Dr. med. Andreas Hagemann, Eschweiler/Wegberg
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leidet jeder zehnte Mensch rund um den Globus an Depressionen. Hierbei spielt die Genetik eine wesentliche Rolle: Sind Verwandte ersten Grades von dieser Erkrankung betroffen, so liegt das Risiko, selbst depressiv zu werden, nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bei etwa 15%. Dies entspricht etwa dem Doppelten des Durchschnittswertes. Bei eineiigen Zwillingen steigt die Wahrscheinlichkeit sogar auf 50%, wenn einer der Zwillinge bereits daran erkrankt ist. Doch: Entscheidender als die genetische Prädisposition sind die Wechselwirkungen psychosozialer sowie biologischer Faktoren (Hirnstoffwechselstörungen).
Symptome der Depression
Im deutschsprachigen Raum gilt die ICD-10 gegenwärtig als Basis für die Diagnose. Hierin werden verschiedene Symptome unterschieden – darunter folgende drei Hauptsymptome:
- depressive Stimmung die meiste Zeit des Tages,
- Interesse- und Freudlosigkeit,
- Antriebsmangel bzw. abnorme Erschöpfbarkeit.
Neben den Hauptsymptomen existieren eine Reihe zusätzlicher Symptome, die den Schweregrad definieren. Dazu zählen der Verlust von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, Suizidgedanken oder suizidales Verhalten, Konzentrationsstörungen, die Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen, psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung sowie Schlafstörungen jeder Art (Ein- bzw. Durchschlafstörungen, Früherwachen, Tagesmüdigkeit), Appetitverlust bzw. -steigerung.
Zudem gibt es noch das zeitliche Kriterium – nämlich anhaltende Beschwerden über mindestens zwei Wochen.
Werden zwei der drei Hauptsymptome und bis zu vier zusätzliche Symptome festgestellt, so wird dies als leichte Depression klassifiziert. Bei mehr als vier Symptomen gehen wir von einer mittelschweren Depression aus. Sind alle drei Hauptkriterien und mindestens fünf Nebenkriterien vorhanden, ist die Diagnose einer schweren Depression zu stellen.
Bei allen Depressionserkrankungen ist eine fachgerechte professionelle Behandlung wichtig. Das Problem: Vielfach stehen die körperlichen Symptome im Vordergrund der (hausärztlichen) Behandlung. Der eigentliche Verursacher, nämlich die Depression, wird über lange Zeit nicht erkannt.
Bei psychosomatischen Beschwerden sollten beide Seiten, sowohl die somatische als auch die psychische, Beachtung finden. Oft ist zu Beginn nämlich nicht klar, woher die Beschwerden kommen. Daher muss eine somatische Ursache ausgeschlossen werden, bevor eine psychische Genese angenommen wird.
Der Schweregrad bestimmt die Therapie
Bei der Therapie von Depressionen gibt es in der deutschen Leitlinie zur Depressionsbehandlung klare Vorgaben: Bei leichter Depression darf nur eine Psychotherapie angeboten werden. Bei mittelschweren bis schweren Depressionen können sowohl Psychotherapie als auch Medikamente verschrieben werden. Aber auch eine Kombination ist möglich und teilweise auch nötig – insbesondere bei schwerer depressiver Erkrankung mit entsprechendem Leidensdruck.
Leider stehen den Betroffenen Psychotherapien, die auch die somatischen Beschwerden lindern, oft nicht zur Verfügung bzw. nur nach extrem langen Wartezeiten (im Vergleich zu einer Medikamentenverordnung) von bis zu einem Jahr.
Gegen die innere Anspannung: Was Entspannung bewirkt
Neben typischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Interessenverlust leiden depressive Menschen oft unter innerer Unruhe sowie massiven körperlichen und seelischen Anspannungen. Aus diesem Grund gehören Entspannungs- und Meditationskurse zum festen Bestandteil jeder Behandlung. Denn: Kontinuierliche Zeiten im Entspannungsmodus fördern die körperliche und geistige Regeneration. Außerdem ermöglichen sie es dem Patienten, besser mit belastenden Situationen und Stress umzugehen.
Besonders bewährt haben sich hierbei die Progressive Muskelrelaxation sowie Autogenes Training. Durch die Fokussierung auf ein Ziel fördert auch meditatives Bogenschießen innere Achtsamkeit, Ruhe und Gelassenheit. Auch Yoga kann körperliche Spannungen auf sanfte Weise lösen.
So können Betroffene den Therapieerfolg fördern
Oft bringen bereits kleine „Lichtblicke“ dem Patienten eine Verbesserung der Symptomatik: Ob Spaziergang oder Autogenes Training – wichtig sind regelmäßige kleine Auszeiten zwischendurch, vorzugsweise im Freien. Denn selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt noch Licht durch und wirkt deshalb „belebend“. Schließlich wird stimmungsförderndes Vita-
min D zu 90% durch UV-Strahlung in der Haut gebildet.
Ausgleichen lässt sich das häufige Vitamin- D-Defizit auch in gewissen Maße durch eine Lichttherapie zu Hause. Spezielle Lampen mit 2.500 bis 10.000 Lux (ohne schädlichen UV-Anteil) fördern die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Auch Vitamin-D-haltige Lebensmittel können sowohl präventiv als auch bei der Behandlung unterstützend helfen.
Auch Sport kann die Stimmung an trüben Tagen aufhellen. Denn Patienten, die beispielsweise regelmäßig joggen oder in die Pedale treten, fördern die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn – und somit das Gefühl für Glück und Freude.
Depressiv durch Übergewicht
Dass Übergewicht Depressionen auslösen kann, belegen verschiedene Studien. Vielfach beeinträchtigen Diskriminierung und Vorurteile Selbstwertgefühl und Stimmungslage übergewichtiger Menschen erheblich. Aber auch gesundheitliche Folgebeschwerden des Übergewichts wie etwa Bluthochdruck und Diabetes sind eine wesentliche Ursache. Darüber hinaus steigt das Depressionsrisiko bei übergewichtigen Menschen durch deren erhöhte Produktion von Zytokinen (Botenstoffen) bzw. den damit verbunden Anstieg entzündlicher Prozesse.
Vielfach sinken mit der Gewichtsabnahme auch die Verstimmungen – zumindest zeitweilig. Umgekehrt kann eine Behandlung der Depressionen auch das Abnehmen erleichtern, denn anhaltende Verstimmungen erschweren nicht selten eine Adipositas-Therapie.
Typische Erkrankungsgipfel
Depressionen betreffen alle Generationen. Die jüngsten Patienten, die ich behandelt habe, befanden sich im Grundschulalter, die älteste Patientin ist 92 Jahre alt.
Generell gibt es zwei Erkrankungsgipfel: einen zwischen dem 20. und 29. und einen zwischen dem 50. und 59. Lebensjahr. Diese Zeitspannen sind oft Phasen des Lebens, in denen vieles passiert: Während des ersten Erkrankungsgipfels befinde ich mich auf der Suche. Ich bin noch unsicher und lege mich zunehmend fest, beruflich und familiär. Und auch der zweite Erkrankungsgipfel ist durch Umbrüche und Veränderungen gekennzeichnet: Die Kinder gehen aus dem Haus, die Eltern werden pflegebedürftig oder sterben und der eigene Leistungszenit ist überschritten. 10–20% aller Rentner sind schätzungsweise betroffen. Die tägliche Konfrontation mit Krankheit und Verlust sowie zunehmende Einsamkeit fördern bei dieser Generation zudem depressive Erkrankungen erheblich. Nicht selten führen auch die Pensionierung bzw. der Tod des Lebenspartners zu einer Depression oder verstärken diese.
Kennzeichen der Altersdepression
Generell unterscheiden sich Depressionen alter Menschen nicht von denen jüngerer Generationen. Allerdings wächst das Suizidrisiko mit den Jahren. Hauptsymptom einer Altersdepression sind Beschwerden wie gedrückte Stimmung, Antriebsverlust, Hoffnungslosigkeit und Trauer. Typisch sind aber auch Störungen der kognitiven Fähigkeiten wie etwa der Konzentrations- und Merkfähigkeit, wodurch häufig auch eine Demenz als Ursache vermutet wird. Oftmals handelt es sich jedoch um eine „Pseudodemenz“, bei der weder auf altes noch auf neues Wissen zurückgegriffen werden kann.
Neben den psychischen Beschwerden treten bei einer Altersdepression oftmals körperliche Symptome in den Vordergrund – etwa Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Schwindel. Aber auch Magen- und Darmbeschwerden oder andere körperliche Funktionsstörungen können auf eine psychische Belastung hinweisen.
Bei mittleren bis schweren Beschwerden hat sich auch bei älteren Menschen die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva bewährt. Mit deren Hilfe lässt sich in der Regel eine spürbare Besserung erreichen. Aufgrund der häufig im Alter schon bestehenden Einschränkungen sind jedoch besondere Kenntnisse von Wechselwirkungen und Risiken einer Psychopharmakotherapie erforderlich.
Generelle Faktoren zur Prävention
Ausreichender Schlaf, der mäßige Genuss von Alkohol, Nikotin und Kaffee sowie die Vermeidung wiederkehrender Überforderungssituationen sind weitere wirkungsvolle Faktoren im Kampf gegen Depressionen. Auch wenn niemand akute, stark belastende Auslöser tiefgehender psychischer Krisen voraussehen kann (wie etwa den Tod eines geliebten Menschen), so lassen sich die Risiken generell doch erheblich minimieren – nicht zuletzt auch durch ein funktionierendes soziales Netzwerk mit guten Kontakten sowie abwechslungsreichen Hobbys.