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Medizin

Fernglas
Big Data im Visier der Psychiater
© Colourbox/Rank Sol

DGPPN-Kongress: Die Psychiatrie blickt in die Zukunft

Auch 2021 setzte der DGPPN-Kongress seine Bemühungen fort, neue Zeichen für die Bedeutung der Psychiatrie in der Gesellschaft zu setzen. Auf der Hybrid-Veranstaltung stellte sich die Psychiatrie als Fach mit innovativer Forschung dar. Aber die Translation in die Praxis bleibt eine Herausforderung.

Der Kongresstitel „Digitale Transformation und psychische Gesundheit“ markiert die Veränderungen und neuen  Anforderungen für das Fach in einer Gesellschaft, in der die Kommunikation zunehmend digital erfolgt und gleichzeitig der Austausch Face-to-face – auch infolge der Corona-Pandemie – immer mehr verarmt, stellte Prof. Thomas Metzinger – digital zugeschaltet – fest.

Zahlreiche Beiträge beschäftigten sich mit dem Einfluss der Digitalisierung und den Auswirkungen technischer Innovationen auf psychische Erkrankungen. Dies betrifft sowohl die Diagnostik als auch die Behandlung. Prof. Andreas Meyer-Lindenberg, Mannheim-Heidelberg, beschrieb Chance und Risiken des Einsatzes von Big Data in der Psychiatrie. Hier sind die frühe Vorhersage von Krankheitsentwicklungen durch große Datenanalysen mit den Konsequenzen für die Betroffenen und Familien sowie datenschutzrechtlichen und ethischen Fragestellungen gegeneinander abzuwägen.

Big Data als Chance

Big Data ist für Meyer-Lindenberg ein wichtiges Instrument zur Entwicklung zielgerichteter Therapien. Hier hinkt die Psychiatrie anderen Indikationsfeldern hinterher. Er sieht den Nutzen der klassischen Hypothese-getriebenen Forschung als begrenzt an – der erhoffte Durchbruch im Verständnis neurobiologischer Mechanismen und neuer Therapieansätze sei vielfach nicht gelungen. „Deep Learning“ auf der Basis datenbasierter Algorithmus ist für ihn ein Weg, die individuelle Krankenversorgung zu verbessern.

Einen praktischen Nutzen sieht Prof. Tim Hahn, Münster, in maschinellen Lernverfahren und Big Data bei der transdiagnostischen Neu-Typologisierung der vielfach rein phänotypologisch unterteilten Störungen. Seine Arbeitsgruppe arbeitet an einer neuro-biologisch fundierten Konzeption zur Ätiologie und Verlauf affektiver Störungen.

Digitales Lernen: Innovation oder Sackgasse?

In der Corona-Pandemie wurden für die akademische Lehre viele digitale Unterrichtsformate und -materialien entwickelt. Während digitale Vorlesungen solchen im Präsenzformat im Hinblick auf den Lernerfolg offenbar gleichwertig sind, ist dies für andere Unterrichtsformen wie Praktika noch nicht gut untersucht. Dr. Philipp Spitzer, Erlangen, et al. entwickelten ein Praktikum zur Kommunikation und psychiatrischen Anamnese- und Befunderhebung, welches mithilfe von Video-Sprechstunden mit Simulationspatienten vollständig online absolvierbar ist. Mittels einer praktischen Prüfung wurde der Lernerfolg untersucht und mit dem Lernerfolg während eines Semesters vor der Pandemie verglichen.

In der klinischen Prüfung zeigten sich keine Veränderungen durch den Wechsel auf das digitale Format. Studierende im Online-Semester konnten trotz gleicher Prüfungsleistung ihre eigenen Fähigkeiten im Bereich Kommunikation besser einschätzen. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Form eines digitalen Praktikums geeignet ist, klassische, prüfungsrelevante Lernziele zu erreichen. Die Beziehung zu den Dozierenden und damit möglicherweise auch die Möglichkeit für interpersonelles Lernen scheint aber beeinträchtigt.

Dr. Alexander Kretzschmar

Quelle: Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) von 24. bis 27. November 2021.