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Medizin

Eizelle Befruchtung
Die Keimzellkonservierung vor der Krebstherapie ist für betroffene junge Menschen häufig die einzige Möglichkeit, ihre Fertilität für die spätere Familienplanung zu erhalten.
© Colourbox/Kiyoshi Takahase Segundo

Jungen Menschen mit Krebs die Chance auf eine eigene Familie ermöglichen

Seit Juli übernehmen die Kassen die Kosten für den Fertilitätserhalt junger Menschen mit Krebs, die sich einer keimzelltoxischen Therapie unterziehen müssen – theoretisch. Wie es tatsächlich in der Praxis aussieht, sagt Prof. Mathias Freund, Berlin, im Interview.

Seit 1. Juli 2021 wird die Keimzellkonservierung für Kinder und  junge Erwachsene mit Krebs finanziert. Herr Prof. Freund, läuft seitdem alles bestens?

Die Richtlinie des G-BA, die bereits im Februar 2021 in Kraft getreten ist, bestätigt, dass die Keimzellkonservierung für Frauen ab der Pubertät bis zum 40. Lebensjahr und für Männer ab Pubertät bis zum 50. Lebensjahr bezahlt wird. Das klappt mittlerweile gut. Ein Problem ist die hormonelle Behandlung, die für die Ovarialstimulation notwendig ist, um die Eizellen zu gewinnen. Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigung halten die Formulierung im Zulassungstext dieser Präparate für nicht ausreichend, um sie den Mädchen unter 18 Jahren zugute kommen zu lassen. Wir dagegen sind der Meinung, dass die Formulierungen für einen Off-label-Use ausreichen. Das heißt, wir haben die verrückte Situation, dass zum Beispiel für ein 16-jähriges Mädchen zwar die Gewinnung und das Einfrieren der Eizellen finanziert werden, aber nicht die dafür notwendige hormonelle Behandlung.

Was bedeutet das finanziell?

Eizellgewinnung und Kryokonservierung kosten insgesamt ca. 3.500 bis 4.300 Euro. Davon fallen ca. 1.600 Euro für die Hormonbehandlung an. Für Mädchen unter 18 wird also im Grunde nur etwas mehr als die Hälfte bezahlt. Pro Jahr erkranken etwa 2.200 Kinder an Krebs – gegenüber einer halben Million Krebserkrankten insgesamt. Im Alter zwischen 11 und 18 Jahren sind das maximal nur noch einige wenige Hundert. Und nicht jedes dieser Kinder kann eine solche Eizellkonservierung bekommen oder braucht diese. Die Zahl reduziert sich damit auf etwa 100 bis maximal 200 Fälle pro Jahr, für die dieses Verfahren infrage kommt.

Für das Gesundheitswesen ist das finanziell gesehen eine Lappalie.

Es sind wirklich Grabenkämpfe geführt worden:  Patientenvertretung, deutsche Krankenhausgesellschaft und der unabhängige Vorsitz des Ausschusses der Methodenbewertung waren dafür, dass auch die hormonelle Behandlung bezahlt wird. Die Allianz der Kassen und der kassenärztlichen Vereinigung war dagegen und hat das mit ihrer Stimmenmehrheit verhindert. Und das, obwohl es eine recht gute Untersuchung aus den USA gibt, die zeigt, dass die Eizellgewinnung bei Mädchen unter 18 Jahren effektiv und auch sicher ist. Mehr Evidenz ist nicht möglich. Wir können dazu ja keine randomisierte Studie durchführen.

Eine alternative Methode zum Fertilitätserhalt ist die Konservierung von Ovarialgewebe.

Beides hat seine Stärken und Schwächen. Die Konservierung von Ovarialgewebe kann man bei allen Tumoren gut durchführen, die einer keimzelltoxischen Therapie bedürfen und die ein geringes Risiko haben, in das Ovar zu metastasieren. Vorteile dieser Methode sind, dass vorher keine hormonelle Behandlung notwendig ist. Nach Reimplantation ist eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege möglich und die Hormonproduktion wird wieder hergestellt. Nachteil ist, dass sie bei Leukämien und bei Lymphomen, die systemisch diffus metastasieren können, nicht angewandt werden kann. Hier besteht die Gefahr, dass mit dem Ovarial-gewebe auch Tumorzellen konserviert werden. Beide Methoden haben ihren Sinn. Deshalb ist es auch wichtig, dass beides finanziert wird.

Anders sieht es für Mädchen vor der Pubertät aus. Hier verweigert der G-BA-Beschluss aktuell die Finanzierung. Können Sie das erklären?

Auch zu diesem Punkt gab es große Diskussionen. Bei der letzten Abstimmung im Plenum des G-BA am 18. August haben die kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen mit 6,5 gegen 5,5 Stimmen gegen die Finanzierung gestimmt. Wenn diese Richtlinie so in Kraft tritt, wird das Verfahren bei präpubertären Mädchen nicht bezahlt. Dazu muss man sagen: Mädchen vor der Pubertät haben eigentlich nur diese Chance, ihre Fruchtbarkeit später als erwachsene Frauen zu erhalten. Dazu gibt es keine alternative Methode. Wir sprechen von einer Patientengruppe, in der über 80 Prozent der Betroffenen geheilt werden können und dann natürlich ein normales Leben führen wollen. Man muss aber zugeben, dass die Evidenz für die Methode in dieser Altersgruppe noch relativ dünn ist. Es gibt dazu nur Fallberichte. Aber das liegt auch daran, dass die Methode in dieser Altersgruppe noch relativ neu ist.

Leitlinien in Frankreich empfehlen die Konservierung von Ovarialgewebe auch für vorpubertäre Mädchen. Warum geht das bei uns nicht?

Die Krankenkassen argumentieren dagegen, in Frankreich sei neben der Ovarialgewebekonservierung für Mädchen vor der Pubertät auch die Hodengewebekonservierung für Jungen vor der Pubertät empfohlen worden. Die Logik dieses Einwandes erschließt sich mir nicht. In der japanischen Leitlinie wird die Ovarialgewebekonservierung für Mädchen vor der Pubertät noch als experimentell bewertet. Aber sie wird auch dort trotzdem empfohlen. Wenn wir den Mädchen jetzt nicht diese Möglichkeit anbieten, werden sie als junge Frauen in 20 Jahren nicht die Chance haben, eine eigene Familie zu gründen. Die Krankenkassen und die krankenkassenärztliche Vertretung sehen das anders.

Jetzt hat das Bundesministerium für Gesundheit noch die Möglichkeit einzugreifen.

Da das entsprechende Gesetz §27a ohne eine Altersbegrenzung nach unten formuliert ist, stellt sich die Frage, ob diese Altersbegrenzung überhaupt rechtskonform ist. Da hätte unserer Einschätzung nach das BMG durchaus die Möglichkeit, nochmal einzugreifen. Ob das BMG das tun wird, wird man sehen.
Es gibt leider neben der Frage der Ovarialgewebekonservierung noch einen weiteren problematischen Punkt, nämlich die Langzeitlagerung von Spermien, Eizellen und Ovarialgewebe in flüssigem Stickstoff und unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen.

Wo liegt hier das Problem?

Sachlich ist das kein Problem. Das Problem ist, dass die Lagerungskosten von etwa 300 Euro pro Jahr für viele junge Menschen bisher nicht bezahlt werden. Das hat in meinen Augen einen völlig bizarren Grund. Der G-BA hat in seiner Richtlinie vorgesehen, dass nicht nur die Lagerung für die jetzt zu gewinnenden Eizellen oder Spermien bezahlt werden, sondern auch für diejenigen, die ihre Keimzellen in der Vergangenheit auf eigene Kosten haben gewinnen lassen. Es müsste also eigentlich gezahlt werden.

Woran scheitert die Bezahlung?

Die Langzeitlagerung muss unter bestimmten Qualitätssicherungsmechanismen erfolgen. Dieser Aufwand ist nur mit größeren Zahlen machbar. Insofern lagern nach meiner Kenntnis die meisten reproduktionsmedizinischen Zentren das Material in Kryobanken aus. Allerdings gehören Kryobanken nach der Definition der Richt-linie nicht zu den unmittelbaren Leistungserbringern. Sie können die Lagerung nur dann abrechnen, wenn sie eine Kooperationsvereinbarung mit einem Kassenarzt haben. Langzeitlagerung sind aber mit Haftungsfragen verbunden – etwa wenn bei einem Zwischenfall die Zellen auftauen. Wenn die Kryobank beispielsweise insolvent ist, könnte die Haftung wegen der Kooperationsvereinbarung an den Arzt oder das Zentrum zurückfallen. Es gibt also gute Gründe, warum die reproduktionsmedizinischen Zentren oder auch die Andrologen diese Vereinbarungen nicht eingehen wollen. Insofern klappt das mit den Kooperationsvereinbarungen in der Praxis schlecht bis gar nicht.

Konkret bedeutet das: Die Entnahme wird bezahlt, die Einlagerung aber eventuell nicht, obwohl ein rechtlicher Anspruch besteht?

Das Schlimme ist: Wenn junge Menschen oder deren Eltern die Diagnose erhalten, bricht erst mal die Lebensplanung zusammen. Wenn sie dann noch Tausende Euro für den Fertilitätserhalt bezahlen sollen und nicht wissen, woher sie das Geld nehmen sollen, lehnen sie die Maßnahme häufig ab. Dabei besteht ja laut Richtlinie der Anspruch auf die Kostenübernahme der Lagerung. Der Apparat – also das Zusammenspiel der kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Krankenkassen und zum Teil auch der Politik – war nicht in der Lage, diesen Anspruch so zu organisieren, dass er auch wahrgenommen werden kann. Das halte ich für ein absolutes Armutszeugnis.

Interview: Cornelia Weber

Prof. Dr. med. Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Stiftung für junge -Erwachsene mit Krebs in Berlin