Auf den Geschmack gekommen

Restaurant „Nami Namaste“ auf der Insel Muhu
© Joachim Chwaszcz

Sikke und Albert vom Restaurant „Nami Namaste“ auf der Insel Muhu
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Schloss Katharinenthal in Tallinn
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Russische „Pelmenis“ ähneln den schwäbischen Maultaschen.
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Leuchtturm von Sörve auf der Insel Saarema
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Deftige Brotzeit im „Põhjaka Manor“, einem Landgasthof zwischen Tallinn und Tartu
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Estland und Lettland locken mit historischen Sehens-würdigkeiten und einer ausgezeichneten jungen und frischen Küche. Eine Tour zwischen Tallinn und Riga wird so zur genussreichen Entdeckertour.
Joachim Chwaszcza (Bilder und Text)
Kann man hoch im Norden, weit entfernt von Italien und Frankreich, überhaupt eine aufstrebende und dynamische Feinschmeckerregion erwarten? Man kann! Entlang der Ostseeküste reihen sich in Estland und Lettland feine Adressen. Mit hoher Qualität, ausgezeichneten Kombinationen und einer charmanten, ungezwungenen Art, die Gerichte selbstbewusst zu präsentieren.
Tallinn – Gourmetmetropole mit Pfiff
Tallinn, das baltisch-deutsche Reval, liegt am Finnischen Meerbusen. Die meisten Besucher kommen wegen des mittelalterlichen Stadtbildes. Nur wenige Städte im nördlichen Europa haben es über die Wirren der Jahrhunderte geschafft, ihr mittelalterliches Erscheinungsbild so zu erhalten. Kopfsteingepflastert lockt die Altstadt mit zahlreichen Cafés und Geschäften und historischen Bauwerken wie dem dicken Verteidigungsturm Kiek in de Kök aus dem 15. Jahrhundert. Der Rathausplatz Tallinns wird von dem im 13. Jahrhundert errichteten gotischen Rathaus dominiert. Kirchen und alte Giebel- und Gildehäuser zeigen frühen Reichtum. Nur wenige Minuten Luftlinie entfernt prunkt Schloss Katharinenthal, von Peter dem Großen für Katharina I. im damals russischen Tallinn erbaut. Es gibt genug zu sehen, und schon beim ersten Bummel durch die Stadt fällt auf: In Tallinn liebt man Restaurants, Cafés, Weinstuben, Bierkneipen.
Der „White Guide Nordic“ ist so etwas wie der „Guide Michelin“ des Nordens. Er vergibt jährlich das Ranking der besten Restaurants Nordeuropas. Im Vergleich zum Vorjahr hat das Baltikum einen Quantensprung gemacht: Waren es im letzten Jahr nur 60 ausgezeichnete Res-taurants im gesamten Baltikum, so sind es in diesem Jahr bereits 114 allein aus Estland. Vier Res-taurants in Tallinn haben es in die Top 10 geschafft. Wie schon fast immer das „NOA Chef’s Hall“ von Tõnis Siigur, das temporäre „Alexander Chef‘s Table“ (eine Initiative des Luxus-Resorts „Pädaste Manor“ auf der Insel Muhu mit dem Stammrestaurant „Alexander“), das „Gourmet Coffe Restoran Juur“ und das junge Team des „Restoran Ö“.
Die Spitzenreiter haben ihren Preis und setzen hohe Vorgaben. Viele ambitionierte Restaurants folgen mit erfreulichem preislichem Abstand auf sehr hohem Niveau. Ein Beispiel dafür ist das Res-taurant „CRU“, immerhin die Nummer 17 im „White Guide“, mitten in Tallinns vielbesuchter Altstadt. Ein Drei-Gänge-Menü ab 35 Euro – das ist mehr als reell. Kombiniert mit heimischen Produkten bester Qualität.
Nicht nur Pilze, Beeren oder Wild, sondern eben auch Gemüse und Obst, manchmal sogar vegan. Begleitet von überraschenden Weinkarten, wird eine Küche kredenzt, die sich oft vielseitiger und kosmopolitischer präsentiert, als man es vom hohen Norden erwarten mag. Liegt es an der Region, der alten Tradition der Hanse, sich dem Fremden zuzuwenden, oder an der Kreativität der Jungen? Erfrischend ist, dass nicht nur französische oder italienische Einflüsse spürbar sind, sondern im gleichen Atemzug asiatische und nordische im ausgetüftelten Crossover mit der einheimischen Tradition. Da kann sich schon mal Kokos und nordisches Wild auf einem Teller treffen, Zander in Molke baden oder Lamm in der Salzkruste verstecken. Deftiges und Feines, Leichtes und Schweres, Fisch aus Meer und See, für uns ungewohntes Fleisch vom Wild, Elch, manchmal sogar Bär. Aber auch die Tradition hat ihren Platz. Ein gutes Beispiel dafür ist das „Café Maiasmokk“ in der Altstadt. Es ist eine Institution in Tallinn und das seit mehr als 210 Jahren. Gekrönte Häupter, nicht nur vom Zarenhof, kamen hierher, um das bes-te Marzipan im gesamten baltischen Raum zu genießen.
Baltisch-deutsche Adlige lebten durchaus mit Stil und Komfort. Einige der herrschaftlichen Güter sind restauriert und zu noblen Herbergen umgestaltet. Ein Höhepunkt sind die drei Landgüter „Palmse“, „Sagadi“ und „Vihula“ im heutigen Nationalpark Lahemaa, rund 80 Kilometer östlich von Tallinn. „Palmse“ geht zurück bis ins 13. Jahrhundert, das einstmals deutsch-baltische Anwesen bietet neben feudalen Gutsherrenprunk auch eine eigene Brennerei. Schließlich verdiente man in gutsherrlichen Zeiten sein Geld mit Kartoffeln und Wodka für Russland. „Sagadi“ datiert zurück bis ins 14. Jahrhundert. Im Gutsrestaurant findet sich neben traditionsreicher estnischer Kost auch Bärensteak.
Vihula Manor – Fürstlicher Genuss
Höhepunkt ist aber das Landgut „Vihula Manor“. Eine Nacht im weitläufigen Anwesen, der Bummel durch den Park und am Abend ein delikates Menü. „Vihula Manor“ verfügt über eines der besten Fine-Dining-Restaurants in ganz Estland. Stilecht befindet es sich im ehemaligen Ballsaal des neuen Herrenhauses. Es ist aber noch Platz nach oben!
Auf der Insel Muhu (Mohninsel), eine der 1517 Inseln vor Estlands Ostsee, welche die Balten „Westsee“ nennen, wartet „Pädaste Manor“ – Estlands einzigartiges Hideaway-Resort. Der Holländer Martin Breuer und der Este Imre Sooäär übernahmen 1996 das historische Landgut, das seit den 1980er Jahren leer stand. Heute ist es als Resort & Spa zum Top-hotel im Baltikum aufgestiegen. Das „Alexander Res-taurant“ ist die Nummer fünf im Baltikum. Im Paketpreis mit Übernachtung und Dinner ab 170 Euro pro Tag zu haben. Wer den feinen und preislich gehobenen Abend scheut: Es gibt auch ein Tagesres-taurant!
Ein Erlebnis der anderen, einfacheren Art ist das nur wenige Kilometer entfernte Restaurant „Nami Namaste“ der finnischen TV-Journalistin und Kochbuchautorin Sikke Sumari. Das Landhaus, in dem sogar schon der Präsident Estlands nächtigte, ist kein Palast, sondern ein stilvoll renoviertes Bauernhaus mit charmant einfachem Luxus. Und die Küche ist ein Gedicht der Frische. Sikke ist mit ihren Kochshows im finnischen Fernsehen eine Berühmtheit. Unterstützt wird sie im Sommer von dem Holländer Albert Veenendaal. Gemeinsam präsentieren sie traditionelle estländische Küche mit italienischem Input. Aus dem eigenen Garten, immer alles frisch und mit viel Ruhe zubereitet.
Von Muhu sind es über Pärnu rund 250 Kilometer bis in Lettlands Hauptstadt Riga. Auch hier dominiert in der Altstadt das Mittelalter. Doch diesmal ergänzen sich die finsteren Mauern mit viel feinem Jugendstil. Rigas Jugendstilviertel rund um die Alberta iela gehört zum Feinsten, was Europa an Jugendstilarchitektur zu bieten hat und kann sich mit Paris oder Prag messen.
Riga – Feine Genüsse und Naschereien
Rund um die schmuck verzierten Bürgerhäuser lohnen gehobene und feine Genüsse. In einer Jugendstilwohnung residiert der exklusive Schuhladen „Madam Bonbon“, direkt daneben der Tabakladen „Alberta’s Pipe Salon“, in dem man edelste kubanische Zigarren und teuren armenischen Cognac genießen kann. Nur zwei Straßenecken weiter liegt das Beste aller guten lettischen Res-taurants, das „Vincents“. Es war 2018 die Nummer zwei im Baltikum. Wem dies zu edel ist, dem seien ein paar andere kulinarische Erlebnisse empfohlen: Das „3 pavarurestorans“ an der Torna iela serviert feine Kost mit einem kulinarisch künstlerischen Tischgemälde. Danach sollte man ins „Café Rienzi“ gegenüber vom „Hotel Steigenberger“ wechseln, um Kokos-Mandel- oder Blaubeertrüffel zu probieren. Die Bäckerei und Konditorei „Rigensis“ in der Tirgonu iela vereint traditionelle lettische Brotkunst mit feinsten Hausmachertorten. Rigas Markthallen hinter dem Bahnhof sind ein Muss für jeden Foodie.
Und wenn man so richtig gut und einfach baltisch-russisch essen will, geht man ins „Pelmeni XL“ in der zentralen Kalku iela. Eigentlich ist es ja so eine Art Fast-Food-Kette, aber die legendären Teigtaschen, die russische Variante der schwäbischen Maultaschen, sind gebraten oder gekocht, mit Schmand oder Tomaten, ein Gedicht. Der Preis auch: nicht mehr als drei, vier Euro.

Das Landgut „Vihula Manor“ verfügt über eines der besten Fine-Dining-Restaurants in ganz Estland – hier ein Tartar vom Elch mit Wildblumen.
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Küchenchef Matthias Dieter und sein Team sorgten im „Pädaste Manor“ für Hochgenuss.
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Pralinen und andere Naschereien gibt’s im „Café Rienzi“ in Riga
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