Seit etwa 10 Jahren findet ein neuer Trend beim Konsum von Psychedelika immer weiteren Zulauf – das Geringdosieren (Microdosing). Mit nur etwa 1% der vollen psychedelischen Dosierung soll die Leistungsfähigkeit im Alltag und die Kreativität verbessert sowie die Symptome psychischer und somatischer Erkrankungen vermindert werden. Inserra et al. haben nun untersucht, inwieweit die postulierten Wirkungen wissenschaftlich belegt sind.1
Die am häufigsten beim Microdosing eingesetzten Psychedelika sind LSD, gefolgt von Psilocybin. Durch die Dosierung unterhalb der psychedelischen Schwelle sollen die Anwendung von unerwünschten psychedelischen Effekten entkoppelt und auf erwünschte Wirkungen beschränkt werden. Mit Microsing soll einerseits das Bewusstsein erweitert und geschärft werden im Sinne einer besseren kognitiven Leistungsfähigkeit und höheren Aufmerksamkeitsleistung sowie einer Stimmungsaufhellung und Empathie. Diskutiert wird auch ein therapeutisches Microdosing bei Patienten mit komorbider Depression oder einer PTSD. Ein anderer Anwendungsbereich ist die Vorbereitung und „Titration“ vor der Gabe einer vollen psychedelischen Dosis im Rahmen der Behandlung einer Migräne und von Cluster-Kopfschmerzen sowie Schmerzzuständen. Zur Dosierung werden bei LSD von einigen Autoren Dosen <20µg als Mikrodosen bezeichnet, 21–30µg als Minidosen und >30 µg als volle psychedelische Dosis.2
Die Autoren kritisieren, dass diese Effekte von Microdosing teilweise verharmlosend, beispielsweise als „embracing traditional middle-class values“, dargestellt werden. Mit diesem Ansatz würden der unkritische, breite Einsatz, beispielsweise auch bei älteren Personen, gefördert3 sowie um Psychedelika-unerfahrene Therapeuten für das Konzept zu gewinnen.
Zahlreiche ungelöste Fragen
Die Analyse der vorliegenden Studien lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet, so die Autoren. Sie fanden einige Publikationen, die auf eine mögliche Erweiterung und Schärfung des Bewusstseins durch Microdosing hindeuten. Dies gilt auch für eine Linderung von Krankheitssymptomen, möglicherweise durch anti-inflammatorische Effekte aufgrund einer agonistischen Wirkung auf den serotonergen 5-HT2A-Rezeptor.
Dem Image als mögliches Allheilmittel widersprechen Berichte, dass Microdosing auch unerwünschte Effekte wie Ängste, Verwirrtheitszustände sowie die Verschlechterung der synaptischen Plastizität auslösen kann. Insgesamt entwickeln schätzungsweise 20% der Personen unter Microdosing somatische Beschwerden und 10% Angstsymptome.4 Diskutiert wird auch eine Schädigung der kardialen Funktion durch eine wiederholte Über-Stimulierung des kardialen 5-HT2B-Rezeptors. Sowohl zur Sicherheit und Verträglichkeit als auch zur Wirksamkeit fehlen jedoch große randomisierte, kontrollierte Studien.
Fazit: Die vorliegende Evidenz für die Wirksamkeit und Sicherheit der Einnahme von Mikrodosen von Psychedelika reicht nach Ansicht der Autoren derzeit nicht aus, um dieses Konzept zu unterstützen. Neben den postulierten Wirkungen gibt es auch Sicherheitsbedenken, die in größeren randomisierten, klinischen Studien untersucht werden müssen, bevor eine endgültige Bewertung erfolgen kann.
Dr. Alexander Kretzschmar
Literatur:
1. Inserra A et al. Psychedelics in Psychiatry: Neuroplastic, Immunomodulatory, and Neurotransmitter Mechanisms. Pharmacol Rev 2021; 73(1): 202-227.
2. Holze F et al. Distinct acute effects of LSD, MDMA, and D-amphetamine in healthy subjects. Neuropsychopharmacology 2020; 45: 462–471.
3. Webb M et al. Narrative identity, rationality, and microdosing classic psychedelics. Int J Drug Policy 2019; 70: 33–39.
4. Anderson T et al. Psychedelic microdosing benefits and challenges: an empirical codebook. Harm Reduct J 2019; 16: 43.