Bauhaus

Neue Meisterhäuser Dessau (Haus Gropius und Meisterhaus Moholy-Nagy), Bruno Fioretti Marquez Architekten (Berlin)
© Yvonne Tenschert, 2015, Stiftung Bauhaus Dessau

Heutzutage können Besucher des Bauhauses Dessau in den Zimmern des Ateliergebäudes nächtigen.
© Stiftung Bauhaus Dessau/Foto Willmington-Lu, Yakob Israel, 2018

Frauen am Bauhaus trugen auch schon Hosen und kurze Haare, hier mit Marcel Breuer (li.) 1926.
© Stiftung Bauhaus Dessau (Besitz Scan)/© (Consemüller, Erich) Consemüller, Stephan

Ausflugsgaststätte „Kornhaus“ von Carl Fieger (1929/30), an der Elbe im Dessau-Roßlauer Stadtteil Ziebigk
© Doreen Ritzau, 2008, Stiftung Bauhaus Dessau
Lässt sich Gerechtigkeit für alle gestalten? Können Kunst und Architektur den Menschen aus seinen Zwängen erlösen? Am Bauhaus wurden in den 1920er Jahren alle Konventionen über Bord geworfen, um mit Idealen und Gemeinschaftsgeist eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Gabriela Beck (Text)
Bauhaus-Gründer Walter Gropius und seine Mitstreiter hätten eigentlich allen Grund gehabt, verzagt zu sein, als sie am 12. April 1919 in Weimar ihre Arbeit am Bauhaus aufnahmen. Ein Krieg lag gerade hinter ihnen, es herrschten Mangel und Verzweiflung und Ungewissheit. Doch inmitten dieser aus den Fugen geratenen Welt sahen sie eine Chance auf einen Neuanfang. Gemeinsam wollten Künstler und Handwerker, Maler, Architekten, Grafiker und Produktdesigner zu einer neuen Formgebung gelangen, um damit die Gesellschaft zu verändern. Mit diesem transdisziplinären Ansatz sollte das Bauhaus zur bedeutendsten Kunst- und Architekturschule des 20. Jahrhunderts werden, deren Vermächtnis sich bis heute auswirkt und deren Ideale aktueller sind denn je – in unserer Zeit der Globalisierung und Verunsicherung, in der sich die Leute zunehmend gegen alles abschotten, was fremd und unverständlich erscheint.
Eine Schule mit Streitkultur
Gropius war es gelungen, für die Lehre am Bauhaus einige prominente Künstler zu gewinnen: Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger, Josef Albers, Georg Muche und Johannes Itten, später auch László Moholy-Nagy – allesamt selbstbewusste, zum Teil auch eigenbrötlerische Persönlichkeiten, die sich auf das Experiment Bauhaus einlassen wollten. Und sich über praktisch nichts einig waren. So berichtete Josef Albers mit einigem Stolz: „Wenn Wassily Kandinsky ja sagte, sagte ich nein, und wenn er nein sagte, sagte ich ja.“ Es herrschte, schrieb Oskar Schlemmer 1923, ein „Kampf der Geister wie vielleicht nirgends sonst, eine dauernde Unruhe, die den Einzelnen fast täglich zwingt, zu tiefgehenden Problemen grundsätzlich Stellung zu nehmen. Je nach dem Temperament des Einzelnen leidet er unter dieser Vielfalt, oder sie ist ihm höchster Genuss, zersplittert ihn oder festigt ihn in seinen Anschauungen.“
Mit dem Schweizer Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe als weiteren Direktor wurde die Institution bis zu ihrer Schließung im Jahr 1933 von drei Architekten der Avant-garde geleitet, die ihre jeweiligen Anschauungen durchzusetzen wussten. Gropius forderte in seinem Bauhaus-Manifest 1919 das Zusammenspiel von Kunst und Handwerk. Ziel der Ausbildung war ein „Einheitskunstwerk“. Später nahm er eine pragmatisch-funktionale Haltung ein. Die Reduktion auf Grundformen und -farben und die Ästhetisierung der Geometrie wurden zur Leitlinie. Oskar Schlemmer, der selbst eine andere Farb-Form-Verknüpfung präferierte, sagte dazu ironisch: „Es wurde beschlossen, dass Gelb für Dreieck, Blau für Kreis und Rot für Quadrat die entsprechende elementare Farbe sei, und zwar ein für alle mal.“ Und der Berliner Kunstkritiker Paul Westheim schrieb im renommierten Kunstblatt: „Drei Tage am Bauhaus und man kann auf Lebenszeit kein Quadrat mehr sehen.“ Inspiriert von Le Corbusiers funktional konzipierten „Wohnmaschinen“ entwickelte Gropius schließlich ein variables Baukastensystem für das serielle Bauen. Hannes Meyer rückte ab 1928 sozialbewusstes Bauen für das Kollektiv in den Fokus. Nach dem Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ ging es ihm um strikt rational-materialistisch gestaltete Produkte und Bauten, die für alle erschwinglich sein sollten. Dazu musste seiner Meinung nach jede Form von Kunst und Komposition durch Konstruktion und Funktionalität ersetzt werden. Er postulierte eine radikal antibürgerliche Wohnform: „Gemütlichkeit und Repräsentation sind keine Leitmotive des Wohnungsbaus. Das erste hängt am Menschenherzen und nicht an der Zimmerwand, das zweite prägt die Haltung des Gastgebers und nicht sein Perserteppich!“

Bauhausgebäude Dessau, Walter Gropius 1925/26, Südansicht
© Christin Irrgang, 2011, Stiftung Bauhaus Dessau

Dessau Bauhausköpfe, Studenten der Bauabteilung auf dem Balkon des Ateliergebäudes, 1931/1932
© Stiftung Bauhaus Dessau
Leben, Handwerk und Kunst
Mit einer gegensätzlichen Vorstellung von Architektur als Baukunst übernahm Ludwig Mies van der Rohe 1930 die Leitung des Bauhauses: Die Aufgabe eines Entwurfs sei es, die Möglichkeiten der Technik dazu einzusetzen, um mit den geistig-schöpferischen Kräften eine „neue Ordnung“ zu bauen. Die Studenten streikten und wurden von Mies persönlich einer „Neuaufnahme“ unterzogen. Über vier Semester führte er das Bauhaus daraufhin in Richtung einer kleinen, elitären Architekturakademie.
Trotz aller Veränderungen und Neuausrichtungen, die seine Direktoren dem Bauhaus in seiner knapp 14-jährigen Geschichte verordneten, blieb das Ziel stets Leben, Handwerk und Kunst zusammenzuführen zu einer Art Versuchslabor für das Wohnen der Zukunft. Das Wissen wurde nicht mehr von Professoren an Studenten vermittelt, sondern von Meis-tern in Werkstätten an Lehrlinge. Der Unterricht beschränkte sich nicht nur auf Komposition und Konstruktion, die umfassende Ausbildung bezog auch Ernährungsregeln und morgendliche Turnübungen mit ein. Die Bauhäusler fielen damit ein wenig aus dem bürgerlich geprägten Rahmen ihrer Zeit. Vor allem die Freikörperübungen im Weimarer Ilmpark und die Umzüge, in denen Studenten verkleidet durch die Straßen zogen, wurden von der Bevölkerung mit Skepsis beobachtet. „Wenn du nicht artig bist, kommst du ins Bauhaus!“, mahnten Eltern ihre ungezogenen Kinder seinerzeit.
Der Schweizer Maler und Kunsttheoretiker Johannes Itten, der mehrere Werkstätten leitete, ging so weit, eine Gemeinschaft „Neuer Menschen“ schaffen zu wollen. Im Sommer 1920 besuchte er in Leipzig einen Mazdaznan-Kongress und versuchte anschließend, die theosophisch grundierte indische Heilslehre am Bauhaus zu etablieren. Er entwarf Kleidung in der Art einer Mönchskutte, rasierte sich kahl und erreichte, dass die Bauhaus-Kantine nach Mazdaznan-Vorschriften kochte. Seine Schüler bildeten bald eine sektenartige Gruppierung, die sich zu Übungen, Gottesdiensten und gemeinsamen Mahlzeiten traf. Gropius ließ ihn anfangs gewähren. Schließlich hatte er Itten aus Wien geholt, um dem Bauhaus einen starken Reformschub zu verschaffen. Doch über die Art der Werkstattarbeit kam es zum Bruch. Gropius wollte „Laboratorien“ etablieren, die vervielfältigungsreife Prototypen entwarfen und an die Industrie verkauften, um damit finanzielle Unterstützung für das knappe Bauhaus-Budget einzubringen. Itten lehnte Auftragsarbeiten kategorisch ab. 1923 verließ er das Bauhaus.

Ludwig Mies van der Rohe
© Bauhaus-Archiv Berlin

Hannes Meyer
© Bauhaus-Archiv Berlin

Walter Gropius
© Bauhaus-Archiv Berlin/Louis Held
Ein „Baukasten im Großen“
1925 lockte die Stadt Dessau Bauhaus-Direktor Walter Gropius mit einem großzügigen Grundstück für die Schule und der Möglichkeit, weitere Häuser zu bauen. Da er die Ansicht vertrat, dass „gesunde gut belichtete Arbeitsplätze die Leistung steigern“, ließ er das Bauhausgebäude mit einer neuartigen vorgehängten Glasfassade errichten. Das zugehörige Ateliergebäude war eines der ersten Studentenwohnheime Deutschlands – ganz modern mit warmem Wasser ausgestattet. Parallel dazu entstanden, ebenfalls nach den Entwürfen von Gropius, ein Direktorenhaus und drei Doppelhäuser – die Meisterhäuser. Hier wohnten Feininger/Moholy-Nagy, Kandinsky/Klee, Muche/Schlemmer mit ihren Familien Wand an Wand. Die Siedlung diente als Schaufenster moderner Haushaltsführung: In einem Lehrfilm führt Gropius’ Frau Ise die „topmoderne“ Einrichtung des Direktorenhauses vor – von den Einbauschränken über schwenkbaren Leuchten bis zum Wischmopp. In der Siedlung Dessau-Törten wiederum experimentierte Gropius mit Fertigbauteilen. „Haus Anton“ ist das einzige der 314 als Eigenheime konzipierten Reihenhäuser, das weitgehend im Originalzustand erhalten ist.
So entstand in Dessau eine faszinierende Typologie modernen Bauens, von Gropius „Baukasten im Großen“ genannt. Mehr als 100.000 Besucher aus aller Welt reisen heute jedes Jahr zu den Ikonen der Moderne nach Dessau. Im Jubiläumsjahr 2019 werden es wohl noch deutlich mehr werden.
Heute ist das Bauhaus Synonym für sachliche Gestaltung, für funktionales Produktdesign sowie ganz generell für moderne Architektur. Wer nach der Bedeutung des Bauhauses für die Architektur von heute fragt, findet weit gestreute Antworten – mal wird es als Bekenntnis zum Flachdach oder einer kubischen Architektur verkürzt, mal bezeichnet es einen Einrichtungsstil, mal muss es gar als Verkaufslabel für Immobilien herhalten. Dabei schrieb Gropius schon 1930: „Das Ziel des Bauhauses ist eben kein ‚Stil‘, kein System, Dogma oder Kanon, kein Rezept und keine Mode! Es wird lebendig sein, solange es nicht an der Form hängt.“ Das Bauhaus war ein Ort für verschiedenste Ideen – und vor allem die lebhafte Auseinandersetzung darüber.
Es hat in ganz Deutschland Spuren hinterlassen: in den drei Bauhausorten Weimar, Dessau und Berlin bis hin zu exemplarischen Bauten über das ganze Land verteilt, allen voran die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Sie wurde 1927 vom Deutschen Werkbund unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe von führenden Vertretern des Neuen Bauens errichtet, u.a. Le Corbusier, Mart Stam, Hans Scharoun und Peter Behrens. Nur knapp vier Monate benötigten sie für den Bau von 33 kubischen Flachdachhäusern, teilweise unter Verwendung experimenteller Materialien. Die meiste Aufmerksamkeit erreichte Le Corbusier. In seinem Doppelhaus lässt sich nach dem Vorbild eines Zugabteils das Wohnzimmer durch Schiebewände und Schiebebetten in mehrere Schlafzimmer umwandeln.
Von Deutschland in die Welt
Das Bauhaus, aus politischen Gründen erst aus Weimar nach Dessau, dann aus Dessau nach Berlin vertrieben, die Bauhäusler schließlich von NS-Schergen ins Exil gezwungen, wäre ohne die Verbannung seiner Protagonisten niemals zum Mythos geworden. Doch so haben Lehrer und Schüler die Bauhaus-Ideen insbesondere nach Israel und Russland getragen. Gropius und der spätere Direktor Ludwig Mies van der Rohe emigrierten in die USA, wo sie der kleinen Kunstschule mit ihren insgesamt gerade mal 1250 Schülern zu internationaler Reputation verhalfen. Heute zählt das Bauhaus in vielen Ländern zum historischen Kulturerbe. Es hat die „Weiße Moderne“ in Tel Aviv beflügelt und die Hochhausarchitektur in Chicago. Aus einem Experiment der Avantgarde wurde ein internationales Leitbild.
Würde das Bauhaus heute gegründet, es stellte ähnliche Fragen wie einst, aber auf andere Weise – vielleicht so: Wie lässt sich Heimatkultur mit Globalisierung vereinen? Wie das Individuelle mit der Standardisierung? Wie der Wohlstand des Einzelnen mit dem Gleichgewicht der Erde?