen Passstraße Col de Neronne, in einer Gipfellandschaft aus offenen, kahlen Hügeln, die man bei einem Bilderrätsel irgendwo in den USA vermutet hätte. Die Chambons sind die Letzten, die auf ihrer Buron noch Salers-Kühe nutzen. Das ist aufwendig, weil die Tiere nur ihren Kälbern Milch geben wollen. Der Reihe nach werden die Jungtiere deshalb mit Namen aus einem Gatter gerufen, dürfen etwas trinken und werden dann der Mutterkuh ans Bein gebunden, während die Melkmaschine weitermacht.
Ein Land, randvoll mit Käse
Zwei Autostunden südwestlich liegt der winzige Pilgerort Rocamadour spektakulär am Rand einer Schlucht, die einst vom Wasser in das Kalksteinplateau des Naturparks Causses du Quercy gegraben wurde. Das Dorf ist kein Geheimtipp mehr, hat aber direkten Naturanschluss. Wer es ruhiger mag, muss nur ein paar hundert Meter weiter ins Alzou-Tal spazieren und hat bald das Gefühl, es ganz für sich zu haben.
Kulinarische Besonderheit der Region ist der kleine, flache Ziegenkäse Rocamadour, eine Variante des Cabecou. Schon als milder Frischkäse ist er eine leckere Angelegenheit, erst recht als cremig-würziger Weichkäse. Zu den besten bäuerlichen Produzenten zählt Alain Lacoste im Weiler Les Alix, den wir mit seiner Herde auf die Weide begleiten – und staunen, wie vorsichtig sich die kleinen Tiere mit den spitzen Hörnern im Gedränge verhalten.
Zu jedem französischen Roadmovie gehört der große Umweg für ein gutes Essen. Bei uns sind es dreihundert Kilometer zu den Pyrenäen, wo es festen Schafskäse gibt (Brebis). Im Ossau-Tal angekommen, stellt sich heraus, dass der bekannte Ossau-Iraty vor Ort nicht überall beliebt ist. Denn der weiße, milde Käse, der fast im Mund zergeht und von den Franzosen gerne mit Kirschmarmelade gegessen wird, ist meist ein Industrieprodukt. Außerdem werde der Käse im baskischen Iraty-Massiv ganz anders hergestellt als hier im Ossau-Tal, betont der Schafskäser Jean-Noël Castaing auf seinem Hof in Izeste.
Unstrittig ist, dass auf den Hochweiden der Pyrenäen schon seit 7000 Jahren Schäferei betrieben wird. Auch Castaing, dessen bäuerlicher Brebis schärfer und würziger schmeckt, hat seine Schafe am oberen Ende des Tals. Die Tiere grasen nur ein paar hundert Meter weg der spanischen Grenze, bewacht von weißen Herdenschutzhunden vor Bären und Wölfen.
Wohl wahr: Für seinen Käse geht dieses Land wirklich bis ans Limit!

Claude Querry beim Prüfen eines Comté-Laibes
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Frische St-Nectaires in der Käserei von Pascale Chassard
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Pascale Chassard beim Formen ihres St-Nectaires
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