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Reportagen

Die Freiluftkünstler von Skagen

Der Graue Leuchtturm (Det Grå Fyr) von 1885 ​auf der Landzunge Grenen war schon in Betrieb, als die Skagen-Maler hier weilten.

Der Graue Leuchtturm (Det Grå Fyr) von 1885 ​auf der Landzunge Grenen war schon in Betrieb, als die Skagen-Maler hier weilten.

© Adobe Stock/Ricardo

Atelier im Museum Anchers Hus

Atelier im Museum Anchers Hus. Die Künstler Michael und Anna Ancher kauften das Haus im Markvej 1884. Nach dem Tod ihrer Tochter Helga im Jahr 1964 wurde das Haus mitsamt der Gemälde restauriert und 1967 als Museum wiedereröffnet.

© Dagmar Krappe

An der Landzuge Grenen treffen Nord- und Ostseewellen aufeinander.

An der Landzuge Grenen treffen Nord- und Ostseewellen aufeinander.

© Dagmar Krappe

Zwischen 1870 und 1935 machten Maler die abgelegene Nordspitze Dänemarks berühmt. Sie begründeten eine Künstlerkolonie und ein Museum.

Dagmar Krappe (Text und Bilder) 

Grenen heißt die schmale Landzunge am nördlichsten Zipfel Jütlands. Hier schwappen die Wellen von Skagerrak und Kattegat zusammen. Das sieht und spürt man, wenn man mit einem Bein in der Nordsee und mit dem anderen in der Ostsee steht. Dass die Gegend zwischen zwei Meeren ein magischer Ort ist, empfand auch eine Gruppe junger Maler, die ab den 1870er Jahren viele Sommer im beschaulichen Skagen und an den feinen Sandstränden verbrachte.

Inspirierende Motive unter weitem Himmel

„Bis Mitte des 19. Jahrhunderts kamen nur wenige Künstler in die abgelegene Region“, sagt Niels Bünemann vom Skagens Museum: „Wer keinen konkreten Anlass hatte, sich diesem unwirtlichen Landstrich zu nähern, der ließ es.“ 

Das änderte sich, als ab 1870 die Eisenbahn immerhin bis ins 40 Kilometer südlich gelegene Fredrikshavn fuhr. Der Bornholmer Michael Ancher reiste als einer der Ersten auf Einladung seines Studienkollegen Karl Madsen ans äußerste Ende Dänemarks. Beide waren an der Kunstakademie Kopenhagen aus-gebildet und hatten irgendwann den realitätsfernen Stil, wunderschöne Menschen in perfekter Umgebung zu malen, satt. Unter dem weiten Himmel suchten sie inspirierende Motive.

Wenn Künstler nach Skagen kamen, dann logierten sie im „Brøndums Gård“, dem einzigen Gasthof der Siedlung, den Erik und Ane Hedvig Brøndum betrieben. Schon seit seinem ersten Aufenthalt verband Michael Ancher eine enge Freundschaft mit der Tochter der Wirtsleute, der damals 14-jährigen Anna. Karl Madsen gab ihr Zeichenunterricht. Schließlich durfte sie sich an einer privaten Malschule für Frauen in Kopenhagen einschreiben. Sehr außergewöhnlich zur dama-ligen Zeit. Mit 21 heiratete sie den zehn Jahre älteren Michael Ancher. Das Traumpaar der Kunstszene ließ sich in Skagen nieder.

Die jungen Maler interessierten sich für die ärmere Bevölkerung, für Fischer und Kleinbauern. Fischerei war schon immer der Lebensnerv Skagens. Heute verfügt die 8000-Einwohner-Stadt über den größten Fischereihafen des Landes. „Potenzielle Kunden waren zunächst entsetzt, als man ihnen Gemälde mit armen Menschen in Alltagssituationen präsentierte“, berichtet Niels Bünemann: „Natürlich wussten sie, dass diese existierten, aber sie wollten sie nicht noch auf der Leinwand sehen.“ Anfang der 1880er Jahre gesellte sich der in Norwegen geborene und in Kopenhagen aufgewachsene Peder Severin Kroyer hinzu. Besonders ihm ist es zu verdanken, dass die Skagen-Maler bekannter wurden.

Wie aus einem Speisesaal ein Museum wurde

Als 1890 die Eisenbahn von Fredrikshavn nach Skagen verlängert wurde, setzte der Sommertourismus ein. Annas Bruder Degn Brøndum ließ den Gasthof erweitern. Von da an hieß er „Brøndums Hotel“, das es trotz einiger verheerender Brände immer noch gibt. Nun war Platz für einen größeren Speise-saal. Die dunkle Wandvertäfelung bestückte man mit Bildern und Porträts, die der Wirt über die Jahre von unterschiedlichen Malern geschenkt bekommen hatte. Mancher bezahlte seine Zeche eben mit Kunst. Hier aß, diskutierte, stritt man und in-spirierte sich gegenseitig. Und hier gründeten Michael Ancher, P.S. Kroyer, Laurits Tuxen und Degn Brøndum 1908 das Skagens Museum. Jahrzehnte später wurde der Speisesaal ins Mu-seum überführt, das 2016 noch einen modernen Anbau erhielt, um mehr Platz für die etwa 9000 Kunstwerke zu haben.

Eines der bekanntesten Motive von P.S. Kroyer ist ein „Sommerabend am Skagener Sønderstrand“ von 1893. Es zeigt seine Frau Marie und Anna Ancher beim Strandspaziergang. „Dieses Bild wurde 1978 auf einer Auktion angeboten. Geschätzter Wert damals 175.000 Dänische Kronen (ca. 24.000 Euro)“, erzählt Niels Bünemann: „Der Zeitungsverleger Axel Springer ersteigerte es für 520.000 Kronen (ca. 70.000 Euro). Was er nicht wusste, auch das Skagens Museum hatte mitgeboten, konnte jedoch nicht mithalten.“ Als Springer davon erfuhr, entschied er, das Gemälde dem Museum zu schenken, sich aber zunächst 20 Jahre lang selbst daran zu erfreuen. Die Freude währte nur sieben Jahre. 1985 verstarb er, und seine Witwe übergab das Bild dem Museum.

Nach Skagen kehrt man immer wieder gern zurück 

Unweit des Gebäudekomplexes thront ein ausgedienter roter Wasserturm. Heute genießt man vom Dach einen Rundumblick über die Stadt bis zum Grauen Leuchtturm auf der Landzunge Grenen, der schon in Betrieb war, als die Maler hier weilten. Auch die Skagen-Kirche als Nachfolgebau der versandeten Sankt-Laurentii-Kirche, deren Turm seit Jahrhunderten als Denkmal aus den Dünen ragt, gab es schon, ebenso das schmucke neoklassizistische Bahnhofsgebäude. Es ist ockergelb gestrichen, hat ein leuchtend rotes Ziegeldach und strahlt Wärme aus wie die meisten Häuser in Skagen.

1935 starb Anna Ancher. Danach löste sich die Künstler-gemeinschaft auf. Ihre Tochter Helga, die ebenfalls Malerin wurde, lebte hin und wieder im Elternhaus im Markvej, wenn sie aus Kopenhagen zu Besuch kam. Drei Jahre nach ihrem Tod wurde es 1967 zum Museum Anchers Hus. Am langen Esstisch bewirteten die Anchers ihre Künstlerfreunde. Sie wür-den sicherlich gerne weiterhin kommen. Denn wie formulierte es einst Malerkollege Christian Krohg: „Es gibt die Regel, dass man nicht an einen Ort zurückkehren soll, an dem man sich gut gefühlt hat. Man wird enttäuscht, da man entweder sich selbst oder der Ort sich verändert hat. Doch es gibt einen Ort, an dem diese Regel nicht gilt. Das ist Skagen.“