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Reportagen

Wolfsspuren in der Heide

Jungwolf

Durchschnittlich umfasst das Revier eines Wolfes bzw. eines Rudels zwischen 150 bis 350 Quadratkilometer.

© Theo Grüntjens

Landschaft Lüneburger Heide

Eingewandert über Osteuropa siedelte sich 1998 das erste Wolfspaar in Sachsen an. Im Frühjahr 2012 wurden erstmals wieder Wolfswelpen in freier Wildbahn (auf dem Truppenübungsplatz Munster in der Lüneburger Heide) geboren.

© Oliver Gerhard

Checkliste auf Tafel

Auf der Tafel wird aufgeführt, welches Team wo für die Geländearbeit eingeteilt ist.

© Oliver Gerhard

Peter Schütte Einsatzgebiet

Expeditionsleiter Peter Schütte zeigt das Einsatzgebiet auf der Karte.

© Oliver Gerhard

Peter Schütte mit Spürhund Riga

Expeditionsleiter Peter Schütte setzt Spürhund Riga auf eine Spur an.

© Oliver Gerhard

Theo Grüntjens beim Spurenlesen

Theo Grüntjens macht Expeditionsteilnehmer auf eine interessante Wolfsspur aufmerksam.

© Oliver Gerhard

Theo Grüntjens beim Spuren lesen

Theo Grüntjens ist Wolfsberater des Landes Niedersachsen und unterstützt die Wolfsexpeditionen.

© Oliver Gerhard

Wolfsspur

Die entdeckten Wolfsspuren werden genau vermessen und mit den Fundkoordinaten und Zeitpunkt in die Checkliste eingetragen.

© Oliver Gerhard

Wolfswelpen

Bei der Nahrungssuche legt der Wolf an einem Tag in der Regel zwischen 20-30 Kilometer zurück, es können auch mal 50 Kilometer sein.

© Theo Grüntjens

Expeditionsteilnehmer

Expeditionsteilnehmer vergleichen ihre Daten.

© Oliver Gerhard

Blühende Heide

Die Lüneburger Heide ist seit nunmehr sechs Jahren auch wieder Heimat von Wölfen.

© Theo Grüntjens

Wolf

Der Wolf war rund eineinhalb Jahrhunderte in Deutschland ausgerottet und ist nun aus eigener Kraft wieder zurückgekehrt. Als Beutegreifer übernimmt er eine wichtige Funktion im Ökosystem, indem er bevorzugt kranke und schwache Tiere frisst.

© Theo Grüntjens

Einsatzzentrale Wolfsexpedition

in der Einsatzzentrale werden alle Daten aus der Geländearbeit zusammengeführt und in Karten vermerkt.

© Oliver Gerhard

Seit dem Jahr 2000 leben wieder Wölfe in Deutschland. Alleine in Niedersachsen wurden zehn Rudel gezählt Tendenz steigend! Als so genannter „Bürgerwissenschaftler“ kann man hier jeden Sommer an der offiziellen Wolfsforschung teilnehmen.

Oliver Gerhard (Bilder und Text)


Nebel hängt über der Lüneburger Heide. Die Kiefern lassen ihre Äste hängen, Regentropfen funkeln im Gras. Fünf Wanderer in Khaki und Oliv folgen dem breiten Forstweg, die Augen auf den Boden geheftet. Plötzlich eine aufgeregte Stimme: „Eine Spur, eine Spur!“ Alle laufen zusammen, doch Peter Schütte gibt Entwarnung: „Die Abdrücke sind zu klein – das kann kein Wolf gewesen sein.“ Enttäuschte Blicke!

Der Geruch von Wolfskot ist umwerfend 

Fünfhundert Meter weiter der nächste Fund: ein Haufen verwitterter Losung, mit Haaren darin und kleinen Knochenstücken. War hier ein Wolf unterwegs? Schütte kniet sich hin, hält die Nase über den Haufen – und zuckt zurück. Die Augen seiner Begleiter leuchten: „Der Geruch von Wolfskot zieht dir die Schuhe aus – es gibt nichts Brutaleres“, hatte der Wissenschaftler am Vortag erklärt.

Jetzt sind alle gefordert: Nina lässt den Stift über die Checkliste flitzen, die zu jedem Fund angelegt wird, James misst den Haufen mit einem Zollstock und Abilasha packt Plastikhandschuhe und einen Becher mit Ethanol aus: Nur eine DNA-Probe liefert den endgültigen Beweis. „Oh Gott, ich glaube, ich kann das nicht“, sagt sie. Doch dann packt sie beherzt eine Probe und füllt sie in den Becher. Tag zwei ihres Forschungsurlaubs!

Knapp 50 Naturfreunde aus aller Welt sind im vergangen Sommer nach Niedersachsen gereist, um  – verteilt über vier Wochen – an der ersten offiziellen Wolfsexpedition von „Bürgerwissenschaftlern“ teilzunehmen: Yvette aus Texas, Major bei der US-Armee, träumt von einem Job mit Tieren. Die IT-Beraterin Abilasha aus Indien möchte in den Ferien etwas Sinnvolles tun. Und Michael hat seinen Job als Controller in Stuttgart gekündigt, weil er in der Natur arbeiten möchte.

 

Immer die Kamera griffbereit haben

Einige bringen schon Erfahrung mit: Sie haben in Costa Rica Meeresschildkröten gezählt oder sind in Kirgistan den Spuren der Schneeleoparden gefolgt. In ihren Augen ist die Wolfspirsch in der Lüneburger Heide nicht weniger exotisch, obwohl eine Begegnung mit dem Tier in freier Wildbahn so gut wie ausgeschlossen ist – daran lässt der Veranstalter „Biosphere Expeditions“ keinen Zweifel.

Eine Woche als Forscher haben die Teilnehmer gebucht – mit Unterkunft in Zweibettzimmern und vegetarischer Vollverpflegung. An den ersten beiden Tagen erhalten sie einen Crashkurs: Sie lernen, mit GPS-Gerät und Walkie-Talkie umzugehen. Sie erfahren, wie man Wolfs- von Hundespuren unterscheidet, wie man einen Fund dokumentiert und DNA-Proben nimmt – für die Wissenschaft zählen nur eindeutige Fakten. Die Arbeitssprache ist Englisch.

Alle brennen vor Ungeduld, als es endlich „ins Feld“ geht. Ein Team ist mit Theo Grüntjens unterwegs, Förster im Ruhestand, Jäger und Wolfberater des Bundeslandes – einer von rund 120 ehrenamtlichen Helfern, die als Ansprechpartner für die Bevölkerung dienen, Wolfssichtungen und Risse von Nutztieren dokumentieren.

Grüntjens war der erste, der 2006 einem Wolf in Niedersachsen begegnete: „Ich war völlig perplex, als ich ihn sah“, erinnert er sich. „Der Wolf wohl auch. Er rannte in die eine Richtung und ich in die andere. Gleichzeitig dachte ich: Was für ein Blödsinn, jetzt kann ich ihn ja gar nicht beobachten.“ Aus seinem Fehler hat Grüntjens gelernt: Der 64-Jährige ist nie mehr ohne Kamera unterwegs – seine besten Aufnahmen sind in einem Bildband erschienen.

Wölfe könnten für eine ausgeglichene Wildstruktur sorgen

Die Gruppe marschiert über einen Forstweg, im Schlamm zeichnen sich Spuren von Füchsen und Dachsen, von Waschbären und Mardern ab. Abilasha ist begeistert: „Awesome!“, ruft sie immer wieder. Einmal ist der Boden zerwühlt von Hufspuren. „Rotwild!“, sagt Grüntjens. „Sie zeigen keine Unruhe – ein Zeichen, dass kein Wolf in der Nähe war.“

Kurz vor der Rückkehr entdeckt Nina schließlich große Pfotenabdrücke. Das Team schwärmt aus zum Messen, Zählen, Fotografieren. Charakteristisch für Wölfe ist die Gangart des „geschnürten Trabs“, bei dem die Hinterpfoten in die gleichen Abdrücke treten wie die Vorderpfoten – die Tiere können so auf geraden Strecken Entfernungen von bis zu 70 Kilometer am Tag zurücklegen. „Ein Wolf mit zwei Jungen“, fasst Theo den Fund des Tages zusammen.

Der Jäger ist fasziniert von den Tieren: „Wölfe haben eine wunderbare Sozialstruktur, sie gehen ‚menschlicher’ miteinander um, als wir das mit unseren Mitbürgern machen.“ Für Grüntjens können die Rückkehrer dazu beitragen, eine ausgeglichene Wilddichte herzustellen.

Viele seiner Kollegen sehen das anders: Die Landesjägerschaft, die in Niedersachsen das Wolfsmonitoring koordiniert, hat sich gegen das Projekt von „Biosphere Expeditions“ ausgesprochen. Nicht wenige ihrer Mitglieder wünschen sich, dass die Wölfe in Deutschland zum Abschuss freigegeben werden. Doch die Rückkehrer stehen unter strengem europäischen und deutschen Schutz.

„Der Wolf ist ein Konkurrent“, sagt Grüntjens. „Aber es ist machbar, mit ihm zu teilen. Weil das Wild seinen gewohnten Tagesrhythmus ändert, müssten die Jäger sich wieder das Wissen aneignen, Spuren zu lesen: „Ich kann nicht mehr sicher sein, dass das Wild Punkt 17:24 Uhr aus dem Wald tritt. Es wird anstrengender, aber das sehe ich als sehr spannend an und schieße auch nicht weniger.“

 

Gegner fordern Abschussquoten

2017 war ein Jahr der Wölfe in Deutschland: In mehreren vorher wolfsfreien Regionen wurden Tiere gesichtet. Bayern meldete den ersten Nachwuchs seit 150 Jahren. Mehrfach sorgten überfahrene und erschossene Wölfe für Schlagzeilen. In Niedersachsen wird jedes vermeintlich überfahrene Tier in den Computertomographen geschoben, manchmal kommt dabei Munition zutage – der Wolf hat viele Feinde.

Konservative Politiker rufen regelmäßig nach einer Lockerung des Schutzes. Und Wolfsgegner versuchen, die Meinung mit Fake News zu beeinflussen: Sie behaupten, Wölfe würden heimlich von Tierschützern ausgesetzt. Sie sagen, die Tiere könnten sich unkontrolliert verbreiten und würden sich überwiegend von Nutztieren ernähren. Und sie verbreiten Falschmeldungen von Wölfen, die angeblich Hunde reißen. Umso wichtiger sind Herdenschutzmaßnahmen und Wolfsforschung.  

Das letzte Monitoring 2017 zählte in Deutschland 60 Wolfsrudel, 13 Paare und drei sesshafte Einzelwölfe. Ein Wolfsrevier erstreckt sich über durchschnittlich 250 Quadratkilometer. Hier leben durchschnittlich zehn Wölfe, alle Jungtiere müssen weiterwandern. Das Senckenberg-Forschungsinstitut ermittelte, dass Nutztiere nur weniger als ein Prozent der Wolfsnahrung ausmachen – der Wolf zieht Wild vor.

Kommt es dennoch zu Nutztierrissen, zahlen die Bundesländer Entschädigungen. Seit der Rückkehr der Wölfe flossen dafür rund 500.000 Euro in Deutschland. Zum Vergleich: Die Schäden durch Wildunfälle im Autoverkehr betrugen alleine 2016 mehr als 680 Millionen Euro, durch Marderbisse mehr als 60 Millionen – Zahlen, über die jedoch kaum jemand spricht. 

Am nächsten Tag unterstützt ein weiterer Assistent das Team: Spürhund Riga ist auf Wölfe abgerichtet. „Such Wolf!“, ruft Hundeführer Felix Böcker immer wieder, während Riga an einer zehn Meter langen Leine vorausläuft, die Nase hochhält oder zwischen Heidekraut und Preiselbeerbüschen schnuppert. Wenn sie fündig wird, setzt sie sich hin und blickt erwartungsvoll zu ihrem Herrchen: Immerhin gibt es dann eine Belohnung – für Riga ein Stück Fleisch, für die Jungforscher Arbeit.

Abends versammeln sich die Teilnehmer, um Bilanz zu ziehen: Sie erzählen, präsentieren Funde, schnuppern an Tüten mit Fellfunden und Losung, zeigen Fotos und markieren die Fundorte in einer großen Landkarte. Expeditionsleiter Peter Schütte sortiert: Eine Probe geht ins Labor, eine andere ist nicht frisch genug. Eine Spur ist eindeutig, eine andere nicht lang genug: Die Kriterien sind streng.

Nach dem Abendessen klingt der Tag am Lagerfeuer aus. Fledermäuse flattern durch den nachtschwarzen Himmel über dem historischen Landgut. Einige Forscheraugen sehen schon müde aus, andere leuchten noch bei den Anekdoten des Tages. „Eigentlich bin ich ganz froh, dass wir heute keine Losung gefunden haben“, gesteht Abilasha. „Das Einsammeln wäre bestimmt wieder mein Job gewesen.“