Dresden, Parole Emil!

Die Dresdner Altstadt mit Frauenkirche bei Sonnenuntergang
© DML/Tomy Heyduck

Grünanlagen im Innenhof des Dresdner Zwingers
© Uwe-Jens Schumann

Die drei Elbschlösser am Dresdner Elbhang, hier Lingnerschloss, lassen sich bei einer Schifffahrt auf der Elbe bestaunen.
© Uwe-Jens Schumann
Auf Erich Kästners Spuren unterwegs in Elb-Florenz
Uwe-Jens Schumann (Text und Bilder)
Wer sich in Dresden auf die Fährte des buchstäblich berühmten E.K. setzt, der muss sich nach ausgiebiger Besichtigung aus der Glanz-Kulisse von Zwinger (in dessen Gemäldegalerie Kästner 1967 zu einer letzten Lesung kam) und Schloss, Frauenkirche und Semper-Oper in der Altstadt lösen und über eine der Elbbrücken in die Neustadt spazieren. Dorthin, wo man noch die „gepfläächte Sprache“ der Sachsen kultiviert, jawoll, mei Gudsder. Wo man einst werktätig strebender Bürgerlichkeit begegnete, da geht es heute eher sehr jung zu, schnell, betriebsam, vergnügungsorientiert. In den kerzengerade verlaufenden Hauptstraßen, ratternd durchrumpelt von den Straßenbahn-Linien 7 und 8, schmücken sich nun die selbstbewussten Stadtindianer von links und rechts mit ähnlichen Tatoo-Garnituren, wie sie sie gerne großformatig auch ihren Hausfassaden verpassen. Erst abseits davon atmen die Wohnviertel mehr Ruhe und Gelassenheit aus.
Unterm Dach geboren
Die Fassade des Hauses Königsbrücker Straße 66, wo am 23. Februar 1899 in der Mansardenwohnung „Unterm Dach, juchhe“ der Knabe Erich als einziges Kind der Friseuse Ida und des Sattlers Emil Kästner zur Welt kommen wollte, zeigt sich weitgehend unbeschmiert – so, als hätte die schlampig eingegipste Tafel neben dem Eingang, die auf die frühe Gegenwart des Autors hinweist, Respekt eingeflößt. Eine Vermutung, die sich dann bei den „Königsbrücker“-Nummern 48 und 38, ebenfalls Häuser seiner Kindheit, als zumindest trügerisch erweist.
Kästner: „Geboren wurde ich in einer vierten Etage. In der 48 wohnten wir „ Ich bin ein Deutscher aus Dresden im dritten und in der 38 im zweiten Stock. Wir zogen tiefer, weil es mit uns bergauf ging. Wir näherten uns den Häusern mit den Vorgärten, ohne sie zu erreichen.“ O-Ton aus der Zeit, als Erich Kästner „noch ein kleiner Junge war“. Da war die Anton-Stadt, wie sie damals hieß, noch von höchstmajestätischem Reiz. Der vom jungen, strebsamen Bürgerschüler Erich verehrte König Friedrich August III. hatte am nahen Alaunplatz seine Garde-reiter- und Grenadierkasernen strammstehen lassen. Wo die Majestät mit Tschingderassasa die Paraden abnahm, suchen heute bei Einbruch der Dunkelheit Pärchen übers Rasengrün nach einem Paravent aus Sträuchern.
„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. Mich lässt die Heimat nicht fort. Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen – wenn's sein muss, in Deutschland verdorrt.“
Erich Kästner
Wer sich kein Detail aus den knapp 20 Dresdner Jahren des E.K. entgehen lassen will, hält sich am besten nahe beim Stadtführer Matthias Stresow. Dem versierten Kästner-Kenner sprudeln die K.-Schnurren nur so über die Lippen. In der Bäckerei „Wirth“ (heute „Rißmann“, Königsbrücker/Ecke Katharinenstr.) wird noch die „Eierschecke zu 1.30“ als „Kästners Lieblingsstück“ angeboten: Blechkuchen aus Hefeteig mit einem Belag, meist eine Quark-Vanille-Mischung. Im „Turnverein Antonstadt“ (Alaunstr. 39/40) schlug Jung-Erich beachtliche Flickflacks. Im eleganten Blumenhaus „Stammnitz“ (Louisenstr. 21) erstand K. des Öfteren für das „geliebte Muttchen“ ein Sträußchen. Frau Stammnitz ließ sich von Ida in der Kästnerschen Wohnung stets die Haare ondulieren. Und im Hechtviertel – laut Stresow: „… eine ziemlich linke Gegend“ – haben Kästners reiche Onkel Franz und Paul Augustin übern Dammweg ihre Rösser zum Pferdehandel trappeln lassen. Die Ställe existieren noch im Hinterhof der Hechtstr. 29.
Vorbilder für viele Figuren stammen aus dem wahren Leben
Wir können jetzt noch zeilenlang im Kästner-Quartier so weitermachen: in der Wirtschaft „Sibyllenort“, wo der Musterknabe Erich für Mutter Ida einen Krug Bier holte – heute ein Vietnam-Imbiss. In der Dreikönigskirche, deren Spitze den Luftraum über der Neustadt beherrscht, wo der blond gelockte E.K. getauft und konfirmiert wurde. Und vom Fletscherschen Lehrseminar (Marienallee 5), wo der Student zum Lehramt vorbereitet wurde, ist nach all den Zeitenwenden und der Dresdner Bombennächte vom 13. und 14. Februar 1945 lediglich die Turnhalle übrig geblieben.
Doch die besondere Statik erhält dieses Fährtenlesen von Kästners Dresdner Spuren durch die Anekdoten und zugespitzten Gerüchte, die sich hier um den Autor E.K., Moralist und Spötter, ranken – auch wenn von ihm, der 40 Bücher in 65 Sprachen veröffentlichte, zu jener Zeit noch nicht einmal ein kleines Gedicht verlegt wurde. Doch Orte und Protagonisten der damaligen Tage haben reichlich Einzug in seine Werke gefunden. Da war die Cousine Dora, die später Vorbild für „Emils“ „Pony Hütchen“ wurde, so wie sein Freund Gustav Kießling, der dem „Gustav mit der Hupe“ Sprüche und Konturen gab. Im Hechtviertel jagte der achtjährige Erich einmal einer Betrügerin nach, die Muttchen K. Geld schuldig bleiben wollte – die Grund-idee für „Emil und die Detektive“. Was E.K. erlebte, als er ohne Erlaubnis das Internat verließ, um die gemütskranke Mutter in der Klinik zu besuchen, schlägt sich im „Fliegenden Klassenzimmer“ nieder. Nicht selten stieg Erich nächtens panisch in seine Kleider, um zur nahen Elbbrücke zu laufen – er hatte Angst, seine Mutter würde sich in die Fluten stürzen.
„Ich fand … die hastig bekritzelten Zettel … 'Ich kann nicht mehr' stand darauf, … 'sucht mich nicht'“
Erich Kästner
E.K. hat seiner Heimatstadt Dresden mit dem Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ ein würdiges Gedenken geschrieben, die Stadt hat sich 1987 an der Ecke Alaunstr./Bautzner Str. mit einem Kästner-Denkmal bedankt. Ein fast mannshoher Bronzeguss aus 40 Kästner-Büchern, seinem obligaten Hut, einer Kaffeetasse und einem Whiskyglas – o, ja! Doch das eigentliche „Denkmal“ für den Autor steht rechter Hand schräg gegenüber am Albertplatz, das kleine, besonders feine Erich Kästner Museum. Genau dort, wo einst die Onkel Augustin eine vornehme Villa bauten. Ein Guck- und Schmöker-Paradies. Und auf der Mauer, wo Jung-Erich einst stundenlang die Pferdedroschken und erste Straßenbahnen beobachtete, sitzt heute wieder einer, der Seele und Beine baumeln lässt: Jung-Erich, gusseisern. Also, dann wie in „Emil und die Detektive“: Parole Emil!

Blick vom Dresdner Zwinger auf das Residenzschloss
© DML/ddpix.de

Hauptschiff der Katholischen Hofkirche
© Frauke Helmers