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Medizin

Symbolbild Angst
Alltagsängste sind normal und betreffen jeden Menschen. Wenn sie aber die Kontrolle über das Leben übernehmen, kommt es zu einer Angststörung.
© AdobeStock/terovesalainen

Generalisierte Angststörung – State of the Art

Die Generalisierte Angststörung beginnt häufig später als andere Angsterkrankungen und zählt mit einem Erkrankungsrisiko über die Lebensspanne von 9% zu den häufigen Angsterkrankungen. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Charakteristisch für die Generalisierte Angststörung (GAS; englisch: generalized anxiety disorder [GAD]) sind über mehrere Monate anhaltende Sorgen und Befürchtungen, die sich auf mehrere verschiedene Bereiche des Lebens (z.B. Gesundheit, Finanzen, Familie, Schule oder Beruf) beziehen können. Aufgrund meist mehrerer und häufig auch wechselnder Sorgeninhalte wurde die GAS-typische Symptomatik bisher auch als „frei flottierende“ Angst bezeichnet. Die Betroffenen leiden neben einer inneren Unruhe häufig auch an stress-assoziierten somatischen Symptomen wie Muskelverspannungen, Spannungskopfschmerzen oder gastrointestinale Beschwerden. Zudem werden regelhaft Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und Schlafstörungen (die meist durch sorgenbesetztes repetitives Denken verursacht werden) beklagt.1,2

In der Praxis können Betroffene nicht immer unmittelbar benennen, wovor sie Angst haben bzw. worüber sie sich Sorgen machen. Ein allgemeines Gefühl von Anspannung und innerer Unruhe erscheint häufig zunächst vordergründig. Weiterhin kann auch der Prozess des Sich-Sorgens ein weiterer Auslöser für Sorgen (sogenannte „Meta-Sorgen“, das Sorgen über das Sorgen) sein.3 Betroffene schildern beispielsweise die Befürchtung, das ständige Sorgen könnte schädlich für ihre Gesundheit sein.

In der 2022 in Kraft getretenen ICD-11 haben sich im Vergleich zur ICD-10 wichtige konzeptuelle Veränderungen ergeben. Neben der „allgemeinen Anspannung“ werden nun auch spezifische Sorgen in bestimmten Lebensbereichen betont. Durch die Verkürzung des Zeitkriteriums müssen die Symptome nun nicht mehr mindestens sechs Monate bestehen, bevor eine Diagnose gestellt werden kann. Insbesondere bei dieser hochbelas-teten Patient:innengruppe mit einem hohen Chronifizierungsrisiko kann eine frühere Diagnosestellung schnelleren Zugang zu entsprechenden Therapie-angeboten ermöglichen. Der Wegfall des Kriteriums C trägt dem Umstand Rechnung, dass eine hohe Komorbidität unter den Angststörungen besteht und sie in der Praxis häufig gemeinsam auftreten. Die GAS kann nun zusammen mit anderen Angststörungen vergeben werden.2,4

Differenzialdiagnosen

  1. Schwelle zur Angststörung,"Normale" Angst: Angst und Besorgnis sind normale emotionale bzw. kognitive Zustände, die bei Bedrohung und Stress entstehen. Sie helfen dem Körper, auf die Anforderungen adäquat zu reagieren. Ist die Bedrohung vorüber, lässt auch die Angst nach. Bei der GAS hingegen sind die Angst und Besorgnis anhaltende Zustände, die auch außerhalb von Bedrohungs- und Stresssituationen auftreten. Die Sorgen führen nicht zu funktionalen Lösungsstrategien, jedoch zu signifikanter Belastung und Beeinträchtigung.
  2. Depression: Das depressive „Grübeln“ ist typischerweise auf die Vergangenheit gerichtet. Thematisch beinhalten depressive Gedanken v.a. Verlust und Versagen. Die emotionale Färbung ist vorrangig traurig. Das Sorgen der GAS ist eher zukunftsorientiert und bezieht sich auf mögliche Bedrohungen. Die vorherrschende Emotion ist Angst.
  3. Zwang: Zwangsgedanken werden in der Regel von Betroffenen als ich-dyston erlebt und beziehen sich inhaltlich v.a. auf die Themen Verschmutzung, Ordnung, sexuelle oder abnorme Vorstellungen. Die Sorgen der GAS erleben die Betroffenen meist grundsätzlich als ich-synton („Wenn ich mir Sorgen mache, dann bin ich vorbereitet!“) und beinhalten alltägliche Lebensbereiche (z.B. Gesundheit, Finanzen, Familie).
  4. Andere Angststörungen: Die Abgrenzung ist nicht ganz einfach, da es viele Überschneidungen der GAS mit anderen Angststörungen gibt. Im Gegensatz zur Panikstörung gibt es keine zeitlich umgrenzten Angstattacken, sondern vielmehr eine latent andauernde Nervosität und Unruhe. Während sich die Symptome der Agoraphobie, der Sozialen Angststörung und der Spezifischen Phobien auf die Konfrontation mit einem bestimmten Auslöser beschränken, sind die Ängste der GAS „breiter angelegt“.
  5. Somatisierungsstörung / Gesundheits-ängste (z.B. Hypochondrie): Bei der GAS sind stressreaktive Körpersymptome ein Korrelat der Sorgen und nicht isoliert vorhanden bzw. die Sorgen der GAS sind nicht auf Körper- und Gesundheitsthemen beschränkt. Sie können aber vorrangig von Betroffenen berichtet werden, was die Diagnosestellung erschwert.

Therapie

Sowohl für Psychotherapie als auch Pharmakotherapie gibt es eine gute Evidenzlage. Die deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen empfiehlt, dem informierten Patienten beide Therapievarianten anzubieten. Neben zu erwartender Wirkung und Nebenwirkung soll ebenfalls über Nachhaltigkeit und Wirkeintritt aufgeklärt werden.3

Sollten die gewünschten Effekte einer Psycho- bzw. Pharmakotherapie ausbleiben, so kann die jeweils andere Therapieform angeboten werden. Ebenso ist eine Kombinationsbehandlung mit beiden Therapieformen möglich.3

Pharmakotherapie

Bei der pharmakologischen Behandlung der GAS stehen Substanzen im Vordergrund, die monoaminerge Neurotransmittersysteme beeinflussen. Den höchsten Empfehlungsgrad erreichen Selektive-Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI bzw. SSNRI) für die jeweils Wirksamkeitsnachweise durch doppelblinde randomisiert-kontrollierte Studien vorliegen. Der Empfehlungsgrad für weitere Behandlungsoptionen fällt aufgrund eines möglichen Missbrauchspoten-zials (Pregabalin, sollte bei Patient:innen mit einer Suchtanamnese nicht gegeben werden) oder einer unzureichenden Studienlage (Opipramol und Buspiron) niedriger aus.3 

Gemäß der S3-Leilinie ist der Einsatz von Benzodiazepinen prinzipiell obsolet. Die Gründe sind das ungünstige Nebenwirkungsprofil der Substanzen, hier v.a. deren Abhängigkeitspotenzial. Gleichzeitig werden folgende Ausnahmen formuliert: Kontraindikationen für Medikamente, schwere kardiologische Erkrankungen und Suizidalität.3

Psychotherapie

Den Betroffenen soll in erster Instanz eine Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angeboten werden. Die Betroffenen lernen dabei einen neuen Umgang mit der Angst, in dem sie sich aktiv mit ihren Sorgen auseinandersetzen, statt sie zu vermeiden. Bereits in 10 bis 24 Sitzungen kann eine Symptomreduktion erreicht werden. Ratsam ist eine individuelle Anpassung an die Krankheitsschwere, komorbid vorliegende Störungen sowie die psychosozialen Rahmenbedingungen der Betroffenen.3 Typische Behandlungselemente in der KVT5 sind:

  • Psychoedukation zu Angst und GAS
  • Sorgenkonfrontation in sensu
  • Konfrontation in vivo
  • Kognitive Interventionen
  • Angewandte Entspannung

Unter "Angewandte Entspannung" (AR) fallen u.a. folgende Techniken: Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation (PMR), diaphragmatisches Atmen. Mittels dieser Interventionen bekommen die Betroffenen (zusätzliche) Bewältigungsstrategien an die Hand. Die Studienlage zeigt eine Wirksamkeit von AR gegenüber Placebo- oder Warte-Kontrollgruppen. In allen Studien war die alleinige Anwendung von AR jedoch weniger wirksam als KVT. Es empfiehlt sich, AR als Ergänzung im Rahmen einer KVT anzubieten.3

Als Psychotherapiemethode der weiteren Wahl kann leitliniengerecht eine Tiefen-psychologisch-fundierte Psychotherapie (TP) dann angeboten werden, wenn eine KVT nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat oder eine entsprechende Präferenz des informierten Betroffenen besteht.3

Internet- bzw. appbasierte KVT-Interventionen können im Sinne von Selbsthilfe therapiebegleitend oder als Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz empfohlen werden.3 Entsprechende Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) können über www.diga.bfarm.de abgerufen werden.6 n

Sophie Meska, Berlin und PD Dr. Jens Plag, Potsdam

Literatur in der Redaktion