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Medizin

Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan
Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Augsburg
© Universität Augsburg

Internetbasierte Therapien in der Psychiatrie

Webbasierte Therapien können die Face-to-Face-Versorgung wirkungsvoll unterstützen und eine große Anzahl an Betroffenen erreichen. Ob Apps, Websites, Online-Programme oder Diskussionsforen – wer im Netz nach entsprechenden Angeboten sucht, landet eine Vielzahl von Treffern. Der Augsburger Psychiater Prof. Alkomiet Hasan spricht im Interview darüber, welche Möglichkeiten Online-Hilfen tatsächlich bieten können.

Herr Prof. Hasan, wie hat man sich internetbasierte Psychotherapie vorzustellen? Welche Formen gibt es?

Hasan: Das Spektrum der Online-Hilfs- Unterstützungs- und Therapieangebote ist erfreulicherweise sehr breit. Am weitesten verbreitet und momentan am besten untersucht sind sogenannte Selbstmanagement-Interventionen. Dies sind vorwiegend Interventionen, die vom Nutzer selbstständig, also ohne professionelle Begleitung, durchgearbeitet werden. Am häufigsten sind dies Programme für Angststörungen und Depressionen. Es gibt aber auch Angebote, die von einem Therapeuten oder einem Berater angeleitet werden oder bei denen auf Wunsch des Nutzers ein persönlicher Kontakt möglich ist. Hier gibt es Angebote, bei denen E-Mails, Chats oder Video-Telefonate mit einem Therapeuten zur Kommunikation genutzt werden.

Gibt es eine Qualitätssicherung für Online-Psychotherapie?

Jein. Die Wirksamkeit internetbasierter Therapien wurde mittlerweile in einigen gut gemachten Studien untersucht. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Aber wir haben in diesem Bereich noch lange nicht das Evidenzprofil, das wir von der klassischen Psychotherapie, psychosozialen Therapien und vor allem den Pharmakotherapien haben. Wenn wir vergleichen, welche großen Hürden beispielsweise eine Medikation nehmen muss, bis dass wir sie bei Menschen anwenden dürfen, ist die Qualitätssicherung für Apps im Hinblick auf die Patientensicherheit minimal bzw. nicht überprüft. Aber auch diese Online-Angebote müssten sich den Kriterien der evidenzbasierten Medizin irgendwann stellen müssen. Das wird aber noch ein langer Weg sein.

Wo sehen Sie den größten Vorteil Internet-basierter Therapieänsatze?

Die Vorteile sind vielfältig. Das muss man ganz klar sagen. Deswegen sehe ich da auch ein großes Entwicklungspotenzial. Meines Erachtens der größte Vorteil ist, dass man mit Online-Therapien Regionen erreicht, die eine geringe Therapeutendichte haben. Online-Interventionen können unabhängig von räumlichen Distanzen oder zeitlichen Vorgaben überall und jederzeit genutzt werden. Jemand, der es nicht realisieren kann, regelmäßig den Weg in die Praxis zu bewältigen oder Termine zeitlich festzulegen, kann hier einen Zugang zu Psychotherapie finden. Dieser Vorteil wird immer noch zu wenig betont. Einen weiteren Vorteil sehe ich in dem Bereich Selbstmanagement. Das heißt, als Patient habe ich mehr Kontrolle, wann ich Therapie habe. Auch werden die Apps immer individualisierter, sodass der Patient gucken kann, was zu ihm am besten passt. Für die Zukunft erhoffe ich mir eine weitere Personalisierung dieser Inter- ventionen. Und natürlich sind diese Verfahren auch kostengünstiger, weil sie prinzipiell weniger personalintensiv sind.

Oft wird als Vorteil genannt, dass die Apps die Wartezeiten auf Therapieplätze überbrücken können. Wie sehen Sie das?

Diesen Punkt sehe ich eher kritisch. Einfach „ich mach mal und guck, wann ich einen Therapieplatz habe“ –  das wird der Schwere der Erkrankung nicht gerecht. Und – bei den guten Apps ist es ja auch so – es sollte ein Facharzt oder  psychologischer Psychotherapeut eine Diagnose gestellt haben, sodass die App in der korrekten Indikation eingesetzt wird.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für Online-Therapien?

Nicht jedes Programm wird von der Kasse übernommen, das heißt, die Erstattungsfähigkeit hängt von dem jeweiligen Online-Programm ab. Einige Produkte können mittlerweile verschrieben werden, und die Krankenkassen übernehmen für gewisse Zeiträume die Kosten. Die Verordnung kann auch durch den Hausarzt erfolgen. Zum Teil kann es notwendig sein, eine Einzelfallprüfung zu beantragen. Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) hat hier eine wichtige Grundlage gelegt (s. Kasten). Es ist gut, zu wissen, dass es sich hier nicht um irgendeinen Hype handelt, sondern die Online-Therapie von der Bundesregierung in einem Gesetz fest verankert ist. Das ist auch die richtige Entwicklung für die Zukunft. Dennoch: Es ist noch ein langer Weg, und es geht nicht darum, eine Face-to-Face-Therapie entbehrlich zu machen.

Bei welchen Störungen bzw. Erkrankungen hat man bisher gute Erfahrungen gemacht bzw. welche eignen sich am besten?

Aus wissenschaftlicher Sicht am besten evaluiert sind Programme für das Selbstmanagement und die Behandlung von affektiven Erkrankungen, vor allem depressiver und unipolar depressiver Erkrankungen, sowie von Angsterkrankungen. Aber mittlerweile gibt es für fast alles eine App, nicht nur für unsere Psyche, sondern z.B. für Diabetes, KHK, Tinnitus u.v.m. Die Programme werden auf der Basis von Algorithmen auch immer mehr lernen und individueller auf den Patienten eingehen können, wie dies auch ein Therapeut tut.

Welche Nachteile, Risiken gibt es?

Eine Therapie, die keine Risiken hat, hat wahrscheinlich auch keinen Nutzen – dies gilt nicht nur für die medikamentöse Therapie, sondern auch für die Psychotherapie. Ein Risiko ist zum Beispiel, dass zum Teil keine vernünftige Eingangsdiagnostik erfolgt. Vor der Therapie sollte aber, wie schon erwähnt, immer die Diagnose stehen. Das trifft für Online-Therapien ebenso zu wie für die üblichen Face-to-Face-Therapien. Ein Risiko ist tatsächlich auch, dass wir kein Gefühl für Therapieabbrüche haben, sodass eine notwendige weitere Diagnostik oder ggf. eine notwendige pharmakotherapeutische Behandlung nicht eingeleitet werden kann, wenn die Apps nicht begleitend eingesetzt werden. Diese sehr gute Weiterentwicklung in unserem Fach sollte immer in einem Gesamtbehandlungsplan unter der Führung eines Facharztes oder eines Psychotherapeuten eingebettet sein, um Risiken und Nutzen beurteilen zu können.

Interview: Dr. med. Kirsten Westphal



Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung

Apps auf Rezept, Videosprechstunden einfach nutzen und überall bei Behandlungen auf das sichere Datennetz im Gesundheitswesen zugreifen – das ermöglicht das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (Digitale-Versorgung-Gesetz, DVG), das am 19. Dezember 2019 in Kraft getreten ist. Das DVG beinhaltet drei Schwerpunkte: Patienten können sich künftig digitale Gesundheits-Apps wie Arzneimittel vom Arzt auf Kassenkosten verschreiben lassen. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Gesundheitsdaten in einer elektronischen Patientenakte (ePA) speichern zu lassen und telemedizinische Angebote wie Videosprechstunden leichter nutzen zu können.
Die Kosten für digitale Gesundheitsanwendungen werden nach einer ersten Prüfung der Sicherheit und von Qualitätskriterien (Datenschutz, Transparenz, Nutzerfreundlichkeit) zunächst für ein Jahr von den Krankenkassen erstattet. In dieser Zeitspanne müssen die Hersteller dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachweisen, dass das Angebot einen medizinischen Nutzen besitzt und die Gesundheitsversorgung für die Patienten relevant verbessert. Den Preis ab dem zweiten Jahr handelt der Hersteller dann mit dem GKV-Spitzenverband aus.