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Reportagen

Reise in die Antarktis – 199 Jahre nach ihrer Entdeckung

Eselspinguine und im Hintergrund das „Hurtigruten“-Schiff „Fram“

Eselspinguine genießen mit ihrem Nachwuchs die wärmenden Strahlen der antarktischen Sommersonne. Im Hintergrund: das „Hurtigruten“-Schiff „Fram“

© Michael Juhran

Die Passagiere genießen ein Sonnenbad an Deck der „Fram“, während sie im Neumayer-Kanal in der Antarktis schippert.

Bei Plusgraden genießen die Passagiere ein Sonnenbad an Deck der „Fram“, während sie im Neumayer-Kanal in der Antarktis schippert.

© Michael Juhran

Manche Eisberge ragen wie riesige Kathedralen aus dem Wasser.

Manche Eisberge ragen wie riesige Kathedralen aus dem Wasser.

© Michael Juhran

Die Anlandung erfolgt in wendigen Polarcircel-Booten.

Die Anlandung erfolgt in wendigen Polarcircel-Booten und wird mit Rücksicht auf die Pinguin­kolonien so gestaffelt, dass sich nie mehr als 100 Personen gleichzeitig am Strand befinden.

© Michael Juhran

Krabbenfresserrobben ziehen  es vor, am Ufer oder auf Eisschollen zu dösen.

Krabbenfresserrobben ziehen es vor, am Ufer oder auf Eisschollen zu dösen.

© Michael Juhran

Abenteuerlustige haben die Möglichkeit, auf einer Insel zu übernachten.

Abenteuerlustige haben die Möglichkeit, auf einer Insel zu übernachten.

© Michael Juhran

Drollige Pinguine, riesige Wale und Seeelefanten, bizarre Eisberge und aktive Vulkane – ein Besuch in der Antarktis ist noch immer ein Abenteuer.

Michael Juhran (Bilder und Text)

Majestätisch gleitet die „Fram“ mit etwa 200 Gästen aus 21 Nationen an den Fjorden der Süd-Shetland-Inseln und der antarktischen Halbinsel entlang. Viele Passagiere haben es sich bei Plusgraden auf Sonnenliegen an Deck gemütlich gemacht, dann und wann klicken die Fotoapparate, wenn mal wieder ein Buckelwal nach Luft schnappt und sich anschließend mit der Schwanzflosse in die eisigen Tiefen verabschiedet. Es fällt schwer, zu glauben, dass man in einem der lebensfeindlichsten Gebiete unseres Erdballs unterwegs ist, in dem die Winter bis zu minus 89,2 Grad Celsius kalt werden können und Fallwinde mit 300 Stundenkilometern Orkanstärke erreichen.

Glück und Geduld haben

Gerade einmal 199 Jahre sind seit der Entdeckung der Antarktis vergangen. Noch James Cook war im 18. Jahrhundert der festen Überzeugung, „... dass das Land, das im Süden liegen mag, niemals erforscht wird.“ Jahrhundertelang waren Expeditionen auf der Suche nach dem mystischen Kontinent auf der Südhalbkugel, bis 1819 das Handelsschiff von William Smith bei heftigen Stürmen in der Drakestraße in Richtung Südsüdost abtrieb. Voller Verblüffung stieß die desolate Schiffsmannschaft weit im Süden auf die hoch aufragenden Berge einer Insel. Niemand wollte Smith glauben, bis im Jahr 1820 eine britische Expedition unter Edward Bransfield die Entdeckung bestätigte und neben Livingstone Island auch noch King-George-Island, Deception Island und Elephant Island sichtete. Weitere 91 Jahre vergingen, bis Roald Amundsen als erster Mensch 1911 den Südpol erreichte.

Moderne Technik

Dass man heute als Tourist diese entlegenste und am schwersten zugängliche Region unseres Erdballs besuchen kann, ist der rasanten Entwicklung der Technik und so erfahrenen Seeleuten wie Kapitän Ole Johan Andreassen zu verdanken. Seit 40 Jahren ist er bei der norwegischen Schifffahrtsgesellschaft „Hurtigruten“ beschäftigt, bereits elfmal brachte er mit seinem Expeditionsschiff Besucher in die Antarktis. Eine Tour, die auch heute ein Abenteuer ist. „Stabile Wetterlagen sind hier eine Ausnahme“, weiß der Kapitän zu berichten. Die Wind-, Sicht- und Eisverhältnisse wechseln ständig, so dass die Kreuzfahrt in den Süden eher den Charakter einer Expedition trägt. Selten kommt es vor, dass sich das Expeditionsprogramm hundertprozentig einhalten lässt. Mal verhindert Treibeis einen Landgang, mal lassen dichte Nebel das Verlassen des Expeditionsschiffes nicht zu. 

Doch die Gäste an Bord der „Fram“ haben diesmal Glück mit dem Wetter. So wie bereits Amundsens Südpolexpedition vor einem Jahrhundert von Fortuna begleitet wurde. Auch er startete damals mit einem Schiff, das den Namen „Fram“ (deutsch: Vorwärts) trug, von Norwegen aus in Richtung Antarktika, überwinterte im Schelfeis und erreichte bei gutem Wetter am 14. Dezember 1911 den Südpol. Der britische Polarforscher Robert Falcon Scott erreichte den Südpol rund einen Monat später, er und seine vier Begleiter starben jedoch beim Rückmarsch.

Die Anreise zur Antarktis ist heute wesentlich bequemer. Mit dem Flugzeug geht es über Buenos Aires bis zum argentinischen Ushuaia auf Feuerland. Von dort benötigt die „Fram“ nicht einmal zwei Tage, bis die verschneiten Felsen von Elephant Island in Sicht kommen. Auch diese Insel schrieb Geschichte, als Ernest Shackleton 1916 seine 22-köpfige Mannschaft hier bei einer weiteren gescheiterten Antarktisexpedition viereinhalb Monate zurücklassen musste, um Hilfe zu holen.

Am dritten Tag auf See erreicht die „Fram“ erstmals das Festland auf der antarktischen Halbinsel. „Brown Bluff“ liegt am nordwestlichen Zipfel des weißen Kontinents, der die anderthalbfache Größe Europas einnimmt. Als Empfangskomitee haben sich hunderte von Adéliepinguinen am steinigen Strand postiert, die ihre mit Polarcircel-Booten anlandenden Gäste auf Zeit neugierig beäugen.

Rücksicht nehmen

Um die drollig dahinwatschelnden Pinguine mit ihrem erst dreiwöchigen Nachwuchs nicht zu irritieren, staffelt Judith Heinrich als Expeditionskoordinatorin die Anlandungen so, dass sich nie mehr als 100 Gäste gleichzeitig am Strand aufhalten. Die gebürtige Potsdamerin ist vom Tierreichtum in den antarktischen Küstengebieten begeistert. „Keine Tour ist wie die andere“, schwärmt sie. „Mal beobachtet man die Pinguine und Vögel beim Nestbau, mal beim Brüten und später bei der Aufzucht der Jungen.“ Neben den Adélies tummeln sich hier Zügel- und Eselspinguine. Ab und an taucht auch ein Goldschopfpinguin auf. An Land eher tollpatschig, schießen die flugunfähigen Vögel wie Torpedos durch das nasse Element und springen anschließend auf bis zu zwei Meter hohe Felsen oder Eisschollen.

Um ihre Steinnester zu erreichen, die sie im antarktischen Frühjahr auf schneefreien Bergkuppen errichten, müssen sie manchmal bis zu 100 Höhenmeter heraufkraxeln, wofür sie im tiefen Schnee ein Wegesystem anlegen. Da haben es die Seeelefanten, Weddell-, Krabbenfresser-, Ross- und Pelzrobben leichter, die sich entweder am Strand aalen oder auf einer der vielen Eisschollen dösen. Doch manchmal bricht auch bei ihnen Unruhe aus, wenn sich wieder einmal eine Gruppe von Orkas nähert, denen jede Robbe recht ist.

Wer vor Reiseantritt noch glaubte, dass die Antarktis in eintönigem Weiß gekleidet ist, den versetzen an den Küs-ten bunte Tupfer in Erstaunen. An steil aufragenden schwarzen Felsen haben sich zuweilen grünes Moos, Pilze und Flechten angesiedelt, manchmal sind die Wände von rostrotem Eisenoxid gefärbt, auch wenn die eisfreien Flecken gerade einmal zwei Prozent der Gesamt-oberfläche betragen. Hochplateaus und bis zu 4,5 Kilometer dicke Eispanzer machen aus Antarktika den höchsten Kontinent unserer Erde, der im Durchschnitt 2500 Meter über den Meeresspiegel hinausragt. 

Eine besondere Überraschung erwartet die Reisenden, wenn Kapitän Andreassen an der Deception Island in die vom Meer überflutete Caldera eines aktiven Vulkans einfährt. Die Erde ist warm, Thermalquellen dampfen, Methanblasen steigen vom Grund empor und lassen die Wassertemperaturen am seichten Ufer bis auf 14 Grad Celsius steigen, so dass sich manche Passagiere zu einem Bad hinreißen lassen. Selbst private Segelboote mit Weltumseglern tauchen hier auf. Ein waghalsiges Unternehmen, meinen die Betreiber einer argentinischen Forschungsstation, die der „Fram“ einen kurzen Besuch abstatten. Vor einer Woche erst hatten sie einen Sturm mit 140 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit erlebt.

Natur schützen

Von besonderem landschaftlichen Reiz sind die Fahrten durch malerische Fjorde und durch Passagen mit hunderten von Eisbergen. Kein Künstler könnte einen facettenreicheren Skulpturenpark derartiger Formen- und Farbvielfalt schaffen. Manche Eisberge ragen wie Kathedralen aus dem Wasser, manche wie Tafelberge oder Pyramiden. Von hellem Grün bis zu dunklem Blau reichen die Farbschattierungen des Eises. Und es wimmelt von Leben, das sich an die extremen Bedingungen angepasst hat. Pinguine, Seevögel und Robben fühlen sich in dieser Traumlandschaft sichtlich wohl, Buckel-, Blau- und Finnwale finden dank der riesigen Krillpopulation reichlich Nahrung. 

Doch die Eisberge sind auch Ausdruck einer zunehmenden Bedrohung. „Immer größere Brocken brechen vom Schelfeis ab“, gibt Kapitän Andreassen zu bedenken. „Von Sommer zu Sommer wachsen die eisfreien Gebiete im Nordwesten der Antarktis.“ Wissenschaftlern zufolge erwärmt sich die Region um die antarktische Halbinsel schneller als der Rest unseres Erdballs. Es gilt als wahrscheinlich, dass damit auch die Krillpopulation schrumpft. Die Bestände an Adéliepinguinen sind hier bereits dezimiert. Auf der „Fram“ nehmen daher alle Reisenden obligatorisch  an einem IAATO-Seminar teil, das für ein umweltverträgliches Verhalten an Land sensibilisiert. Rund 40.000 Touristen zieht es jährlich in die antarktischen Gefilde. Will man die fesselnde Magie der kaum vom Menschen berührten Antarktis erhalten, darf der menschliche Fußabdruck auch künftig nur minimale Spuren hinterlassen.