Zwischen Stein und Wein

Schloss Neuenburg über dem Herzoglichen Weinberg in Freyburg
© Deutsches Weininstitut Mainz

Ruine der Klosterkirche im Kloster Memleben
© Andreas Stedtler

Bei der traditionellen, manuellen Weinlese werden die reifen Trauben von Hand abgeschnitten. Dabei kann der Winzer wahlweise nur die reifsten, gesunden und besten Trauben abschneiden, also „auslesen“.
© Torsten Biel
Sachsen-Anhalt – Entlang Saale und Unstrut erstreckt sich Deutschlands nördlichstes Qualitätsweinanbaugebiet. Schlösser, Burgen, Dome und Klöster aus dem Hochmittelalter säumen die „Straße der Romanik“.
Dagmar Krappe (Text)
„Unstrut-Essig“ wurde er einst genannt, der Wein aus Deutschlands nördlichstem Qualitätsweinanbaugebiet entlang des 51. Breitengrads. Zu Unrecht, denn an den Hängen von Saale und Unstrut scheint die Sonne rund 1600 Stunden im Jahr. Sachsen-Anhalt zählt zu den niederschlagsärmsten Bundesländern. Gute Voraussetzungen, dachten sich Volker und Sandra Frölich. Vor 20 Jahren gründeten die ehemalige „Deutsche Weinkönigin“ und der gelernte Landwirt ihr Weingut in Roßbach vor den Toren der Domstadt Naumburg. „In Bad Kreuznach an der Nahe habe ich mich zum Weinbautechniker ausbilden lassen und mir viel Wissen über Rebensaft in Rheinhessen und im Rheingau angeeignet“, erzählt Volker Frölich: „Meine Frau war damals in Mainz beim Deutschen Weininstitut tätig.“ Sie kehrten in die Heimat zurück und bewirtschaften heute einen von zirka 35 Haupterwerbswinzerbetrieben, die es in der Region gibt. Auf zehn Hektar Fläche bauen sie auf Muschelkalk- und Buntsandsteinböden überwiegend Weißweine an: „Unsere Hauptrebsorten sind Müller-Thurgau, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner und Riesling.“
Die Entwicklung des Weinbaus reicht bis ins Hochmittelalter zurück. Eine Zeit, in der entlang der beiden Flüsse viele Burgen, Schlösser, Klöster, Dome und Kirchen im romanischen Stil entstanden. Die „Straße der Romanik“ verbindet über 80 dieser Bauwerke. Da das Saale-Unstrut-Gebiet bestens durch ausgeschilderte Rad- und Wanderwege vernetzt ist, lassen sich diese Schätze leicht erkunden.
Von Ruinen zu Rotkäppchen
Am „Unstrut-Radweg“ stehen die Ruinen des Benediktinerklosters Memleben. „Dieser Ort ist eng mit der Herrschaft der Ottonen, einem sächsischen Adelsgeschlecht, verbunden“, erklärt Kunsthistorikerin Andrea Knopik. „Die Luidolfinger oder Ottonen herrschten 200 Jahre lang vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Mehrfach hielten sich König Heinrich I. und sein Sohn, Kaiser Otto der Große, in der einstigen Kaiserpfalz Memleben auf.“ Als Letzterer dort verstirbt, stiftet sein Sohn Otto II. ihm zu Ehren ein Benediktinerkloster. „Nach der Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts wurde es aufgelöst und als Getreidespeicher genutzt“, informiert Knopik. „Langsam verfiel es und wurde schließlich als Steinbruch freigegeben. Dass noch Reste einer Monumentalkirche aus dem 10. Jahrhundert und hinter dem Klostergarten die Ruine der fast 800 Jahre alten Marienkirche mit spätromanischer Krypta erhalten sind, ist dem Berliner Baumeister Karl Friedrich Schinkel zu verdanken.“ Er setzte sich bereits 1833 für die „Denkmalpflege“ in der damaligen preußischen Provinz Sachsen ein.
Hoch über der Unstrut und dem Winzerstädtchen Freyburg thront die gewaltige Neuenburg mit dem Bergfried „Dicker Wilhelm“. Der Thüringer Graf Ludwig der Springer ließ sie einige Jahre nach der
Eisenacher Wartburg errichten.
Immerhin auch schon mehr als 160 Jahre alt ist die Geschichte der „Rotkäppchen Sektkellerei“. „Ursprünglich vertrieben die Firmengründer ‚Kloss & Foerster‘ ihren Sekt unter dem Markennamen
‚Monopol‘“, berichtet Ilona Kaiser während einer Führung durch die alten Gemäuer. „Das gefiel Ende des 19. Jahrhunderts dem französischen Champag-nerhaus ‚Heidsieck & Co. Monopole‘ gar nicht. Es gewann den Rechtsstreit. ‚Kloss & Foerster‘ nannten ihr Hauptprodukt zukünftig ‚Rotkäppchen‘ – aufgrund des roten Flaschenverschlusses.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Sektkellerei ein „Volkseigener Betrieb“. Nach der Wende brach der Absatz ein. Den meisten Ostdeutschen stand nun der Sinn nach trendigen Westprodukten. Auch in den alten Bundesländern mit der Traditionsmarke Fuß zu fassen, erwies sich als schwierig. Zwölf Jahre später kam für die Firma die „Wende“ noch einmal: Längst gehören bekannte Schaumweinproduzenten an Rhein und Main zum Freyburger Unternehmen, das inzwischen führend auf dem deutschen Sektmarkt ist
Bahnfahrt mit der „Wilden Zicke“
Bunt gestrichene Weinberghäuschen klammern sich an die mit Trockenmauern terrassierten Steilhänge des Schweigenbergs. In ihnen bewahrten die Winzer früher ihr Handwerkszeug auf, und sie dienten als Schutzhütten für Arbeiter und Weinbergschützen, die Vögel aus den Rebstöcken verjagten.
Im Naumburger Blütengrund mündet die Unstrut in die Saale. Die einstige Trennung zwischen Domfreiheit und Bürgerstadt mit Marktplatz, Rathaus, Handelshäusern und der Stadtkirche St. Wenzel ist noch deutlich im Naumburger Stadtgrundriss zu erkennen. Eine über 125 Jahre alte Institution ist die Straßenbahn. „Zu DDR-Zeiten ein wichtiges Transportmittel für die Bevölkerung, landeten die Waggons 1991 auf dem Abstellgleis“, sagt Geschäftsführer Andreas Plehn. Schnell gründete sich eine Initiativgruppe „Rettet die Ringbahn“, heute die „Nahverkehrsfreunde Naumburg – Jena e.V.“ Inzwischen sind drei der einstigen fünfeinhalb Kilometer langen Trasse wieder befahrbar. Die „Wilde Zicke“ ist als Linie Nummer 4 täglich neben den Stadtbussen auf der Schiene. Der nächstgelegene Haltepunkt, um zum Dom St. Peter und Paul, der seit Juli 2018 auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste steht, zu gelangen, ist der Jägerplatz.
Die schönste Frau des Mittelalters
Das größtenteils vor 1250 errichtete Gotteshaus hat mit einem romanischen Kruzifix, zwei erhaltenen Lettnern, dem Domschatz und der Elisabethkapelle einiges mehr zu bieten als Uta, die schönste Frau des Mittelalters. „Doch die zwölf Stifterfiguren im Westchor sind einfach unser Besuchermagnet“, meint Holger Kunde, Direktor der Vereinigten Domstifter. „Naumburger Meister“ wird der unbekannte Künstler genannt, der das Figuren-ensemble schuf und so viel Leben in die steinernen Skulpturen meißelte. Alle zwölf Plastiken – wie Markgraf Ekkehard II. mit seiner etwas unnahbar wirkenden Gemahlin Uta von Ballenstedt oder Markgraf Hermann von Meißen und seine fröhliche Frau Reglindis – sind bis auf die Schilde aus denselben Sandsteinblöcken gefertigt.
„Der italienische Schriftsteller Umberto Eco antwortete auf die Frage, welche Frau aus der Geschichte er gerne einmal treffen würde, mit Uta von Naumburg“, erzählt Holger Kunde stolz. Bei einem edlen Tropfen Saale-Unstrut-Wein hätte die schöne Uta sicher nichts dagegen einzuwenden gehabt.

Als Mitstifterin des Naumburger Doms wurde Uta von Ballenstedt die Plastik „Uta von Naumburg“, eine von 12 Stifterfiguren, neben der Figur ihres Ehegatten, Ekkehard II. von Meißen, im Westchor des Doms gewidmet.
© Vereinigte Domstifter

Der Naumburger Dom St. Peter und Paul ist seit 2018 UNESCO-Weltkulturerbe.
© Fotolia/kentauros

Die „Wilde Zicke“ ist in Naumburg als Linie 4 täglich auf der Schiene.
© Dagmar Krappe