Univ.-Prof. Dr. phil. habil. Christiane Eichenberg, Wien
Das Herz nimmt in allen Kulturen eine besondere Bedeutung als Zentrum des Lebens oder Sitz der Seele ein und ist Projektionsobjekt für psychische Konflikte. In den letzten Jahren konnte eine Vielzahl von Studien zeigen, dass psychische Symptome und Herz-Kreislauf-Erkrankung sich gegenseitig beeinflussen und zwar auf folgende Weise:
- Psychische Symptome können als Risikofaktoren zur Entstehung einer Herzerkrankung beitragen.
- Psychische Symptome können den Verlauf der Herzerkrankung als komorbide Erkrankung negativ beeinflussen.
- Psychische Symptome können durch die kardiale Erkrankung ausgelöst bzw. verstärkt werden.
Konzise Forschungsbefunde zeigen, dass insbesondere psychische Symptome wie Angst, Depression und Stresserleben bis hin zu psycho-traumatischen Folgestörungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen. Dabei liegen vorwiegend psychosomatische Befunde für die koronare Herzerkrankung (KHK), die arterielle Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz sowie für die Herztransplantationsmedizin vor.1,2
Angst
Untersuchungen zeigten, dass sich Angst durch immunologische, neuroendokrinologische und verhaltensbezogene Einflüsse negativ auf das kardiovaskuläre System auswirken kann und das Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen begünstigt.3 Bei etwa 40% aller Patienten mit Herzbeschwerden findet sich ein typischer Konflikthintergrund, wobei Aspekte der Angst zentral sind.
Im Gegensatz zur Realangst stellen sich pathologische Ängste bezogen auf ihren Anlass als unverhältnismäßig dar. Ängste die z. B. bei Todesbedrohung durch Herzerkrankungen auftreten können, nehmen zwischen Realangst und pathologischer Angst eine Art Zwischenposi-tion ein. Obwohl eine reale Gefährdung besteht, kann das Ausmaß der erlebten Angst dysfunktional sein und folglich ein pathologisches Ausmaß erreichen. So konnte eine Metaanalyse zeigen, dass Angst bei Patienten nach einem Herzinfarkt ein signifikanter Prädiktor für erneute Infarktereignisse und Mortalität darstellt.4 Roest et al. belegen in ihrer Metaanalyse, dass eine Angsterkrankung das Risiko für eine KHK um 26% und das Mortalitätsrisiko sogar um 48% erhöht.5
Am Beispiel von Herzrhythmusstörungen wird der bidirektionale Zusammenhang zwischen körperlichen und psychischen Symptomen deutlich, denn Angst- und Panikstörung können Herzrhythmusstörungen auslösen, gleichermaßen kann Angst auch durch die Herzrhythmusstörung verursacht werden. Aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome kommt es daher auch häufig zu Fehldiagnosen.
Depression
Mit einer Prävalenz von 20 bis 45% stellt die Depression eine bedeutende Erkrankung bei Herz-Kreislauf-Patienten dar, die viel häufiger auftritt als in der Allgemeinbevölkerung.6 Bei bereits bestehender Herzerkrankung erhöhen depressive Symp-tome das mittelfristige Sterblichkeitsrisiko.7 Nach einem Herzinfarkt leiden 30% der Patienten an Depressionen.8 Umgekehrt wird das Risiko für einen Herzinfarkt durch eine bestehende Depression bei einem herzgesunden Menschen mehr als verdoppelt. Die Prävalenz der Depression bei Patienten mit Herzinsuffizienz (21,5%) ist ca. drei Mal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Die Inzidenz einer Depression nimmt mit dem klinischen Schweregrad der Herzinsuffizienz zu und die selbsteingeschätzte Lebensqualität sowohl im körperlichen als auch im psychischen Bereich ab.9
Stress
Stress führt nicht nur zu einer Steigerung der Herzfrequenz, sondern auch zu einer Steigerung des Risikos für einen Herzinfarkt sowohl bei Patienten mit bereits bestehender KHK als auch bei Patienten ohne nachgewiesene Vor-erkrankung an den Herzkranzgefäßen.
Im Zusammenhang mit Stress wird insbesondere das Tako-Tsubo-Syndrom (TTS) auch bekannt als Tako-Tsubo-Cardiomyopathie (TTC), stressinduzierte Kardiomyopathie oder „Broken Heart-Syndrom“ diskutiert. Es wird u.a. definiert durch Brustschmerzen oder Dyspnoe, sowie elektrokardiografische Veränderungen und Erhöhungen von myokardialen Enzymen, die einem Myokardinfarkt ähneln, im Unterschied zum „klassischen Herzinfarkt” sind jedoch keine relevanten Koronarstenosen nachweisbar. TTS wurde nach der japanischen Tintenfischfalle „Takotsubo“ benannt, da sich im Herzecho der Betroffenen ein charakteristisches Bild mit einer teilweise ballonartigen Aufweitung der linken Herzkammer zeigt, die dieser ähnelt. Trotz der Zunahme von Fallbeschreibungen und Forschung ist die Ätiologie des TS bisher noch unzureichend verstanden. Studien berichten, dass meist ältere postmenopausale Frauen nach einem akuten emotionalen oder körperlichen Stress-ereignis betroffen sind.10 Auch in weiteren Studien wird eine extreme oder über das übliche Maß hinausgehende Stresssituation mit inadäquater Aktivierung des sympathischen Nervensystems als Auslöser diskutiert.11 Andere Studien deuten darauf hin, dass auch psychiatrische Störungen ein prädisponierender Risikofaktor für die TTS sein könnten, wobei hier Angst- und depressive Störungen am häufigsten zu sein scheinen.12
Auch in einer aktuell durchgeführten prospektiven Registerstudie in Österreich wurde deutlich, dass Patienten mit TTS in der Akutphase eine hohe Prävalenz somatischer Störungen und eine relativ hohe Prävalenz depressiver Störungen zeigen.13 TTS-Patienten verfügen zudem über eine eher geringe Resilienz und fühlen sich durch das TTS insgesamt bedroht, was den Schweregrad der Erfahrung als belastendes Lebensereignis widerspiegelt.
Trauma
Demnach können die Diagnose einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit, das Überleben einer Reanimation sowie eine Herz-Operation von Patienten als Trauma erlebt werden, da Betroffene unmittelbar dem Gefühl der Lebensgefahr ausgesetzt sind. Wenn Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit nach dieser Situation nicht richtig verarbeitet werden, kann es für Betroffene zu Anpassungsstörungen oder sogar Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) kommen. So wissen wir, dass jeder vierte bis fünfte Patient nach einem akuten Herzereignis eine Anpassungsstörung oder eine PTBS entwickelt.14
Es zeigte sich, dass eine PTBS nach kardialen Ereignissen mit einer deutlich verringerten Lebensqualität assoziiert ist und die Wahrscheinlichkeit einer kardiovaskulären Rehospitalisierung innerhalb eines Jahres mehr als doppelt so hoch ist.15
Aber ebenso wirken Traumatisierungen in der Lebensgeschichte wie Gewalt, Vernachlässigung, sexueller und emotionaler Missbrauch als Risikofaktor für Herzerkrankungen. Studien zeigen, dass frühe Traumatisierungen nicht nur einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung des kardiovaskulären Risikoprofils und Manifestation einer kardiovaskulären Erkrankung haben16, sie erhöhen außerdem insgesamt die Morbidität und Mortalität.17
Fazit
Forschungsergebnisse zur Psychokardiologie haben mittlerweile auch Eingang in die Praxis gefunden, was u. a. durch interdisziplinäre Fortbildungskurse in psychokardiologischer Grundversorgung und entsprechender Leitlinien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich wird.14 Dennoch ist ein psychokardiologisches Vorgehen in der Praxis noch nicht regelhaft etabliert18 und
psychologische Aspekte von Herz-erkrankungen werden oft vernachlässigt19. Gleichzeitig werden bestehende Herzerkrankungen von Patienten auch von Psychotherapeuten in der Therapie oftmals nicht aufgegriffen.20 Somit erscheint es notwendig, den Austausch sowie die Ko-operation zwischen Psychotherapeuten und somatisch behandelnden Ärzten zu intensivieren, um den psychokardiologischen Krankheitsbildern patientengerecht begegnen zu können. n
Literatur in der Redaktion